78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Alle 1294 Artikel von Ralph Hofbauer

Mit Bravour gescheitert

Wenn die Nacht allmählich die Macht über den Tag gewinnt, hat auch dunkle Musik wieder ihre Berechtigung. Matt Elliott macht solche Musik, denn er ist ein schwermütiger Mensch. Er weiss, wie es sich anfühlt, wenn das Ideal an der Wirklichkeit zerbricht. Er kennt das bittere Gefühl des Scheiterns, ein Begriff, der auf das Vokabular der Seefahrt zurückgeht: „Scheitern“ bezeichnet das Zerschellen des Schiffs an der felsiger Küste – ein adäqutes Bild für die Musik von Matt Elliott. „We will be gone“, der Donner grollt, die Wellen brechen über die Reling. Und da wir alle im gleichen Boot sitzen, treiben wir mit Matt Elliott auf die Klippen zu, denn über das private Scheitern hinaus implizieren seine Texte immer auch einen politischen oder gesellschaftlichen Schiffbruch. Insofern hat der Wahl-Franzose mit T.S. Eliot mehr gemein als nur den Nachnamen.

Mit „Failing Songs“ (V.Ö: 7.11./Domino/Hörprobe) ist Matt Elliott einmal mehr bravourös gescheitert. Sein ungewöhnlicher Werdegang vom Gothic-Drum’n’Bass-Serientäter alias Third Eye Foundation zum in östlichen Folktraditionen verwurzelten Barden findet mit seinem dritten Album unter bürgerlichem Namen eine konsequente Fortsetzung. Es finden sich darauf herzerwärmende Seefahrerlieder, Zigeunerweisen und Lagerfeuertangos mit prä-industriellem Charme. Treuere Freunde für Schiffbrüche in langen dunklen Nächten sind nur schwer zu finden.  

LCD Sportsystem

Die Marketingstrategen der Global Player entdecken subkulturelle Klänge als Soundtracks für ihre Brands. Microsoft stopft den Zune mit Indie voll und nun haben wir auch schon den ersten Fall, wo ein chartunerfahrener Künstler für ein Kleiderlabel Musik massschneidert. James Murphy vom LCD Soundsystem hat für Nike einen superlangen Song aufgenommen, der als Workoutsoundtrack dienen soll. „45:33“ gibts exklusiv bei iTunes, passend zum Nike-iPod, mit dem man joggen geht und danach ein Coci trinkt. Willkommen in der schönen neuen Welt von Nikolapple.

will singen

Heute schon gesungen?Scarlett Johansson will singen. Rod Steward will singen bis zum Umfallen. Michelle Hunziker will singen. Pavarotti will trotz Krebserkrankung wieder singen. Ich will singen von der Gnade des Herrn. Anna Mae Bullock will singen – um jeden Preis. Reinhard Mey will noch immer wie Orpheus singen. Heidi Klum will singen. DJ Bobo will für die Schweiz singen. Madonna will mit André 3000 singen. Currently some ICT will end in Singen. Nur Victoria Beckham will nicht mehr singen. Sagt Google.

Das soll Musik sein?

Das wabert ja nur so n’bisschen rum. Wem solche Bemerkungen schon untergekommen sind, weil er den Fehler gemacht hat popverstopften Ohren Deaf Center oder Fennesz vorzuspielen, wird sich über die neuen statischen Experimente von Tim Hecker freuen. „Harmonies In Ultraviolet“ (Kranky) heisst die Klangkathedrale, die der Kanadier mit seiner bislang erhabensten Störgeräuschsymphonie flutet. Titel wie „Chimera“ oder „Radiospiricom“ weisen darauf hin, dass hier Vexierspiele gespielt und Geister beschworen werden. Unheimlich dieses Ding. Tief wie das Meer, weit wie der Himmel.

Das 78s Reisebüro empfiehlt

In Spanien muss eine kleine aber feine Szene von Musik-Connaisseuren existieren. Anders lässt es sich nicht erklären, dass am Tanned Tin-Festival (9.-11.11.) im wunderschönen Teatre Principal von Castellón (Valencia) folgende Grössen des Untergrunds auftreten: Lisa Germano, Manyfingers, Okkervil River, M. Ward, Matt Elliot, His Name Is Alive undundund. Die MySpace-Links hab ich mal weggelassen, denn wer keinen dieser Namen kennt, legt dafür auch nicht 1000km zurück, weiss eigentlich gar nicht worum es hier geht und hat schon lange aufgehört zu lesen. Hallo? Noch wer hier? Gehen wir?

Sieht so künstliche Intelligenz aus?

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Es scheint, als könnten diese vier niedlichen Roböterchen keiner Fliege was zu Leide tun. Oder müssen wir den ersten und hoffentlich auch letzten Song von Robot Attack „You’re All Going To Die“ doch als unmissverständliche Ankündigung eines Roboteraufstands auffassen?

Bessere Musik und Kostüme hat My Robot Friend zu bieten. Die Robotermusik erfunden haben übrigens die hier.

Noch mehr Roboter gibts hier oder hier. Wenn ich genug von Platten habe, werde ich Roboter sammeln. Allfällige Sammlungsauflösungen bitte umgehend melden.

Keine Angst vor schmutzigen Fingern

Ryan Adams, der sich in letzter Zeit vor allem durch Balladeskes hervorgetan hat, scheint Sehnsucht nach seinen Garage-Days zu haben. Öl, Fett, Sprit, Testosteron und andere Autopflegesubstanzen durchtränken die 36 einminütigen Rotzrocknummern, von denen man sich schon mal gratis druchschütteln lassen kann, bevor sein neues Album erscheint. Man darf gespannt sein, ob dies nun lediglich Prototypen oder bereits die fertigen Serienmodelle sind. Falls schon: Fasten your seatbelts, ladies and gents!

Gratis-Jazz

Im Gegensatz zum überteuerten Jazzfestival Montreux, bei dem man sich fragt, warum das Ding überhaupt noch so heisst, sind beim Zürcher jazznojazz (1.-4. November) 8 der 22 Konzerte gratis und man kriegt Musik geboten, die tatsächlich etwas mit Jazz zu tun hat – was auch immer das nun ist oder mal war. Sagen wir es geht dabei um das Unvoraussehbare der Improvisation.

Unter den Gratis-Konzerten im ewz-Selnau sind auch dieses Jahr einige Geheimtipps. Ganz besonders zu empfehlen: Marie Laurette Friis (Bild). Die dänische Sängerin und Frontfrau der Band TysTys vereint die Ausdruckskraft von Björk mit der Eleganz von Billie Holiday. Auch das tangoverliebte Michael Zisman Trio aus Bern und die Schwedischen Plunge, die ihr Publikum mit Coltrane’schen Medidationen erleuchten, verlangen keinen Eintritt.

Die kostenpflichtigen Konzerte hingegen sind nicht gerade Schnäppchen, aber die Klientele, die im Jecklin in der Jazzabteilung stöbert, verfügt ja in der Regel über ein festes Einkommen (das sie bei der Zürcher Kantonalbank anlegt, die das Festival sponsert). Wer bereit ist für ein Ticket zwischen 45 und 50 Franken hinzublättern oder sich für 70 Franken einen Tagespass kauft, darf gespannt sein auf die Neuvertonungen eines Ingmar Bergmann-Films und des Klassikers „20’000 Meilen unter dem Meer“ (Jules Verne), die im Filmpodium stattfinden. Oder man kehrt mit den grossen Namen des kontemporären Jazz dorthin zurück, wo vor 10 Jahren das erste jazznojazz-Festival stattgefunden hat: Im Kaufleuten kann man sich Tomasz Stanko (Trompeten-Jazz), Manu Katché (Schlagzeug-Jazz), Bugge Wesseltoft (Computer-Jazz), Raul Midón (Flamenco-Soul) oder Nik Bärtsch (Zen-Funk) zu Gemüte führen.

Jamie von Nazareth

Man muss schon einige Neurosen oder gewisse masochistische Neigungen mitbringen, damit man sich mit Wonne von Xiu Xiu ans Kreuz nageln lässt. „The Air Force“ ist zwar das bisher zugänglichste Gruselkabinett von Jamie Stuart, doch von radiotauglich zu sprechen, wäre verwegen. Sekundenbruchteile der Anmut verziehen sich zu grässlichen Fratzen. Lieblichkeit wird von Rasierklingen aufgeschlitzt und alle Facetten des Leidens kommen zum Vorschein: Pein, Qual, Schmerz. Alles was der Typ da rechts unter seiner Dornenkrone so durchgemacht hat halt.

Wer ist dieser Mann?

Er sieht aus wie ein Pizzabäcker im Frack, doch Nick DeCaro hat 1974 eine Platte eingespielt, auf die Brian Wilson vielleicht noch heute neidisch ist. Allerdings ist zu bezweifeln, dass er „Italian Graffiti“ je zu Gehör bekommen hat, denn das Album ist ein ziemlich obskures Teil. Die Google-Recherche liefert fast ausschliesslich japanische Schriftzeichen, was darauf schliessen lässt, dass japanische Nerds an der Hochkonjunktur der Long-Tail-Theorie mitschuldig sind. Wider erwarten kann man diese grossartigen Sunshinepopsentimentalitäten hier bestellen. (Ich übernehm die Garantie, dass die CD super ist, bezahlen müsst ihr leider selbst)