78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Alle 1294 Artikel von Ralph Hofbauer

James Brown ist tot. Soul lebt.

Denn Tränen und Schweiss fliessen ja schliesslich immer. 2006 war Soul endlich mal wieder, wie er sein soll: fettig, schmalzig und nahrhaft. Keine Latte Macchiato von Eryka Badu, kein halbgarer Soulfood von Joss Stone. „Ain’t nothing like the real thing“, wusste schon Marvin Gaye (Bildungslücke?). Getreu diesem Motto erschienen dieses Jahr zwei Platten, die von Meinungsmachern in Sachen funky Stuff umgehend als Klassiker bezeichnet wurden. „Nu“ an diesem Soul ist lediglich das Erscheinungsdatum, ebensogut könnte er aus dem Golden Age of Soul stammen.

amy.jpgZum Duell um den Titel „Queen of Soul 2006“ treten an: Zu meiner Rechten, Nicole Willis in Begleitung der Soul Investigators mit ihrem Album „Keep Reaching Up“ (Musikvertrieb) und zu meiner Linken Amy Winehouse mit „Back To Black“ (Universal).

Nicole Willis ist die Ehefrau von Jimi Tenor, dabei hab ich immer gedacht, der sei schwul. Mit ihr hat er jedenfalls eine Gute Wahl getroffen, denn: She’s got it, was immer dieses „it“ auch ist. Manche nennen es Leidenschaft, andere eben Soul. Nicole Willis‘ grösster Einfluss ist R&B. Nicht der R&B Beyonce’scher Prägung, sondern Rhythm & Blues im ursprünglichen Sinne (mehr zu dieser Begriffsverdrehung hier). Diesen restauriert sie originalgetreu bis hin zur wimmernden Orgel und sie macht ihre Sache zu gut, als dass man Willis ihre Nostalgie zum Vorwurf machen könnte.

Von Amy Winehouse’s Hochglanzoptik sollte man sich nicht abschrecken lassen, auch diese Dame hat Stil. Vielleicht nicht so stilechten Stil, wie Nicole Willis, aber Klasse allemal. Auch ihre Stimme erinnert an grosse Namen. Ihre Single „You Know I’m No Good“ war so etwas wie das feminine Pendant zu Gnarls Barkley’s „Crazy“, doch leider setzte sich nur letzteres in den Charts durch und nervt uns nun auf Lebzeiten. Auch der Rest von „Back To Black“ verspricht viel und hält fast alles. Ein famoser Balanceakt zwischen Oldschool Soul und dicken Beats.

Siegerin nach Punkten ist Nicole Winehouse. Nein, ich habe mich nicht verschrieben. Die Stimmen dieser beiden Damen kongenial. Die Entscheidung überlasse ich euch.

Uff. Alle Geschenke in Rekordzeit von 2h gekauft.

Und gleichzeitig noch einige Goodies für mich. Mitten im Kaufrausch musste ich feststellen, dass ex libris nette Schnäppchen bereithält, sofern man es schafft sich durch die Menge zu den Regalen zu kämpfen. Damit ist nicht die Zucchero-CD (18.90) gemeint, die ich meinem Vater schenke, sondern ein Dusty SpringfieldearBOOK (Biografieband & 4 CDs) für sage und schreibe 29.50 (Listenpreis 69.90). Das war die mit „Son Of A Preacher Man“. Die hatte auch bessere Lieder. Kitsch – aber gut.

Vom Beatle zum Staatsfeind

Pop und Politik sind zwei Systeme, die in der Regel nichts miteinander zu tun haben wollen. Schliesslich finden sie in grundsätzlich verschiedenen Welten statt: Pop im Vakuum der Kunst, Politik im real existierenden Kapitalismus. Auch wenn Pop eine dezidiert politische Aussage vertritt, hat diese herzlich wenig Einfluss auf Wahlergebnisse. Bush wurde trotz Vote For Change Präsident und John Lennon konnte schon damals die Wahl von Nixon nicht verhindern. Wie Lennon zum Staatsfeind Nr. 1 wurde zeigt The U.S. vs. John Lennon.

(Bislang deutet nichts darauf hin, dass die Doku hier ins Kino kommt, sollte aber im nächsten Jahr auf DVD erhältlich sein)

Zur Kenntnisnahme

Statt wie der Rest der Blogosphäre der Massenhysterie anheim zu fallen sei an dieser Stelle (nicht) ganz nüchtern auf drei Alben hingewiesen, die zu Recht sehnlichst erwartet werden. Es handelt sich dabei – deshalb wahrscheinlich die grosse Aufregung – um drei Bands, die wohl so manchen Blog überleben werden: Den ersten Vorgeschmack auf die neuen Leiden des jungen Conor Oberst gibt es hier, den vielversprechenden Arcade Fire-Teaser da und einen Kandidaten für’s neue Radiohead-Album dort (diesmal sollte der Link länger funktionieren…). Warten und hoffen.

Die Menschen hinter den Monstermasken

Die Promoabteilung des Musikvertriebs war so freundlich pietätlos mir mitten in der besinnlichen Adventszeit ein Exemplar der neuen Slipknot-DVD „Voliminal: Inside the Nine“ zukommen zu lassen – dabei hatte ich doch schon für die Paul McCartney-DVD keine Verwendung. Sei’s drum, ich gebe mir einen Ruck und führe mir das Portrait dieser Band zu Gemüte, die ich bislang in die Schublade „wütende Musik für wütende Menschen“ gestopft hatte, ohne sie weiter ernst zu nehmen. Das Ding mit den Masken hielt ich zwar für ganz interessant, doch irgendwie schien mir dies auch der einzige Grund zu sein, warum diese Band überhaupt bekannt wurde – denn Schock-Rock geht bei Teenagern ja immer.

Nun gut, ich versuche ohne Vorurteile an die Sache heranzugehen, doch DVD 1 zementiert mit Tourimpressionen das Image der animalischen Berserker, denen es in erster Linie ums Dampfablassen geht. Die mit nervösen Schnitten zusammengekitteten Live-Berichte aus den Schützengräben, bei denen man zwischen Doublebassdrumgehämmer und durchdrehenden Kids vergeblich nach Musik sucht, werden dabei durch die Dinge angereichert, die eben zum Rock’n’Roll gehören: Saufen, Kotzen und Ficken. Naja.

Die zweite DVD schafft es dann doch mich fast ein wenig zu rühren, denn siehe da: hinter den bösen Masken stecken Menschen wie du und ich, die friedfertig Golfspielen, Töfffahren und es zu Hause dann eben doch am Schönsten finden. Die intimen Interviews mit den Bandmittgliedern zeigen, dass Slipknot nichts weiter sind als neun Jungs aus einem Kaff in Iowa, die sich ihren Traum erfüllt haben: Zusammen auf den Bühnen dieser Welt ein Monster namens Slipknot zu entfesseln, das Abend für Abend herausschreit: Alle Macht dem Tier in dir! Denn: In jedem von uns steckt ein Slipknot, das wusste schon Freud. Ein paar Monster mehr können dieser Welt nicht schaden, schliesslich ist sie selbst eins. Und sonst wollen ja alle immer nur schön sein. Eigentlich gibt’s an Slipknot also gar nicht so viel auszusetzen. Aber hören? Nein danke.

Die Spex ist tot. Lang lebe die Spex?

Seit 25 Jahren prägt die Spex den Diskurs über Popkultur. Da konnte aus einer Fliege wie Pop schon mal ein Elefant werden, dessen Stosszähne uns an den Elfenbeinturm errinnerten. Trotzdem oder gerade deswegen mochten wir sie. In den letzten Jahren begannen die Absatzzahlen der Nerd-Bibel allerdings zu sinken und die Verlagsleitung hat beschlossen Restrukturierungsmassnahen einzuleiten: Der Redaktionssitz wird von Köln nach Berlin verlegt – doch die alte Redaktion zieht nicht mit. Verbitterung hier, hier und hier. Mit einem neuen Team soll es im 2-Monate-Rhythmus weitergehen.

Auf Umwegen zum Hit

Wenn sich das Grau des Alltags mal wieder zu einem alles erstickenden Tiefschwarz verdichtet, flüchten sich Herr und Frau Schweizer neuerdings gerne mit folgenden Worten in Tagträume:
„Ich nime no en Campari Soda, under mir lits Wulchemeer. De Ventilator summet lislig, es isch als gäbs mi nüme me.“

Seit dem aktuellen Swiss-Werbespot kennt diesen Song jeder, doch die Geschichte um die Band, die „Campari Soda“ 1977 einspielte, bleibt obskur. Dominique Grandjean rief Taxi im Probekeller von Dieter Meier’s Villa eigens für die LP „Es isch als gäbs mi nüme me“ ins Leben. Taxi verhökerten gerade mal 600 Exemplare davon im Eigenvertrieb (die heute über 100 Franken wert sind) und lösten sich danach auf, ohne jemals live gespielt zu haben. Grandjean gründete darauf Hertz, die durch ihre konzeptuellen Auftritte zwar etwas grösseres Interesse hervorriefen, doch als sich „Campari Soda“ Mitte der 80er zum Radiohit mauserte, hatte Grandjean das Musikmachen bereits aufgegeben und eine psychiatrische Praxis eröffnet. In den 90ern nahmen schliesslich zwei Sampler den Song in den Schweizer-Hit-Kanon auf („Nimmerland“ und „Swiss Kult Hits Vol.1“) und durch die Coverversion von Stephan Eicher wurde „Campari Soda“ endgültig zu einem Stück Schweizer Kulturgut. Ein Interview mit dem heute 62-Jährigen Schöpfer dieses Überfliegers gibt’s hier. Nächsten Frühling will es Grandjean doch nochmal wissen: Hertz gehen auf Reunions-Tour.

Noch mehr Guerilla-Gigs…

Famos an der Blogothèque ist nicht nur, dass man damit seine Französischkenntnisse auffrischen und gleichzeitig gute Musik entdecken kann, sondern vor allem auch, dass diese Jungs für ihre Concerts á emporter immer wieder erstklassige Musiker auf die Strasse stellen. Inzwischen ist die Guerilla-Gig-Serie mit Tapes’n’Tapes bei Folge 28 angelangt, u.a. waren schon dabei: The Guillemots, Grizzly Bear, Herman Dune, Polar, My Brightest Diamond, The Divine Comedy, Elysian Fields, Casiotone, The Kooks und Stuart Staples. Warum haben wir so was eigentlich nicht?

So stark wie eine Flasche Vodka

Wenn man von A Hawk And A Hacksaw berichten will, kommt man um den Namen Beirut nicht herum. Einerseits, weil es hier wie dort um Einflüsse östlicher Folktraditionen geht. Andererseits, weil es Jeremy Barnes von A Hawk And A Hacksaw war, der Beirut dabei geholfen hat Indie- und Balkanmusik unter einen Hut zu bringen. Barnes, ehemaliger Drummer von Neutral Milk Hotel, ist nun schon seit fünf Jahren als A Hawk And A Hacksaw solo unterwegs und spielt so viele Instrumente wie möglich selbst (Akkordeon, Piano, Perkussion), wobei er sich dabei auch gerne mal einen Hut mit Glocken aufsetzt.

Ähnlich wie Matt Elliot hat sich auch Jeremy Barnes gänzlich von den Mustern herkömmlicher Indiemusik losgesagt und dadurch zu einer archaischen Klangsprache von fremder Schönheit gefunden. So etwas wie Pop hat es, wenn es nach A Hawk And A Hacksaw geht, nie gegeben. Stattdessen wird einer zeitlosen Schwermut Ausdruck verliehen, die sich in den Kompositionen von Bela Bartok (1881-1945) ebenso findet, wie in alten Volksweisen aus dem Osten.

Inzwischen sind A Hawk And A Hacksaw durch die Geigerin Heather Trost zum Duo angewachsen. Auf ihrem dritten Album „The Way The Wind Blows“ (Leaf/Namskeio) werden die beiden von einer rumänischen Gypsy Brass Band sowie anderen Gastmusikern wie Zach Condon von den besagten Beirut unterstützt. Entsprechend orchestral fällt das Resultat aus. Im Gegensatz zum Vorgänger wird die Dynamik zwischen getragener Melancholie und rasendem Gepolter nicht mehr so stark ausgereizt. So schunkelt man vorwiegend im gemütlichen Walzertakt und aufs Polkagaspedal wir nur zweimal gedrückt.

Bei mehrmaligem hören von „The Way The Wind Blows“ kann einem leicht schwindlig werden. Man wird von einem ähnlich gefühlsduseligen Strudel erfasst, wie beim übermässigen Konsum von Alkohl, denn: Dieses Album ist so stark wie eine Flasche Vodka. Mindestens.

„The River“:

[audio:http://www.theleaflabel.com/audio/74.mp3]

Disco: lat. ich lerne, von discere = lernen

[flash] http://www.youtube.com/watch?v=zwakjoSs754&eurl [/flash]

(via)