78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Alle 7 Artikel von Caro Buchheim

Trent Reznors spooky Schnitzeljagd

Wie man verdammt gute Online-Werbung für ein neues Album macht, zeigen dieser Tage Nine Inch Nails.

Von Frontmann Trent Reznor als Konzeptalbum angekündigt, entwirft das fünfte Album der Band, Year Zero, ein Bild vom Amerika des Jahres 2022. Staat und Kirche sind zu einer Einheit verschmolzen, die Regierung mischt Drogen ins Trinkwasser, die Menschen halluzinieren und nur Einzelne begehren auf; Eine Storyline, mit der Trent Reznor seine Abscheu gegenüber US-Regierung, Medien und Kultur zum Ausdruck bringen will.

In einer viralen Marketingkampagne zum Album, an der die Agentur 42 Entertainment beteiligt ist, verschmelzen Realität und Fiktion zu einem Alternate Reality Game (ARG).

PuzzledDie virtuelle Schnitzeljagd begann mit dem Auftauchen des Tracks ‚My violent Heart‘ auf einem USB-Stick, der letzte Woche nach einem NIN-Gig in Lissabon auf einem Klo gefunden worden sein soll, höchstwahrscheinlich jedoch von der Band selbst ins Netz geleakt wurde.

Parallel tauchten zwei weitere USB-Sticks, eine Voice-Mail-Message, sowie das Foto eines NIN-T-Shirts auf, das auf iamtryingtobelieve.com verwies.

Von dort aus gehend haben eifrige NIN-Fans mittlerweile sieben Websites, drei Tracks des Albums, diverse Audiofiles, Morse-Codes und Bildmaterial gefunden, und debattieren in einem brandneuen Wiki über die Bedeutung des Materials.

Heute tauchte artisresistance.com auf; Ein aktuelles Foto auf nin.com zeigt Trent Reznor bereits mit dem Symbol von Art is Resistance am Ärmel.

Eine spannende, spooky Kampagne; Perfekt um die Vorfreude auf das am 17. April erscheinende Album zu schüren.

Einen Wermutstropfen gibt es jedoch: Interscope und Universal haben Radiosender und Blogger, die die neuen Tracks gepostet haben, abgemahnt.
Die Industrie scheint nicht verstanden zu haben, wie virale Marketingkampagnen und Alternate Reality Games funktionieren. Und falls doch, scheint es einen massiven Konflikt zwischen Band und Label zu geben. Nichts neues und doch Schade.

„Sexual Hearing“

PLAY!‚Mit Musik geht alles besser‘. Oder manchmal etwa nicht?

Vor ein paar Wochen saß ich mit Freunden zusammen, und wir kamen auf die Frage: Braucht Sex einen Soundtrack?

In der bizarren Welt der Frauenzeitschriften werden immer wieder vermeintlich große Ja/Nein-Sex-Fragen thematisiert. Licht an oder aus? Gibt einer den Ton an oder Beide? Deim ersten Date? Ich halte diese Klischees für ausgesprochen dämlich, muß jeder halbwegs reflektierte Mensch sie doch zwangsläufig mit ‚Kommt darauf an‘ beantworten.

Genau das erwartete ich auch bei der Musik-beim-Sex-Frage.

„Musik und Sex gehören doch spätestens seit Elvis untrennbar zusammen!“ meinte einer meiner Freunde, der Marvin Gaye-Platten besitzt. Eine Freundin schwor auf „Nicht zu auffälligen, aber auch nicht ganz spannungsfreien Electro“. Den hört sie sonst nie. „Aber zum Vögeln ist der super.“

„Niemals Musik beim Sex“, erklärte eine Andere. „Sonst sing‘ ich aus Versehen noch die Texte mit.“ Ein Freund pflichtete ihr bei: „Ich hör‘ Musik viel zu genau, da kann ich mich nicht konzentrieren. Und den Rhythmus bestimme ich auch lieber selbst.“

Mein Freundeskreis spaltete sich in zwei Lager, ohne ‚common ground‘. Bald wurden Horror-Stories von Sex mit Menschen des anderen Lagers ausgetauscht. „Reggae! Beim ersten Mal. Beim einzigen Mal!“ „Es war so still; ich fühlte mich so observiert.“ „Stevie Ray Vaughan!“

Nur eine vertrat eine ‚Kommt darauf an‘-Haltung. Ich.

Ich kann den Schmerz von Sex zu Stevie Ray Vaughn verstehen und bevorzuge Stille gegenüber Marvin Gaye, aber manchmal muss es eben auch böser Elektro oder Noise oder das Nirgendwo von Sigur Rós sein; Meist ist das gut genug, was iTunes eben gerade dann serviert, wenn man zufällig Sex hat.

Denn: Wenn der Sex richtig gut ist, hört man die Musik irgendwann ohnehin nicht mehr, und im Afterglow, da fängt sie einen wieder auf.
Sollte dann ausgerechnet Reggae laufen, oder Marvin Gaye, kann man ja aufstehen, die Musik ausmachen. Und dann weiter.

Hit me baby one more time

David beim ersten MalAn einem der letzten Tage des Jahres 2005 saß ich spätabends in einer Kneipe in Kreuzberg und wünschte mir, kein Englisch mehr verstehen zu können. Auf einer winzigen Bühne stand ein Mann mit einer Gitarre. Er trug ein Fields of the Nephilim T-Shirt, und dieser Mann, David Judson Clemmons, massierte mir mit seiner Aufrichtigkeit und seinen großartigen Songs das Herz blutig.

Fast ein Jahr später saß ich nervös im Substage in Karlsruhe, und wartete auf mein zweites David Judson Clemmons Konzert, und ich hatte Angst: Angst vor dem zweiten Mal. Davids erstes Konzert war ein so einschneidendes emotionales Erlebnis gewesen, dass ich befürchtete, dieses Mal zwangsläufig enttäuscht zu.

Erste Konzerte beeindrucken; Zweite Konzerte aber zeigen, ob jemand wirklich gut ist, und ob das eine bleibende Liebe werden kann, oder eben nicht.

Ich weiß noch, wie enttäuscht ich war, als ich bei zweiten Konzerten feststellten musste, dass Thees Uhlmann wirklich bei jedem Konzert so viel Emo-Unsinn daherredet und Aydo Abay von Blackmail bei manchen Gigs leider manchmal nur so gerade eben körperlich anwesen ist.

Klar, beim zweiten Konzert darf jemand schlechter Form sein, krank, müde oder einfach schlechter Laune, selbst die gleiche Setlist darf man spielen: Nur die Routine darf man nicht dabei haben, nicht die gleichen Geschichten, die gleichen Gags wie beim ersten Mal. David beim zweiten MalWer immer die gleichen Geschichten zu erzählen hat, sollte wohl besser gar nicht reden während eines Gigs.

David stand später im gleichen Fields of the Nephilim T-Shirt wie ein Jahr zuvor auf der Bühne des Substage, und während er ‚The Shores‘ sang, mit der gleichen Intensität und Aufrichtigkeit wie ein Jahr zuvor, und da kein bisschen Routine war, nur seine Liebe zur Musik und sein Wunsch, sie zu teilen, und mein armes kleines Herz schon wieder blutete, wie beim ersten Mal, da wusste ich, dass das eine bleibende Liebe zu ihm und seiner Musik werden würde.

Seitdem freue ich mich auf das dritte Mal.

…but it always plays lovesongs when you’re far away

Rat das Liebeslied!Seit ein paar Monaten ist eine neue Liebe in meinem Leben. ‚Neu‘ stimmt dabei aber gar nicht: Ich bin wieder mit meiner Jugendliebe zusammen; Fortsetzung mit dreizehn Jahren Verspätung. Sehr unglaublich, alles.
Glücklicherweise ist Musik ihm genau so absurd wichtig wie mir: Er verehrt Arab Strap, verdient Geld mit Bildern von Indie-Song-Titeln und singt in einer Band.

Genau mein Mann, ja.

Musik war immer wichtig in unserer Geschichte: Er ist mir das erste Mal aufgefallen, während er Gitarre spielte, wir sind mal bei Rödelheim Hartreim Projekts ‚Keine ist‘ intensiv verzweifelt, haben uns furchtbar wehgetan, während Sting ‚Why should I cry for you‘ auf Repeat sang, und irgendwann haben wir auch mal beide aus New Model Armys ‚Green and Grey‘ zitiert anstatt miteinander zu reden.

Jahre später haben wir uns zum ersten Mal bei einem Konzert seiner Band wieder gesehen und während Kantes ‚Die Tiere sind unruhig‘ lief, da habe ich gemerkt, dass ich mich wieder in ihn verliebt hatte.
Jetzt sind wir verliebt und glücklich und ich bin aufgeschmissen. Am Ende meiner Lieder, quasi.

Denn: Ist irgendwem schon mal aufgefallen, dass 99,95% alle Liebeslieder der Welt das Ende der Liebe besingen? In so ziemlich Liebeslied wird verlassen, gelogen, zurückgebettelt. Aber nicht geliebt. Warum zur Hölle singt niemand vom Glück?

Rat das Liebeslied!Seit Wochen ertrage ich in meinem Glück nur noch eine handvoll etwas peinliche Lieder: ‚Ein Kompliment‘ von den Sporties, weil das mit dem Ende einer langen Reise toll ist; ein Niels Frevert Cover von Udo Lindenbergs ‚Bis ans Ende der Welt‘, Lilly Allens eigentlich halbtraurigen Song ‚Littlest Things‘, der für mich nicht mehr traurig ist, weil er mir das mal spätabends übers Telefon vorgespielt hat, und ‚This must be the place‘ der Talking Heads, denn das ist tatsächlich ein so richtig glücklicher Song über die Liebe.

Eine handvoll Songs, das ist für Jemanden, der 12 000 Tracks in iTunes hat auf Dauer ziemlich wenig: Hat irgendwer ein paar glückliche Liebeslieder für mich?

Blitz-Blitz-Blitz-Bliiiiiiiitz

Schau in meine Kamera, Sänger!Vor Kurzem war ich zum ersten Mal bei einer Ballettperformance. „Bitte macht keine Photos und dreht keine Filme. Versucht nicht, Etwas festzuhalten, was Bilder ohnehin nicht festhalten können. Nehmt nur Eure Erinnerungen und Eure Emotionen mit nach Hause“, bat die Choreographin zuvor, und tatsächlich packten alle, ich eingeschlossen, ihre Kameras weg, und kein Klicken störte später den Tanz und niemand hielt sein Handy wie eine Waffe vor sich, um ein Video zu drehen.Es war wunderbar.

konzertphotos01.JPGManchmal wünsche ich mir, dass auch Bands ihr Publikum bitten würde, die Kameras wegzulegen.

Ja, das sage ausgerechnet ich als Konzertphotographin; Immerhin lasse ich mich akkreditieren, photographiere nur die ersten drei Songs über und vor allem ohne Blitz. Mehr als einmal hat mir Publikums-Photographiererei ein Konzert kaputt gemacht.

Besonders schlimm war es bei einem Deine Lakaien Acoustic-Gig.
Ich stand direkt neben einem Herrn, der alle paar Sekunden mit dem Verzögerungs-Blitz seiner Kamera rhythmisch die Reihen vor uns (Blitz-Blitz-Blitz-Bliiiiiiiitz) beleuchtete; dazu machte die Kamera ein niedliches kleines Geräusch. (Pling-Pling-Pling-Pliiiiiiiiiiing); er machte zwei Stunden lang ununterbrochen identische, dank des Blitzes absolut untaugliche Photos. Ich hatte derweil ein beeinträchtigtes Konzerterlebnis und Erdrosslung-mit-Kameraumhängeband-Phantasien.

Warum dieser Blitz-Wahn, warum dieser Photo-Wahn, warum nur, warum? Klar, Konzerte sind auch ein visuelles Erlebnis, endlich das Idol ganz nah, ja, aber ging es nicht mal primär darum, etwas zu hören und Blitz! Blitz!zu fühlen und bewegt zu werden von der Musik? Warum begrenzen wir das Erleben eines Konzerts durch den Dauer-Blick durch eine Kamera? Warum wird ein Konzert erst durch tolle Photos oder ein gelungenes YouTube-Video gut? Warum nicht durch das, was es mit uns angestellt hat?

Ich rufe zur einer Konzert-Revolution auf: Lassen wir doch einfach beim nächsten Mal die Kameras in unseren Taschen. Oder wenigstens den Scheiß-Blitz aus.

iTunes Intimitäten

„Verbirgst Du etwas vor mir, U2 Fangirl?“

Es war der Morgen danach, ich kam aus dem Bad und fand meinen zum ersten Mal fürs Wochenende angereisten Lover an meinem Computer vor, sich entspannt durch meine iTunes scrollend.

Panik stieg in mir auf.

Am Abend zuvor hatte eine Playlist mit angemessen ausgefallener Musik den dezenten Klangteppich für Beziehungsbildung bei Vodka-Martinis geliefert, wir hatten uns naked gesehen, twice, und nun sah er mich durch mein iTunes.
Das war schlimmer als naked, denn er sah, dass ich die Playlist des gestrigen Abends ‚music for making out‘ genannt hatte. Und das Gesamtwerk U2s besitze.

Mir wurde übel.

„Äh, U2 Fangirl?! Ich? Nee! Okay, ich hatte da diese kurze Phase, aber das war 1991!“ versuchte ich seinen Bono-Schock zu mildern. „Guck mal, das hat doch alles gar keine Plays!“Schau' mein iTunes, schau' meine Seele. Und meine Liebe zu Bono.

Um ehrlich zu sein: ‚All I want is you‘ hatte 37 Plays. Sie hatten alle an einem lang vergangenen Liebeskummer-Abend mit viel Merlot stattgefunden; Ich war bei all the promises we break immer wieder in Tränen ausgebrochen.

Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn, und ich hoffte, dass er weder sie, noch die 37 Plays von ‚All i want is you‘ bemerken würde.

„Ah, stimmt! Die Plays! Mal gucken, was Du am Meisten hörst!“

Ein Click, und meine Library war nach Plays sortiert. Ganz oben: mehrere Duzend Metric-Tracks. Puh! Durchatmen! Direkt dahinter abernein, nicht U2. Seine Band. Albenweise. Mit vielen Sternen dahinter.

Ich wurde rot.

„Ah! Sieht aus, als sei dein Musikgeschmack doch nicht so schlecht!“ Er lachte, zog mich auf seinen Schoß und dann dachte keiner von uns mehr an Bono. Das war gerade noch mal gut gegangen.

Einige Wochen später reiste ich zum ersten Mal für ein Wochenende zu ihm. Als er das erste Mal das Zimmer verließ, um den Vodka zu holen, setzte ich mich an seinen Computer.
Mit einem Click waren seine iTunes nach Plays sortiert. Ganz oben: Frühe Genesis. Albenweise. Und: Gerade erst gehört.

Er kam zurück ins Zimmer.

„Verbirgst Du etwas vor mir, Genesis Fanboy?“

Öffentlich zelebrierte Emotion: Flennen bei Morrissey

Crying Shame: Muses Matthew Bellamy macht Mädchen beim Eurockéennes Festival weinen. (Copyright Caro Buchheim)Vor Kurzem heulte, nein, flennte ich vor einer Bühne, auf der Morrissey gerade Life is a pigsty‘ sang. Soweit ich das durch meine verlaufende Mascara hindurch sehen konnte, ging es so ziemlich allen um mich rum genauso: Der Morrissey-Gig war ein Heulfest. Sicher hat irgendein Soziologe oder Musikwissenschaftler schon vor Jahren eine Doktorarbeit mit einem schöner Titel wie „I do my cryin‘ in the crowd: Öffentlich zelebrierte Emotion im geschützten Raum populärmusikalischer Konzerte“ geschrieben und das Phänomen Konzert-Weinen mit den Verlust kollektiv erlebter Religion und der Isolation und emotionalen Kälte der modernen Gesellschaft‘ erklärt.

Das ist sicher irgendwie richtig, aber eigentlich ist es wohl viel einfacher: Das Konzert hat die Disco als Ort der Flucht aus der Isolation ins Kollektiv abgelöst. Während im Indie-Club die Pose regiert, das Licht-Design verhindert, dass man den Mittänzern in die Augen gucken kann und jeder in Shoegazer-Manier auf die Gummikappen seiner Chucks starrt, findet im Konzert zwangsläufig Interaktion statt. Man steht zu lange, zu nah, zu eng bei Menschen, mit denen man zunächst nur die Liebe zu dieser einen Band teilt; Erst ist es zu hell und man selbst zu nüchtern; Später wird es zu laut, zu alle-Sinne-überflutend, und man selbst zu betrunken. „Wenn Du bei einem Konzert stehst, dann kannst Du die Einzelteile nicht mehr auseinander halten,“ hat mir Andreas Kubat, Sänger von Northern Lite, kürzlich erklärt. „Die Musik, die Lautstärke, das Licht, der Schweiß, die anderen Leute, und Deine Gefühle dabei, sie werden zu einem großen Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Einzelteile.“

Ich glaube man begegnet bei einem Konzert nicht nur einer Band und deren Musik, sondern neben anderen Leuten letztendlich vorallem sich selbst. Man kommt sich näher, als man es sonst tut, und genau deshalb weint man, gegebenenfalls, und im besten Fall lacht man auch dabei. Denn so ist es halt, im Konzert, im Leben, im Pigsty: Himmelhochjauchzendzutodebetrübt.

Morrissey live und ohne Hemd:

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=LUDn0xsLDeQ[/flash]