John K Samson: Die Heimat aus der Ferne
Von Sabrina Stallone | 27. Januar 2012 | 0 Kommentare
John K Samsons neues Solo-Album «Provincial» ist der Soundtrack für die Rückkehr in die Heimat zwischen Verdruss und Nostalgie. Ein Nachhauseweg, der gut tut, schmerzt und an Vergessenes erinnert.
Zuletzt hatte Samson 1993, damals noch Mitglied der Politpunk-Band Propagandhi, ein Solo-Album veröffentlicht. Das rockig jugendliche «Slips And Tangles» vertickte er nach seinen Konzerten in seiner kanadischen Heimat Winnipeg. Danach kamen The Weakerthans und mit ihnen der Erfolg. Vier Langspielalben, unzählige Konzerte, jetzt auch ein Dokumentarfilm.
Hauptschlagader der Band sind und waren jedoch schon immer Samsons sensible und detailverliebte Songtexte, die mit verschmitztem Charme die Rosinen aus dem Alltag picken und diese genial unverklärt präsentieren. John K Samson hat wie kaum ein anderer die Gabe, vertraute Banalitäten in Worte zu fassen, ohne sich dabei je auf einen Gemeinplatz zu verirren. Anders gesagt: Nie wieder wird ein Song über GPS so an die Substanz gehen wie «Highway 1 East».
In «Provincial» wird die kanadische Provinz Manitoba vertont. Nie wird es im Longplayer sphärisch oder pathetisch. In seinen Arrangements ist «Provincial» rau, frostig und schmeckt doch vertraut. Eine Folkrock-Landkarte, auf der Samson uns in keine Traumwelt entführt, sondern in eine, in der man mit dem Auto im Nichts feststeckt, lieber Grand Theft Auto spielt als die Masterarbeit fertig schreibt, die Rechnungen nicht bezahlen kann. Und egal ob man in Bad Zurzach, Tägerwil oder eben in einem Vorort Winnipegs gross geworden ist, John K Samson weiss, wovon er spricht: Es ist überall «too far to walk to anywhere from here» («Highway 1 West»).
«Provincial» ist aber nicht nur die Spielverlängerung vom Weakerthans-Song One Great City!, ein Plädoyer der Anklage und Verteidigung seiner Heimatstadt Winnipeg. Für das Album suchte Samson in Manitoba die Geschichten, die sich hinter den abblätternden Fassaden abspielen. Im Interview mit 78s erzählte er anlässlich der Veröffentlichung seiner letzten EP von seinem kommenden Projekt, für das er sich von einem alten Sanatorium in Manitoba inspirieren lassen wollte. Mit dem Song «Letter In Icelandic From The Ninette San» hält er seinen Vorsatz ein. Ein nunmehr resignierter Patient erzählt seinem Bruder in einem herzzerreissenden Brief vom schlechten Kaffee in der Klinik. Erneut schafft es Samson, des Hörers Suche nach Pathos erfolglos enden zu lassen.
Beginnend mit krächzenden Bläsern, führt John K Samsons Solopfad auf «Provincial» über rumpelnde Gitarrenwege und endet in den eigenen vier Wänden bei einer schüchternen Klaviermelodie. Das Duett mit Ehefrau Christine Fellows zieht die Bremse und lädt nach dem Streifzug durch Manitoba in eine warme Stube. «Taps Reversed» beantwortet zwar keine Fragen, evoziert keine grossen Gefühle, schenkt uns auch kein Happy End. Und dennoch: Zuhause sein war selten schöner.
> «Provincial» erscheint heute bei Grand Hotel Van Cleef. Im kommenden Frühling ist John K Samson auf Europa-Tour, bisher mit einem einzigen Schweizer Datum: 22. Mai im Abart, Zürich.
John K. Samson – Letter In Icelandic From The Ninette San by antirecords
78s wird seit Juni 2015 nicht mehr redaktionell betreut. Die Kommentarfunktion ist deswegen deaktiviert.