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Highlights in den Niederlanden

Von    |   29. November 2011   |   0 Kommentare

Utrecht avancierte am vergangenen Wochenende zur Musikhauptstadt Hollands. Das Indoor-Festival Le Guess Who? überzeugte auf der ganzen Linie.

„One of the better places for christmas shopping“, urteilte Stephen Malkmus spasseshalber über Utrecht. Tatsächlich lässt sich im holländischen Städtchen, das nicht grösser ist als Zürich, gut einkaufen. Neben Second Hand-Shops, Grachten und Dom hat Utrecht seit vier Jahren eine Attraktion mehr: Le Guess Who?

Von Festival-Stimmung war in der Stadt am vergangenen Wochenende wenig zu spüren. Das Leben in Utrecht nahm seinen gewohnten Lauf, während sich anlässlich der zweiten Ausgabe des Indoor-Festivals 80 Weltklasse-Acts in Clubs, Bars und Cafés die Klinke in die Hand gaben. Ein Fahrrad ist die unabdingbare Voraussetzung, um dem Programm, das sich auf acht in der Stadt verstreute Schauplätze verteilt, folgen zu können. Freundlich begrüsst und ohne Taschenkontrolle gelangt man an den Clubkonzerten vor die kostenlose Garderobe. Von Ständen, Promoaktionen und Werbung keine Spur – lediglich Flyer, die vor ruhigen Konzerten für Stille werben.

Die dringliche Larmoyanz von Low ging am Freitagabend im Tivoli dennoch im Geplapper unter, nachdem das Publikum vor der grössten Bühne des Festivals zuvor noch artig Bill Callahan gelauscht hatte. Dieser beeindruckte mit souveräner Geschichtenerzählerpräsenz, während seine zwei Mitmusiker mit Fingerspitzengefühl die kunstvoll gesetzten Worte des Meisters untermalten. Noch stiller war es nur beim Allstar-Neoklassik-Projekt Seeljocht, das in einer ehemaligen Kirche über die Bühne ging, und beim Auftritt der US-Songwriterin Marissa Nadler, die am frühen Sonntagnachmittag erstmals in ihrer Karriere in Jeans statt im Kleid auftrat.

Deutlich lauter war dagegen die drei zierlichen Japanerinnen von Nisennenmondai, die zum Auftakt des Festivals mit noisigen Jazzkapaden zur Dekonstruktion von Post-Rock ansetzten. Panda Bear zerlegte als allerletzter die Musik an sich. An Gitarre und Elektronik schwamm sich Noah Lennox am Sonntagabend von Animal Collective frei. An seiner Seite bediente die Spacemen-3-Legende Sonic Boom die Knöpfe eines beinahe wissenschaftlich anmutenden Klanglabors, während Nebelmaschinenschwaden die Sicht auf das nebulöse Geschehen nahmen.

Mithalten in Sachen Live-Elektronik konnten da am ehesten Roll The Dice. Angeführt von The Subliminal Kid, Produzent und Live-Mitglied von Fever Ray, huldigte das schwedische Analog-Duo den Synth-Göttern Jarre und Vangelis. Ab Konserve kam hingegen die Musik von John Maus, der sich zu seinen stillen Hymnen in Rage predigte. Deutlich blutleererer Zola Jesus, die mit einer gecasteten Band bestehend aus einem Metal-Drummer, zwei IT-Nerds und einem New Romantic-Organisten antrat. Erfrischend warmherzig war der Auftritt des nigerianischen Gitarrengotts Bibi Ahmed mit Group Inerane, der für die besten Soli des Festivals sorgte.

Le Guess Who? überzeugt mit viel Charme, einem ausgesuchten Line-up und fairem Preisleistungsverhältnis (Festivalpass 70€). Der einzige Kritikpunkt trifft auf so manches Festival zu: Das Programm ist so dicht gestaffelt, dass vieles auf der Strecke bleiben muss. Auch mit dem schnellsten Rad lassen sich Terminkollisionen nicht vermeiden.

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