PJ Harvey greift nach der Krone
Von Nina Wyss | 16. Februar 2011 | 2 Kommentare
Dieser Tage erscheint das achte Album von PJ Harvey. „Let England Shake“ hüllt politisches Statement in wortgewaltige Poesie. Wir fordern: Queen Polly an die Macht!
Soldaten, Panzer, getrocknetes Blut. So deutlich ist PJ Harvey noch selten geworden. Anstelle vom introspektiven Selbst besingt die Engländerin auf „Let England Shake“ ganz unverblümt ihre Heimat, den Krieg und die grausame Alltäglichkeit, mit der er uns jeden Abend in den Nachrichten begegnet. “A lot of my work has often been about the interior, the emotional, what happens inside oneself”, erklärt sich Harvey in einem BBC-Interview. „And this time I’ve been just looking out, so it’s not only to do with taking a look at England but taking a look at the world and what’s happening in current world affairs.“
Dabei hütet sich die Musikerin gleichermassen davor, Tatsachen zu beschönigen oder sie zu verurteilen. Anders als es der Albumtitel vermuten liesse, ruft sie auf „Let England Shake“ nicht zum bewaffneten Protest auf, sondern berichtet vielmehr als Augenzeugin aus der beobachtenden Warte heraus: „[I’m] always trying to come from the human point of view, because I don’t feel qualified to sing from a political standpoint (…) I sing as a human being affected by the politics, and that for me is a more successful way.”
„Let England Shake“ ist ein politisches Statement, die Songs deswegen aber keineswegs verbissen oder verbittert. Oftmals kommt im musikalischen Miteinander von Harvey und ihren Mitstreitern – John Parish, Mick Harvey und dem Produzenten Flood – gar ein überschwängliches Gemeinschaftsgefühl auf. Hier erinnert nur wenig an die bedächtigen Balladen des Vorgängers „White Chalk“, einzig Harveys mädchenhafter Gesang ist davon geblieben, und der füllt den Bauch der Kirche, in der die Platte live eingespielt wurde, mit positiver Energie und Lebensfreude.
Dieselbe Unbeschwertheit macht sich auch im Arrangement bemerkbar. Irgendwo verliert sich eine Autoharp zwischen den Gemäuern, vermählt sich wie zufällig mit Jagdhorn-Fanfaren, Saxophon, Bäseli-Drumming. Ebenso mühelos flechten sich Samples in die Songs ein – Niney The Observers „Blood and Fire“ zum Beispiel oder der bulgarische Klagegesang im sonst eher kargen „England“. Das hört sich an, als schlendere man über einen Jahrmarkt und nähme im Vorbeigehen die verschiedensten Klangfetzen mit, die sich im Ohr zu einem dissonanten Ganzen fügen.
Die grösste Durchschlagskraft allerdings geht von den Songtexten aus. Zwei Jahre lang hat Harvey sie in Form von Gedichten heranreifen lassen, ohne einen Gedanken an Melodien zu verschwenden. In Musik gekleidet danken es die Lyrics mit einem präzisen Versmass, das der Platte eine rhythmische Lässigkeit verleiht und dafür sorgt, dass das Anliegen der Musikerin trotz inhaltlicher Schwere ein Publikum findet. Und wo wir alle schon mal hier sind, können wir sie auch gleich gemeinsam einfordern: Die Krönung der Queen Polly of En-gaa-land!
„Let England Shake“ erscheint diese Woche auf Vagrant und kann auf Luisterpaal gestreamt werden. Der britische Kriegsfotograf Seamus Murphy produziert für jeden Song des Albums ein Video. Hier seine ersten Werke:
2 Reaktionen
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15:06 Uhr, 16.2.2011, Link
oh yeah. PJ for president! die neue platte ist eine wahre perle. sie hätte es verdient auf dem thron zu stehen. natürlich nur nackt, versteht sich.
03:55 Uhr, 17.2.2011, Link
gut geschrieben