Michael Hurley: Der ewige Amateur
Von Ralph Hofbauer | 1. Dezember 2010 | 0 Kommentare
Musik aus einer rostigen Orgel und eine Stimme wie eine ausgeleierte Quetschkommode. Der Eigenbrötler Michael Hurley glänzt auf „Blue Hills“ mit all seinem schrägen Charme.
Wer „Blue Hills“ einlegt betritt ein Zimmer, in dem ein alter Mann selbstvergessen musiziert. Michael Hurley klingt auch auf seinem 23. Album so in sich versunken als würde er seine Musik nur für sich alleine machen. Statt verzweifelt „Nimm mich!“ zu schreien sagen seine Songs: Bleib hier wenns dir gefällt und machs dir gemütlich. Der alte Mann setzt Tee auf und man entschliesst sich zu bleiben.
Hätten seine Stücke nicht Indie-Grössen wie Cat Power oder Espers ausgegraben, würde heute wohl kein Hahn mehr nach dem Songwriter aus Pennsylvania krähen. In den späten 90ern wurde Michael Hurley unverhofft zur Alt-Country-Legende, nicht ganz so bekannt wie Townes Van Zandt zwar, aber ähnlich kultisch verehrt. Vielleicht ist der 69-Jährige, der in den 60ern und 70ern nur sporadisch Alben veröffentlicht hat, deshalb aufs Alter hin immer produktiver geworden. Dennoch wäre sein Spätwerk wohl auch unabhängig von der steigenden Nachfrage so üppig ausgefallen, weil Hurley eben macht, was er machen muss.
Hurleys Folksongs klingen im Zeitalter der computergestützten Musikproduktion entwaffnend authentisch. Bis hin zum Klappern der Harmoniumpedale verströmen die Aufnahmen, die zum Teil bei Hurley zu Hause entstanden sind, einen hausgemachten Charme. Es ist ein ähnlich kompromissloses Werk wie Neil Young’s „Le Noise“ (78s-Artikel), das ebenso auf das Wesentliche reduziert ist, auch wenn es deutlich besinnlicher klingt. Die sechs Stücke des bislang wohl stillsten Album von Michael Hurley torkeln lediglich von E-Piano, Harmonium und Gitarre begleitet durchs Zimmer.
„Blue Hills“ hat weder eindeutige Refrains noch eingängige Hooklines zu bieten. Trotzdem bleibt man an diesen windschiefen Songs hängen. Von den genuschelten Texten versteht man wie gewohnt nur Bruchstücke, doch man vermutet, dass sie so weise sind wie der Sänger selbst, der wenn man es nicht genauer wüsste auch gut und gerne 100 Jahre alt sein könnte. „Turn on the tea and let it brew / I like six cups not one or two“, so viel versteht man immerhin. Nach sechs Tassen zieht man beseelt von dannen, mit dem Versprechen den alten Mann bald möglichst wieder zu besuchen.
Michael Hurley – In The Morning (Preview)
[audio:http://www.honestjons.com/media/Michael%20Hurley/Blue%20Hills/preview/01.MH.mp3]Michael Hurley – Tea (Preview)
[audio:http://www.honestjons.com/media/Michael%20Hurley/Blue%20Hills/preview/06.MH.mp3]78s wird seit Juni 2015 nicht mehr redaktionell betreut. Die Kommentarfunktion ist deswegen deaktiviert.