Dr. Pop, wie wichtig sind Produzenten?
Von Dr. Pop | 23. September 2010 | 3 Kommentare
Produzenten waren lange Zeit die Schattenmänner der Popmusik. Heute drängen sie sich mehr und mehr in den Vordergrund.
Das muss man sich mal vorstellen. Da geht das herzige Nicht-ganz-Supertalent Julia Maria Sakar doch tatsächlich mit Giorgio „Synthesizergott“ Moroder ins Studio. Wie die Teenagerin kürzlich auf Tele Züri verraten hat, sei eine Zusammenarbeit geplant. Was wird der Starproduzent aus der Kleinen machen? Eine Discokugellolita? Eine Stroboskopprinzessin? Oder am Ende doch nur ein weiteres Popflittchen?
Giorgio Moroder hat Ende der 70er eine Entwicklung eingeleitet, die den Produzenten zum eigentlichen Star der Musik gemacht hat. Dank der elektronischen Klangproduktion waren im Studio plötzlich gar keine Musiker mehr nötig. So hat sich der Beruf des Musikproduzenten vom Tontechniker hin zum Künstler verlagert, der arrangiert, komponiert und Beats bastelt. Dr. Dre und Kanye West haben ihre Karrieren beide als Produzenten begonnen.
Gleichzeitig hat der technische Fortschritt dem unerschwinglichen Gerätepark des Musikproduzenten die Daseinsberechtigung entzogen. Seit man Phil Spectors Wall Of Sound mit GarageBand hochziehen kann, lässt sich jeder Proberaum zum Heimstudio umfunktionieren. Die Folgen dieser Entwicklung treten immer deutlicher zutage: Die durchschnittliche amerikanische Chillwave-Produktion klingt als wäre sie auf einem „My first Sony“-Recorder entstanden.
Für Bands, die ihre Musik nicht auf dem Computer zusammenschustern, sind Produzenten nach wie vor Schlüsselfiguren. Die meisten Musiker haben zwar eine Vorstellung vom Sound ihres Albums, können diese aber nur leidlich in die Tat umsetzen. Also nimmt man einen Kleinkredit auf, den man mit etwas Glück in einen Profi investiert, der das nötige emotionale Gespür mitbringt. Denn der Produzent ist ja immer auch ein Teampsychologe. Es gilt die Egos auszubalancieren und Streitigkeiten zu schlichten. Mittels subtiler Manipulation der Gruppendynamik setzt der erfahrene Studioguru ungeahntes kreatives Potential frei.
Die Arbeit des Musikproduzenten lässt sich am ehesten mit der des Filmregisseurs vergleichen. Seine Aufgabe ist die technische und künstlerische Leitung. Er bestimmt, wann eine Aufnahme im Kasten ist. Wie bei den Filmemachern gibt es auch bei den Musikproduzenten solche mit einem dokumentarischen Anspruch, wie beispielsweise Steve Albini oder Rick Rubin, immer mehr aber eben auch solche, die als Autoren kreativ ins Geschehen eingreifen, wie Danger Mouse oder Dan The Automator (zwischen welchen man übrigens einen interessanten Direktvergleich ziehen kann: letzterer hat das erste, ersterer das zweite Gorillaz-Album produziert).
Die Charts werden heute mehr denn je von einigen wenigen Superproducern dominiert, die den musikalischen Zeitgeist prägen. Man wird nicht zum Star, weil man supertalentiert ist, sondern weil man von einem einflussreichen Produzenten zum Star gemacht wird – sei es von Roman Camenzind oder von Timbaland. Wir tanzen nicht zur Musik von M.I.A., sondern zu den Beats von Diplo. Nicht Amy Winehouse hat die Retrosoulwelle ins Rollen gebracht, sondern Mark Ronson. Lady Gaga hat ihrem Produzenten angeblich gar ihren Künstlernamen zu verdanken.
Pop wird heute in erster Linie von Produzenten gemacht, Musik aber nach wie vor von Musikern. Man sollte die Rolle des Musikproduzenten deshalb weder unter- noch überschätzen.
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