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John K Samson: „Bach würde heute Videospielmelodien komponieren“

Von    |   17. September 2010   |   0 Kommentare

John K Samson, seines Zeichens Frontmann der Weakerthans, veröffentlicht heute nach „City Route 85“ seine zweite Hommage-EP an Winnipeg. Im Gespräch mit 78s erklärt er seine Hassliebe zu Winnipeg und was J. S. Bach mit Videospielen zu tun hat.

Provincial Road 222 ist eine Strasse, die mitten durch einen Vorort von Winnipeg namens Riverton geht. Die Songs auf der so benannten EP hingegen, gehen mitten durchs Herz. Auf der Scheibe findet man kleine Geschichten, die in sich so vollkommen sind, dass man das Gefühl hat, selber die Strasse entlang zu laufen.

„The Last And“ handelt von einem Primarschullehrer an der Riverton Early Middle School, der mit einer unglücklich geendeten Affäre mit der Schulleiterin zurecht kommen muss. „Petition“ hingegen ist der Text zu einer Online-Petition, um Reggie „The Riverton Rifle“ Leach in die Hockey Hall Of Fame aufzunehmen. Der Song, der jedoch am meisten Fragen aufwirft, ist „Stop Error“, ein Stück über das Kleinstadtleben eines videospielangefressenen Teenagers. Musikalisch hat sich John K Samson hierfür bei Bachs Chorälen bedient. Wir wollten mehr darüber wissen.

Was ist es, dieses Ding mit dir und Winnipeg: Hass oder Liebe?

Bestimmt beides (lacht). Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht, da hasst man seine Stadt auch mal gehörig (siehe und höre „One Great City!“). Aber egal, wie viel ich herumreise, ich komm immer zurück nach Winnipeg und es fühlt sich gut an. Es ist ja auch immer eines der wichtigsten Themen in meinen Songs. Bei Provincial Road 222 war es aber anders, ich habe mich nicht mit Winnipeg selbst beschäftigt, sondern mit einer Kleinstadt, in der – eben – die Provincial Road 222 verläuft.

Aber die kennst du niemals so gut wie deine eigene Stadt?

Nein, aber genau das war das Spannende daran. Ich kenne Riverton praktisch gar nicht. Ich musste mich dieses Mal viel intensiver damit beschäftigen, durch die Strassen schlendern, mir die dortigen Geschichten aneignen.

City Route 85 war mehr eine Lo-Fi Solo-EP. Auf Provincial Road 222 hast du eher einen orchestralen Ansatz gewählt. Warum?

Eine Handvoll klassischer Musiker, mit denen ich gearbeitet hatte, hörte sich die Songs an, an denen ich gerade sass. Es war mir klar, dass ich sie auf der EP haben wollte. Die Herangehensweise klassischer Komposition faszinierte mich. Obwohl – der eine Song auf der 7“, Stop Error, wurde nicht instrumentiert. Er besteht nur aus einem Chor. Ich bin in Kinderchören aufgewachsen, es war mir also gar nicht mal so fremd.

Genau zu diesem Song kommen wir jetzt. Was kannst du uns über Stop Error erzählen?

Als ich den Text geschrieben habe, habe ich oft an J. S. Bach gedacht. Ich dachte an diese Kleinstadtteenies, die den ganzen Tag vor dem Bildschirm hocken und die Welt durch ein Game zu verstehen versuchen. Ich hatte dieses Bild von einem Jungen im Kopf, der die ganze Nacht durchspielt und zum Leitmotiv von Call Of Duty 4 eindöst und dazu wieder aufwacht. Die Melodie dieses Spieles ist wunderschön, weisst du das?

Nein, wusste ich nicht. Aber was hat das jetzt mit Bach zu tun?

Das hat sehr wohl etwas mit Bach zu tun. Wenn Bach noch am Leben wäre, würde er heute zweifelsohne Videospielmotive schreiben. Sie sind etwa 20 Sekunden lang und werden konstant wiederholt, genau wie seine Hymnen. Dahinter stecken zudem meist unglaubliche Komponisten, genauso wie er einer war. Ich habe meinem Text eine von Bachs Chorälen unterlegt und so entstand „Stop Error“. Ausserdem interessieren mich Online-Games.

Du zockst?

Nein, ich habe dieses ganze Phänomen irgendwie verpasst. Als ich klein war, gab es das noch nicht und heute, nun ja, ich denke, grundsätzlich fehlt mir die nötige Feinmotorik dazu. Aber Jason (Drummer bei The Weakerthans) hat sich mal ziemlich intensiv damit beschäftigt, als wir auf Tour waren. Wir haben nach den Konzerten Leute getroffen, mit denen er gespielt hat. Das war ziemlich seltsam. Da begann ich mich für diese Kultur zu interessieren. Bei Call Of Duty gibt es Netzwerke, „Communities“, die Spieler kämpfen in Gruppen, schmieden Pläne über das Internet. Das ist eigentlich ganz schön verrückt.

Der dritte Teil der „Winnipeg Series“ erscheint voraussichtlich im Februar. „Dieses Mal geht es um den südlichen Teil der Stadt. Da gab es lange ein Zentrum für Tuberkulose, das jetzt verlassen und ziemlich runtergekommen ist. Ich werde mir das mal genauer ansehen“, so der begnadete Songwriter. Mit einer Weakerthans-Europatour könne man in nächster Zeit nicht rechnen. Eine zweite Solo-Tour sei wahrscheinlicher. Die letzte behält John auf jeden Fall in guter Erinnerung: „Da spielte ich in dieser Zürcher Spelunke… Hafenkneipe hiess die. Das ist meine Lieblingsbar auf der ganzen Welt. Echt jetzt!“ Man darf also hoffen.

> „Provincial Road 222“ erscheint heute bei Grand Hotel Van Cleef als limitierte 7″. „Petition“ kann man sich auf John K Samsons Facebookseite anhören.

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