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Dr. Pop, wie soll ich meine Plattensammlung ordnen?

Von    |   20. Januar 2010   |   22 Kommentare

Ob alphabetisch oder chronologisch, stilistisch oder autobiografisch – jedes Ordnungssystem hat seine Vor- und Nachteile.

Die Probleme des ordnungsbeflissenen Plattensammlers sind mannigfaltig: Reiht man das Black Sabbath-Tribute-Album bei den Compilations ein oder stellt man die Scheibe doch besser an die Peripherie der gesammelten Werke von Ozzy & Co? Gehören die Platten von !!! an den Anfang oder ans Ende des Regals? Oder soll man sie eben doch unter T einordnen, weil man insgeheim stolz darauf ist, über die korrekte Aussprache der Band Bescheid zu wissen?

Die archivarischen Streitfragen, mit denen sich Plattensammler herumschlagen, gleichen mitunter den Problemen eines Bibliothekaren. So mancher Musikhörer stellt das alphabetische Ordnungssystem jedoch grundsätzlich in Frage. Zu Recht, denn was hat ABBA schon mit Abwärts zu tun oder ZZ Top mit Zelmanie, Sophie? Eine alphabetische Struktur mag zwar die Zugriffsgeschwindigkeit auf die Tonträger erhöhen, doch Iggy ist nun mal kein geborener Pop und eine Plattensammlung kein Telefonbuch.

Eine alphabetisch geordnete Plattensammlung ist in etwa so sexy wie eine nach Republiken sortierte Briefmarkensammlung. Insbesondere wenn die Werke der einzelnen Künstler in einem zweiten Schritt auch noch chronologisch geordnet werden. Es soll gar Musikhörer geben, die ihrer Sammlung mit einem numerischen Ordnungssystem zu Leibe rücken. Solch spiessige Pedanterie erstickt das individuelle Charisma einer Sammlung jedoch vollends. Meisterwerke werden zu Karteikarten degradiert.

Der wahre Connaisseur, so weiss man, ordnet seine Platten nach höchst subjektiven Kriterien. Er alleine verfügt über den Schlüssel zu seiner Sammlung. Auch Rob Gordon findet es beruhigend zu wissen, dass sein Ordnungssystem von keinem Aussenstehenden durchschaut werden kann. Der autobiografische Ansatz des Protagonisten von High Fidelity hat durchaus seinen Reiz, schliesslich konservieren Platten Erinnerungen wie kaum ein anderes Medium. Allerdings erleichtert es die Suche nach einem Album nicht unbedingt, wenn man sich erst an das genaue Kaufdatum erinnern muss.

Dem autobiografischen Prinzip diametral entgegengesetzt ist der musikhistorische Ansatz. Ziel dieser Strategie ist die Rekonstruktion der Popgeschichte im eigenen Wohnzimmer. Mit der Akribie eines Wissenschaftlers konsultiert man Labelkataloge und Diskografien, um Alben korrekt im popkulturellen Kontext einzuordnen. In der Hoffnung Bezüge zwischen den Werken verschiedener Künstler herstellen zu können, durchforstet man Booklets nach Gastmusikern und Produzenten. Oder man versucht anhand seiner Sammlung die Evolution einzelner Genres exemplarisch aufzuzeigen.

Mit fortschreitendem Professionalisierungsgrad beginnen viele Sammler sich am Plattenladen ihres Vertrauens zu orientieren. Sie errichten im Geiste Fächer für Krautrock, Singer-Songwriter und Post-Punk und versuchen darüber hinaus Feinabstufungen innerhalb der Genres herauszuarbeiten. Das stilistische Ordnungsprinzip hat den Vorteil, dass man für jede Lebenslage den passenden Musikstil zur Hand hat. Man kann gar eine rein funktionale Kategorisierung in Erwägung ziehen und seine Sammlung anhand von Jahreszeiten, Drogenarten oder Kochrezepten sortieren.

Der grosse Nachteil von stilistischen Systemen ist, dass das Gesamtwerk von eklektischen Künstlern in Fragmente zerfällt. So hat jede Strategie ihre Vor- und Nachteile: Eine nach optischen Kriterien sortierte Sammlung sieht zwar schick aus, ist ohne fotografisches Gedächtnis aber ziemlich unübersichtlich in der Handhabung. Eine emotionale Gliederung erleichtert zwar das stimmungsgerechte Hören, führt einem das persönliche Psychogramm jedoch mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen. Eine Kategorisierung auf der Mikroebene anhand von einzelnen Instrumententypen mag zwar das Vertonen von Filmen erleichtern, kann aber leicht zur unlösbaren Lebensaufgabe werden.

Das ideale Archivierungssystem ist nicht zuletzt auch von den Hörgewohnheiten abhängig: Als World-Music-Hörer kann es durchaus Sinn machen, die Sammlung nach Ländern zu sortieren. Mancher Indie-Nerd erachtet es als zweckdienlich, seine Sammlung nach Labels zu ordnen. Elektro-DJs sortieren ihre Platten nach Beats Per Minute und Soundtrackfetischisten brüten über der Frage, ob sie ihre Sammlung nach Filmtiteln oder nach Komponisten ordnen sollen. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie fühlen sich gelegentlich wie Sisyphos. Kaum ist die Ordnung wiederhergestellt, zerfällt sie auch schon wieder.

Egal für welches System man sich entscheidet, der chaotisch wuchernden Natur einer Plattensammlung ist mit Ordnungsprinzipien nur schwer beizukommen. Doch es geht ja auch nicht um die Ordnung an sich, sondern um die therapeutische Wirkung des Sortierens. Wer seine Plattensammlung neu ordnet, kann sich einbilden, dadurch auch sein Leben besser in den Griff zu kriegen.

> Leserfragen an: dr.pop(ät)78s.ch

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22 Reaktionen

  1. Plattensammlung ordnen : venue music
  2. Streugut von 22.01.2010 | Hey Tube
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  1. #1 Mathias Menzl

    14:25 Uhr, 20.1.2010, Link

    word! die sammlung zu ordnen, reinigt die seele!

  2. #2 Mathias Möller

    14:51 Uhr, 20.1.2010, Link

    Oh ja. Meine Neuordnung steht kurz vor dem Abschluss. Leider total spiessig in alphabetischer und dann chronologischer Reihenfolge. Einfach der Praktikabilität halber. Alles andere kann man sich einfach nicht merken oder macht es unnötig kompliziert. Ausserdem finde ich es manchmal ganz witzig zu sehen, was dann so nebeneinander steht. Die Freuden des einfachen Mannes.

  3. #3 viennese dude

    15:22 Uhr, 20.1.2010, Link

    Sehr interessantes Thema und auch ein guter Artikel, allerdings geht ein Diss raus an Dr. Pop, dass er den Protagonisten von High Fidelity als Rob Gordon bezeichnet. So hiess er nämlich nur in der Verfilmung, die die originale Geschichte eher unangebrachterweise in die USA verlegte. Damit lässt Dr. Pop offensichtlich eine Präferenz gegenüber des Filmes durchklingen, was natürlich gar nicht geht ;-)

    P.S. Im Buch hiess er Rob Fleming.

    P.P.S. Ähnlich ignorant wie auf einem Schweizer Blog das „ß“ zu verwenden, wie es mir gerade passiert ist – ein Hoch der Editier-Funktion hier!

  4. #4 Christoph Brunner Caffi

    15:59 Uhr, 20.1.2010, Link

    Alphabetisch chronologisch. Anders ist dieser Menge Platten nicht beizukommen.

  5. #5 Dr. Pop

    16:04 Uhr, 20.1.2010, Link

    @viennese dude: In der Tat ein unverzeihlicher Faux-Pas. Die amerikanisierte Verfilmung kann dem britischen Humor des Buchs nicht ansatzweise gerecht werden, da gebe ich Ihnen Recht. Warum sind Filme immer schlechter als Bücher – wäre ja auch mal ein Thema.

  6. #6 to01

    19:59 Uhr, 20.1.2010, Link

    nach der farbe der rücken, der ästhetik wegen.

  7. #7 matu

    20:17 Uhr, 20.1.2010, Link

    ich bevorzuge iTunes ;) solche Fragen stellen sich für mich zum Glück nicht (mehr)

  8. #8 Tom

    21:07 Uhr, 20.1.2010, Link

    Hu, schöner Artikel, hatte die Tragweite einer solchen Entscheidung noch gar nicht bedacht. Ich halte es wie to01, ich sortiere nach Farbe der Rücken. Funktioniert bei grad mal 300 Platten noch ganz gut.

    btw: Heißen !!! ausgeschrieben nicht Chk Chk Chk?

  9. #9 Phil

    21:33 Uhr, 20.1.2010, Link

    Hm, Dr. Pop. Beim Lesen der Überschrift habe ich natürlich auf die ultimative Lösung dieses existenziellen Problems gehofft. Das haben Sie nicht geboten. Aber wie könnten Sie auch!
    Die endgültige Erleuchtung dieses Themas stufe ich mittlerweile als deutlich wichtiger und bedeutungsschwangerer ein als die zwischenzeitlich langweilenden Fragen nach dem Sinn des Lebens und ähnlichem Kram.
    Und das meine ich nicht ironisch wie man jetzt vielleicht vermuten könnte. Die beschriebene Problematik ist tatsächlich – für mich jedenfalls – von ungeahnter Tragweite.

    Bei der MP3-Sammlung ist der Ansatz klar, da gibt’s meiner Meinung nach nur die alphabetische Ordnung. Aber im CD- oder Vinyl-Regal? Undenkbar! Vor allem wenn man viele Tonträger besitzt und diese aufgrund ihrer Masse an verschiedenen Plätzen gelagert werden müssen. Ich habe mir deshalb auf Weihnachten von einem Schreiner ein massgefertigtes Regal bauen lassen, in das über 1400 CDs passen. Dies mit dem Hintergedanken dass man endlich Ordnung ins Chaos bringen könnte wenn man den Grossteil der Silberlinge auf einem Haufen stapeln kann. Aber – das Problem besteht weiterhin. Kompakter zwar, aber keineswegs lösbarer……

  10. #10 David Bauer

    21:47 Uhr, 20.1.2010, Link

    Genauso wichtig wie das Sortieren ist das Aussortieren. Ich liebe die klärende Wirkung, die das gelegentliche Bereinigen der Plattensammlung hat.

    Davon abgesehen muss ich mir wohl wirklich mal überlegen, von der alphabetischen Ordnung zu einer rein visuell orientierten über zu gehen. Finden muss ich die Platten schon länger nicht mehr, digitaler Sammlung sei Dank, da könnte man also ruhig Ästhetik über praktischen Nutzen stellen. Danke für die Anregung.

  11. #11 Kai Nehm

    08:10 Uhr, 21.1.2010, Link

    grob nach Genre, die Genres autobiographisch und innerhalb der Genre nach Rückenfarbe.
    Genres kann man auch revers autobiographisch sortieren – nach dem gefühlten Zeitpunkt, wann man das nicht mehr dauernd gehört hat.

  12. #12 Dr. Pop

    10:00 Uhr, 21.1.2010, Link

    @tom: Zwar ist chk-chk-chk tatsächlich die konzeptionell mündliche Schreibweise von !!!, doch wenn Sie das aussprechen, werden Sie merken, dass Ihr Mund in der ersten Millisekunde einen alveolaren Plosiv – ein T – formt. Allerdings macht ein phonetisches Ordnungssystem wohl ohnehin lediglich für promovierte Linguisten Sinn…

  13. #13 Sam

    11:23 Uhr, 21.1.2010, Link

    @Dr. Pop: i lol’d

    Ich habe meine Sammlung nach Alter der Schrift auf dem Rücken geordnet. Die nächste Unterordnung wird anhand der Druckrastergrobheit durchgeführt.

  14. #14 mic

    17:03 Uhr, 21.1.2010, Link

    als ich meine platten noch in kisten aufbewahrt hatte, wusste ich immer sofort, wo welche steht. ein griff – und ich hatte das gewünschte exemplar. und das obwohl ich nur grob nach genre geordnet hatte. seitdem ich aus platzgründen ein expedit befüllt habe und mich nicht mehr mit beiden händen durch die sammlung arbeiten kann, habe ich allerdings ein wenig die orientierung verloren. woran mag das liegen? hat der körper auch ein gedächtnis?

  15. #15 Basil

    23:02 Uhr, 21.1.2010, Link

    Ich hätte schwören können, ich habe den Artikel schon vor einiger Zeit einmal gelesen.

    !!! nennen sich selber immer wieder anders, beispielsweise uh uh uh, pow pow pow oder – am bekanntesten – chk chk chk. Wieso unter „t“ einordnen ist mir nicht ganz klar.

  16. #16 juliaL49

    18:54 Uhr, 22.1.2010, Link

    Das mit dem Fleming ist ja nun schon geklärt (Gibt es eine Erklärung? Ich konnte da nichts finden, als ich vor einiger Zeit mal suchte)

    Aber die Anregung von David Bauer finde ich gut, denn ich höre wirklich nur fast noch in digitaler Form. Momentan ist meine Sammlung nach seltsamen Kriterien geordnet (Künstler mit mehr als 7 Alben in meiner Sammlung, Liveaufnahmen, Best Ofs etc) und dann – gasp – alphabetisch.

  17. #17 Padde

    19:31 Uhr, 22.1.2010, Link

    Einfach rippen und dann rein ins bunte Regal zwischen die alten Playstationspiele unter den Wellensittich – mein bester Kritiker. Aber danke für den Rauch um nichts, interessantes Thema! (=

  18. #18 Anglikoner

    15:08 Uhr, 26.1.2010, Link

    Tja, euer Glück der späten Geburt. Ich hab fünf Bananenkisten voll Kassetten, eine Kiste Mastertapes, gut 250 LPs und Vynilsingles, zwei 8spur-Cartridges, eine Schachtel Minidiscs, etwa 500 Songs auf iTunes und ein Ikea-Billy mit knapp 1000 CDs. Ein Freund hat die CD am Boden seines Wohnzimmers parkiert, CD an CD rundherum und erst noch alphabethisch. Meine CD-Welt beginnt zuoberst mit Fifties, Sixties und Seventies, dann Punk und Wave, Indie 80ies und 90ies, Nuller Rock, dann ein Stapel Singersongwriters und vier Stapel Sängerinnen. HipHop nur etwa 50 Stück, dann Elektronik, Drum’n’Bass, Sun Ra und so Jazz, wenig Klassik und zuunterst Deutsche und Swiss Stuff. Und jetzt erwarte ich Kommentare zum Frauenregal!

  19. #19 zulu

    21:38 Uhr, 9.3.2010, Link

    @ David Bauer: Aussortieren ist definitv keine Lösung. Ich habe noch immer Phantomschmerzen seit ich vor sieben Jahren einen guten Teil meiner „das ist doch nur noch peinlich“-LPs im Brockenhaus entsorgt habe. Auch wenn ich die Platten bis heute nie mehr gehört haben würde. Ab und zu stöber ich im Regal, nur um was nachzuschauen. Und siehe da: Die LPs sind weg! Autsch! Ansonsten mag das mit dem alphabetischen Einräumen zwar spiessig sein. Aber ungemein praktisch.

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