Musée Mécanique oder wie aus Zwieback Lebkuchen wird
Von Marco Durrer | 14. Januar 2010 | 3 Kommentare
Mit ihrem Debüt beschwören Musée Mécanique auf magische Weise den Geist der Vergangenheit und verwandeln harten Zwieback in leckeren Lebkuchen.
Verlassen sitzt er auf dem Sattel eines kalten Pferdes, nur einzelne Schneeflocken umtanzen das seit Ewigkeiten ruhende Karussell. Melancholisch betrachtet er die abgeblätterte Farbe, entdeckt sie auch an sich. Doch plötzlich knistert’s aus den Lautsprechern und die rostige Mechanik beginnt zu rattern. Ein leicht trauriger Tenor und ein kleines Orchester taucht die Welt mit luftigen, nostalgiegetränkten Melodien in milde Sepiatöne.
Der stillgelegte Jahrmarkt erwacht zum Leben, beginnt sich zu bevölkern, mit geisterhaften Schatten aus vergilbter Erinnerung. Das Karussell dreht sich in neuem Glanz durch die verblassten Bilder einer längst vergangenen Kindheit, die nicht die seine war. Familien schlendern und lachen um die Wette. Ein Mädchen tänzelt mit ihrem Teddy Pirouetten bis zum Schwindel. Ein kleiner Junge mit schäbiger Kleidung aber schicker Mütze weint, vor ihm ein Lolli im schmutzigen Schnee. Auf dem Pferd schräg vor ihm reitet ein Mädchen mit wehendem Haar, bedingungslos glücklich, noch nichts ahnend vom ständigen Auf und Ab des Lebens. In gefühlter Zeitlupe blickt es über die Schulter und strahlt ihn an.
Augenblicke, vielleicht so alt wie die allerhand verstaubten Klanggeräte des Musée Mécanique und der danach benannten Kapelle – und doch so frisch wie der Traum von letzter Nacht, in den ihn leise Sehnsucht zurückzieht. Dorthin, wo’s so spannend war ohne was zu tun. Wo alles ohne Grund geschah, Zeit keine Rolle und die Welt ungefährlich verrückt spielte. Die in der Musik mitschwingende Schwermut erinnert ihn jedoch daran, bald wieder aufwachen und anstatt in den süssen Lebkuchen in trockenen Zwieback beissen zu müssen.
Seltsam, doch Bilder wie diese gehen einem durch den Kopf, wenn man Musée Mécanique hört und bei Pitchfork die treffendste Beschreibung bereits gelesen hat: „Their shy yet florid debut is tinged with sadness, like a painted carousel sitting empty in winter, mourning for a time they – or we – never even knew“.
Kennengelernt haben sich Sean Ogilvie und Micah Rabwin vor über einem Jahrzehnt im Literaturkurs an der High School irgendwo in Kalifornien, seither wird zusammen musiziert. Doch erst die gemeinsame Leidenschaft für die im Musée Mécanique von San Francisco ausgestellten antiquarischen, münzbetriebenen (Musik-) Maschinen liess die Vision vom ganz eigenen, ungemein nostalgischen Stil reifen.
Wie in einer reich verzierten Wunderlampe bewahren sie in den 45 Minuten ihres ausgewogenen Debüts den Geist einer unbekannten, vielleicht bloss geträumten Vergangenheit. Zehn (beinah) gleichwertige Songs widerspiegeln eine je andere Sequenz des selben Traums – bis man am Ende realisiert, dass auch trockener Zwieback fast wie ofenfrischer Lebkuchen schmeckt, wenn man nur feste daran glaubt.
> Das erstaunlich entrückende Album „Hold This Ghost“ (Souterrain Transmission / Irascible) erscheint am 22. Januar.
Like Home (Video)
[audio:http://media.daytrotter.com/audio/dt/musee-mecanique-like-home.mp3]
3 Reaktionen
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08:32 Uhr, 21.1.2010, Link
Ein absolutes Schmuckstück von einem Album!
15:43 Uhr, 11.9.2010, Link
am 14. september übrigens live im El Lokal zu sehen! vorher (zw. 18 – 19.30uhr) ist im oder um das lokal noch die aufnahme einer showtogo geplant – wer sich also mal ins bild schleichen will…