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Die Nullerjahre gehörten dem Hip Hop!

Von    |   14. Dezember 2009   |   54 Kommentare

Soll man als Gast-Autor Höflichkeit walten lassen? Ertragen die Gitarren-Helden die Wahrheit? Denn die lautet: Die Nullerjahre gehörten dem Hip Hop. Dazu tanzte die Welt. Nicht zu Indie-Emo-Core-Post-Blabla-Heulsusen-Rock. Beweise gefällig? Voilà! 10 Stück.

Jay-Z (cc: Kim Erlandsen)

1. Der Mundart-Boom
Endlich wurde den angejahrten Polo-Kuno-Hofer-Laueners das Mundart-Monopol entzogen. Nun wurde in Reimen gebündnert, gebaslert, gezürchert und gebernert. Die Schweiz kriegte ihren Ich-dreh-bald-durch-und-ihr-wegen-mir-auch-Gimma, ihren Ich-will-den-Erfolg-um-jeden-Preis-Bligg und ihren Ich-erkläre-euch-die-Welt-Greis.

2. Die Beachteten: «Fuck Blocher!»
Über wen zerrissen sich die Medien den Mund? Genau: über die bösen Rapper, die unsere Jugend verderben. «Fuck Bloschäär!», krakeelten diese zurück. Und wurden damit gehört. Sogar von der NZZ: «Immer mehr Stress», titelte die Alte Tante.

3. Der König: Jay-Z
Mit dem «Black Album» (2003) sagte Jay-Z alles. Über sich, New York, Hip Hop per se. Und der von Rick Rubin produzierte «99 Problems» ist ein Über-Track der Nullerjahre. Ja, Mutter Carter hatte Recht, wenn sie im Intro zu «December 4th» sagt: «Shawn was a special child».

4. Der Erfolgreichste: Eminem
Keiner verkaufte in den Nullerjahren mehr Platten als Eminem. 10 Millionen mal gingen die Alben «The Marshall Mathers LP» (2000) und «The Eminem Show» (2002) über die Theke. Die Krise der Musikindustrie verschonte aber auch Herrn Shady nicht: vom letzten Album «The Relapse» (2009) setzte er noch 1,5 Millionen Stück ab.

5. Der Super-Produzent: Timbaland
Keine Hitparade war vor ihm sicher: Timbaland. Zunächst schneiderte er Missy Elliott ihre synkopierten Staccato-Klangkleider. Später machte er Nelly Furtado zur Männerfresserin (2006) und brachte mit Justin Timberlake «SexyBack» (2006).

6. Die Aliens: Outkast
«Im Zentrum der Erde, sieben Lichtjahre unter dem Meeresspiegel», von dort kämen alle «funky thangs» her, rappen Outkast auf ihrem wegweisenden «Stankonia»-Album (2000). Das Hip-Hop-Duo aus Atlanta verwurstet die unterschiedlichsten Musikrichtungen zu einem alien-haften Neuen und konterkariert den Bierernst der Rap-Kultur.

7. Der Spinner: Lil Wayne
«I know what you watchin: me!», quäkt Wayne auf «Tha Carter III» (2008). Seine Raspelstimme, seine Wortverdrehungen, seine schlüpfrigen Versprecher: grossartig. Die hypnotische Single «A Milli» brachte dem Hustensirup-Junkie einen Grammy. Bereits legendär sind seine Allüren: seit bald einem Jahr wartet man auf sein nächstes Werk. Ein Rock-Album.

8. Der (vermeintliche) Totengräber: Nas
Eine schwarze Rose ins Erdloch: Ruhe in Frieden, o Hip-Hop! Der New Yorker Nas trägt auf dem Cover von «Hip Hop Is Dead» (2006) zu Grabe, was ihn berühmt gemacht hat. Den Rap. Doch Nas überwindet den Tod des Genres: mit der zeitlosen Eleganz des einfachen Beats.

9. Der (echte) Totengräber: Kanye West
Auf der Bühne: ein Podest mit kristallförmiger Verkleidung. Darauf placiert: ein Mikrofonständer. Die Band ist in der Bühnentiefe versteckt. Open Air Frauenfeld 2009. Auftritt Kanye. Er leidet, stampft, zuckt – und: singt! Obwohl er hörbar nicht singen kann. Der Musiker als Autist. Nur für zwei Songs wagt er sich von seinem Podest, nie sucht er den Kontakt zum Publikum. Sogar die vier mit Goldfarbe besprühten Oben-ohne-Girls dienen nicht dem Aufgeilen der Zuschauerschaft: Einem Tableau vivant gleich drapieren sie sich zu des Künstlers Füssen.

10. Der Retter: Kid Cudi
Kid Cudi berührt. Er rappt nicht die x-te Ode an die Glitzerwelt, die Härte der Strasse, das Aufplustern, das Gockelhafte, die Aggression. Stattdessen zimmert sich der «Man on The Moon» (2009) ein märchenhaftes Sonderling-Universum; worin selbstverständlich auch Platz für gutaussehende Frauenzimmer ist. Kid Cudi befreit den Rap von seiner Zwangsmoral!

*Matthias Daum ist freier Journalist in Zürich. Er schreibt regelmässig für die NZZ und Die Zeit.

Bildcredit: Kim Erlandsen, NRK-P3

54 Reaktionen

  1. Rap ruled the 00s » Matthias Daum
  2. » The Roots – 22 kostenfreie Instrumentals | 78s - Das Magazin für bessere Musik
  3. Hip Hop rules the first decade | myoon
  1. #1 Andreas

    12:01 Uhr, 14.12.2009, Link

    Leider ein toller Artikel. Als bekennender HipHop Hasser kann ich mich der profunden Argumentation grässlicherweise nicht völlig verschliessen. Mist. Die Nuller als HipHop- und nicht als The-White-Ferdinands Jahrzehnt? Eine schreckliche Vorstellung. Gehe jetzt in mich und höre wenigstens Laura Marlings Eminen Cover.

  2. #2 Mathias Möller

    12:35 Uhr, 14.12.2009, Link

    Selbst wenn das stimmt, was du schreibst, lieber Matthias (und ich denke nicht, dass das Jahrzehnt wirklich dem HipHop gehörte – höchstens, was Medienpräsenz angeht), stellt sich doch die Frage: Was hat HipHop davon? Ich bin nämlich (ohne ausgewiesener HipHop-Kenner, aber ganz sicher auch kein -Verächter zu sein) d’accord mit Sasha Frere-Jones vom New Yorker und Simon Reynolds (u.a. The Guardian), die beide die Nullerjahre als Niedergangsjahrzehnt des HipHop sehen.

    Kreativ ist HipHop derzeit in der Sackgasse. Die genreinterne Meinungshoheit haben die Harten (Gangster et al.), und dass die mittlerweile gut zwanzig Jahre alte Gangsterpose 2009 noch neu oder interessant ist, wird wohl niemand ernsthaft behaupten. Man schaue nur nach Deutschland, abgesehen von ein paar ganz wenigen Ausnahmen (KIZ, Huss & Hodn) schafft es niemand in die Charts, der nicht die hohle Aggro-/Ersguterjunge-Poisition einnimmt.

    Von ehemaligen kreativen Überfliegern wie Outkast ist heute nicht mehr viel zu erwarten und proklamierte HipHop-Retter wie Kid Cudi werden kommerziell sicher nicht erfolgreicher als der xte Aufguss einer bocklangweiligen 50Cent-Platte (und erhalten somit leider auch nicht mehr Aufmerksamkeit).

    Die Schweiz bildet da erstaunlicherweise eine Ausnahme. Das, was „von hier“ kommt, wirkt auf mich oft interessanter und vor allem offener als das, was aus dem Mutterland zu hören ist.

    HipHop wird deswegen nicht sterben, allerdings bezweifle ich, dass HipHop im folgenden Jahrzehnt die gleiche kulturelle Relevanz besitzen wird wie in den 80ern, 90ern und Anfang dieses Jahrzehnts. Denn nach dem „Black Album“ war doch eigentlich alles gesagt.

  3. #3 nico

    12:39 Uhr, 14.12.2009, Link

    bravo! denn der mainstream bedeutet hier subversivität.

  4. #4 Matthias Daum

    13:05 Uhr, 14.12.2009, Link

    @Matthias Möller: 1. Welches Genre hat denn Deiner Meinung nach grösseren Einfluss ausgeübt? 2. Den beiden Kritiker-Säulenheiligen pflichte auch ich bei. Hip Hop müffelt. Nur tut das seinem Erfolg bis dato kaum einen Abbruch. Martin Schäfer hat vor Jahresfrist in der NZZ mal einen gescheiten Artikel über das Aufgehen der Black Music im Mainstream geschrieben. http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/beige_statt_black_1.829467.html
    Aber noch regiert das Imperium Rap den Pop. Noch tragen Rapper keine Rörchenjeans. Und ich behaupte mal: Totgesagte leben länger. Denn: Rap hat die beste Geschichte zu erzählen. Jene vom Aussenseiter, der es schafft. Egal wie.

    PS: Hier noch die Links zu den von Dir erwähnten Texten:
    http://www.newyorker.com/arts/critics/musical/2009/10/26/091026crmu_music_frerejones
    http://www.guardian.co.uk/music/musicblog/2009/nov/26/notes-noughties-hip-hop

  5. #5 Mathias Möller

    13:39 Uhr, 14.12.2009, Link

    @Nico: Wo ist denn HipHop bitte noch Subversion? Wo die grösstmögliche Akkumulation von Bitches und Bling als (fast einziger) Gradmesser von Erfolg angeführt wird (und das ist nun leider das dominante Thema in Raptexten), hat sich die kapitalistische Sichtweise fest etabliert. Und die ist ne ganze Menge, aber sicher nicht subversiv.

    @Matthias: Kommt drauf an, was du mit Einfluss meinst. Die grösste Marktmacht hatte sicherlich Black Music (mit HipHop als Teil davon), welcher Stil die grösste kulturelle Macht ausübte, wird sich in zwanzig Jahren zeigen, wenn die Bands entweder sagen: Franz Ferdinand haben mich beeinflusst, oder eben: Jigga hat mich beeinflusst. Ich denke nicht, dass man jetzt über die kulturelle Hoheit urteilen kann. Da du offensichtlich auch S.Reynolds verfolgst, hast du sicher auch seinen Artikel zur Zersplitterung der Musik gelesen (http://www.guardian.co.uk/music/musicblog/2009/dec/07/musically-fragmented-decade). Ich denke, dass er auch hier Recht hat.

    Ich stimme dir vollkommen zu: Rap regiert Pop; wenn du unter Pop den marktfähigen Mainstream verstehst. Und die Zeit, in denen Rapper Röhrchenjeans trugen, haben wir ja zum Glück schon hinter uns. ;) Ich sehe es allerdings nicht so, dass Rap derzeit die beste Geschichte zu erzählen hat. Wenn es wieder dazu käme, hätte ich nichts dagegen.

  6. #6 Matthias Daum

    13:49 Uhr, 14.12.2009, Link

    @Matthias Erst einmal: Nichts gegen Bling-Bling! ;-) Und die Wette Franz Ferdinand oder Jigga gehe ich ein. 2029 ziehen wir Bilanz. Und wegen den Geschichten noch eine Präzisierung: ich meint damit die Geschichte hinter den Lyrics. Hip Hop ist für mich die Verkörperung des entfesselten globalen Marktes. Und auch dessen Geschichten sind nach wie vor die populärsten. Krise hin oder her.

  7. #7 Dominique Marcel Iten

    14:08 Uhr, 14.12.2009, Link

    Meiner Meinung nach hat Hip Hop heute ein grundsätzliches Problem: Ich kaufe diesen Acts nicht mehr ab, was sie da rappen.
    Und das ist meiner Meinung nach das Schlimmste, was dem einst so Message-beladenen Sprachgesang passieren kann…

  8. #8 Matthias Daum

    14:15 Uhr, 14.12.2009, Link

    Gegenfrage – ich weiss, ist billig, aber trotzdem: Kaufst Du Morrissey ab, dass nur Stein und Stahl seine Liebe erwidern?

  9. #9 Patrik

    14:21 Uhr, 14.12.2009, Link

    Die beste Gegenfrage seit langem! Und das obwohl ich Morrissey schätze… dieser Schachzug war gross.

  10. #10 Mathias Möller

    14:23 Uhr, 14.12.2009, Link

    Darf ich assistieren? Für die Kunstfigur Morrissey spielt Authentizität keine Rolle, deswegen darf er höchst pathetisch seine Arme in Paris rumwerfen (oder so). Solange ein Rapper aber realness und street credibility für sich einfordert, muss man ihm das auch abkaufen können, was er verzapft. Und ironisch gebrochen wie bei Eminem mitunter ist im Rapgame noch das wenigste.

  11. #11 Patrik

    14:27 Uhr, 14.12.2009, Link

    Kunstfigur Morrissey? Spinnt ihr jetzt total?

    Zudem denke ich genau das Gegenteil: Viele Rapper heutzutage sind wahre Meister der Ironie.

  12. #12 Matthias Daum

    14:29 Uhr, 14.12.2009, Link

    Das verstehe ich jetzt nicht: einem Morrissey, zu dessen pathetischen Songs Abertausende im stillen Kämmerlein ihrer ersten verflossenen Liebe nachtrauerten, gewährt ihr alle künstlerischen Freiheiten aber an einem Rapper setzt ihr Bierernst-Massstäbe an. Realness, Street Cred: das sind auch Inszenierungen. Beziehungsweise ein Spiel mit der Realität und deren Überhöhung. Habe übrigens vor ein paar Jahren mal ‚was dazu geschrieben: http://www.nzz.ch/2006/11/29/il/articleEOTP8.html

  13. #13 Mathias Möller

    14:32 Uhr, 14.12.2009, Link

    Äh, ich verzichte auf den Pluralis majestaetis. Und was ist daran falsch? Morrissey ist Kunstfigur as fuck! Oder glaubst du wirklich, dass niemand ihn liebt? Dass er noch nie Sex gehabt hat? Was ist mit der sexuellen Ambivalenz, oder mit der Spielerei mit nationalistischen Motiven? Glaubst du wirklich Morrissey ist ein Rassist? Ein Engländer, der Italien und den USA lebt? Wenn jemand eine Diva, eine Kunstfigur ist, dann ist es der Mann, der das M in Manchester reingemacht hat.

    Und für deine These, dass viele Rapper heutzutage Meister der Ironie sind, hätte ich gerne mal ein paar Beispiele. Nicht weil ich es anzweifle, ich höre einfach zu wenig HipHop heutzutage …

    @Matthias: Dann bleibt aber noch die Problematik des Adressaten, bzw. des Rezipienten. Morrissey ist nicht gerade talking to the kids, ich habe ihn erst mit gut 30 Jahren entdeckt. Das war in den 80ern mit den Smiths sicherlich anders, aber heute spricht Morrissey wohl eher eine Zielgruppe an, die jenseits der 20 ist. Deshalb ist die auch ungleich urteilsfähiger als viele der deutlich jüngeren Adressaten des HipHops (das klingt jetzt altklug und arrogant, ich weiss).

    Und, davon ganz abgesehen, wenn ich mir ansehe, wie nicht nur Rapper auftreten, sondern auch das gesamte Umfeld, wie Labelmitarbeiter auftreten und sich Waschzettel zu Promo-CDs lesen, wenn ich an damals denke, als Fler in der laut.de-Redaktion angerufen hat und sich a) geweigert hat, mit einer Frau zu reden und b) wüste, kindische Drohungen um sich geworfen hat, dann bezweifel ich doch arg, dass alles nur eine Inszenierung ist. Fler ist sicher nicht repräsentativ für Rap an sich (Gottseidank), aber er zeigt halt auch auf, wie es gehen kann.

    Aber eigentlich mag ich HipHop ja, das möchte ich nochmal unterstreichen!

  14. #14 Patrik

    14:35 Uhr, 14.12.2009, Link

    Seh ich auch so, trotzdem ist Morrissey keine Kunstfigur… genau so wenig wie Lil’Wayne. Künstler sind in meinen Augen nicht gleich Kunstfigur. Klar, jeder Künstler lebt von Inszenierungen, aber eine Kunstfigur ist doch nochmal etwas anderes. Slim Shady ist beispielsweise so eine.

  15. #15 Dominique Marcel Iten

    14:45 Uhr, 14.12.2009, Link

    @Mathias: Touché =)
    Auch wenn ich sagen muss, dass ich Morissey nie wirklich nahe an mich herangelassen habe.
    Es geht mir nicht darum, ob jemand mit grossen Gesten und Metaphern um sich wirft…das kann ein Stilmittel sein.
    Vielleicht liegt es an mir, aber ich verstehe das Stilmittel „Frauen, Geld, Autos, Knarren“ nicht wirklich. Und, so traurig es ist, so zelebriert sich Hip Hop der Gegenwart gegenüber der breiten Öffentlichkeit…

  16. #16 David Bauer

    14:57 Uhr, 14.12.2009, Link

    Ich würde mich auch davor hüten, Künstler in Kategorien wie Inszenierung und Authentizität einzuteilen. Jeder Künstler inszeniert sich zu einem gewissen Teil. Manche machen das ganz offensichtlich, manche, indem sie sich als authentisch/nicht-inszeniert inszenieren. Schon gar nicht würde ich daraus unterschiedliche Massstäbe ableiten, nach denen man das Schaffen oder das Verhalten eines Künstlers beurteilen sollte.

  17. #17 Joey

    15:27 Uhr, 14.12.2009, Link

    Und was genau will uns der Autor beweisen?
    Dass sich Rap immer noch gut verkauft? Logo, schau dir die Kids an. Dass Jay-Z ein Über-Track gemacht hat? Du meinst Über-Produziert von Rubin, der’s schon lange nicht mehr bringt.
    Dass Timbaland die Hauptschuld am RnB-Pop Brei und diesen furchtbar sterilen Beats trägt?
    Die Liste besteht weitgehend aus seelenlosen (ehemaligen) Gold-Eseln der Plattenindustrie, die sich selber viel zu ernst nehmen.
    Die Welt die ich kenne tanzt weitgehend zu ganz anderem Zeugs. Schau dir die neuen Teenieserien, die Mode und Werbung an. Da sind doch jetzt alle irgendwie „Indie“ oder wie man dem sagt.
    Und im Aargau, da tanzen sie immer noch zu Tränz.
    Meine 50 Rappen.

  18. #18 viennese dude

    16:52 Uhr, 14.12.2009, Link

    @ Mathias Möller:
    Die Frage der Authenzität der Texte wird im Rap natürlich immer etwas strenger gehandhabt als in anderen Musikrichtungen. Ich denke allerdings, dass es zu differenzieren gilt. Ein Beispiel für die meisterliche Verwendung von Ironie wäre die Berliner Rap-Crew K.I.Z, deren gesamtes Schaffen von einer gewissen Ironie durchdrungen ist, ich würde sogar sagen, auf einer ironischen Grundhaltung aufgebaut ist. Ich gebe allerdings zu, dass mir im deutschsprachigen Rap ansonsten niemand mehr von dieser Relevanz einfällt. Kamp könnte man noch erwähnen, einen Rapper aus Wien, der ein ganz klassisches sample-und wortspielorientiertes HipHop-Album mit Mid-90ies-Feeling vorgelegt hat und damit letzten Sommer in der JUICE zum Album des Monats geworden ist. Das Konzeptalbum trägt den Titel „Versager ohne Zukunft“ und spielt bewusst mit der eigenen Erfolglosigkeit. Trotz einiger Resonanz in der HipHop-Szene ist das allerdings auf keinen Fall mit K.I.Z zu vergleichen, weil diese eben auch kommerziellen Erfolg haben und Kamp außerhalb der HipHop-Szene bzw. außerhalb Österreichs kaum bekannt ist.

    Ich denke allerdings, dass es bei der Frage der Authenzität eines Künstlers in der Pop-Musik grundsätzlich weniger darum geht, ob die Inhalte seiner Texte auf wahren Begebenheiten beruhen – der Punkt ist meiner Ansicht viel eher, ob man es dem Interpreten grundsätzlich abnehmen würde, dass es wahr ist. Bei einem Ice Cube beispielsweise hat es auch immer geheißen, er hätte studiert und keinerlei Gang-Vergangenheit. Ganz sicher ist er allerdings nicht vor dem FBI ohne Kreditkarte durch ganz Amerika geflohen, wie er etwa im Song „Extradition“ von 1998 rappt. Wenn ich mir den Song allerdings anhöre, so verkörpert er den Charakter, der dies in der Geschichte des Songs macht, doch recht glaubwürdig – von der Tonalität der Stimme bis zum Slang und so weiter und so fort. Würde sich Holunder vom Blumentopf, MC René oder Smudo hinstellen und mir die Geschichte erzählen, würde es nicht funktionieren.

    Zu Fler: Der ist tatsächlich ein äußerst seltsamer Zeitgenosse, der im Gegensatz zu einem Sido etwa auch völlig frei von jeglicher Ironie oder auch Selbstironie ist. Ein wirklich komischer Typ, der allerdings auch tatsächlich so beschränkt sein dürfte, wie er sich in seinen Raps präsentiert und so gewissermaßen auch wieder authentisch ist.

  19. #19 flo

    16:55 Uhr, 14.12.2009, Link

    Nun, meiner Meinung nach war die «Hochphase» des CH-Raps aber noch vor der Jahrtausendwende. Genauso in Deutschland, Höhepunkt 1999.

  20. #20 Matthias Daum

    16:59 Uhr, 14.12.2009, Link

    @flo: was heisst «Hochphase»? Als ein paar Dutzend Nasen sich dafür interessierten?

  21. #21 nino

    15:37 Uhr, 15.12.2009, Link

    „die beste geschichte, jene vom aussenseiter, der es schafft. Egal wie“

    geradezu phänomenal verquer, ein solches wertschätzen und hochstilisieren von „emporkömmlingen“, das den (aktuellen) hiphop in konsequenz scheinbar so grossartig machen soll. denn letztlich legitimieren und zementieren genau solche topoi ein system, das die ausgangslage erst schafft, dass es überhaupt zum „emporkommen“ kommen muss, um nicht in einem abgefuckten ghetto perspektivenlos zu krepieren.

    so etwas zu reduzieren und abzufeiern als „gute geschichte“ finde ich einfach nur noch zynisch.

    und abgesehen davon gibt es durchaus hiphop mit subversivem potenzial. rapper vom anticon/mush umfeld wie „sole“ etwa, der tanzbare beats mit sozialkritik verknüpft und darüber hinausgeht, tabus zu brechen. auch in der schweiz gibts das, und heisst Göldin & bit-tuner. das könnte man ja auch mal betonen.
    dreimal „nutte“ zu sagen, mit goldringen rumzuwedeln und einen teuren champagner auf dem blanken arsch einer frau auszuleeren, die genau darin ihre einzige chance zu sehen gezwungen ist, überhaupt irgendwie zu einem auskommen zu kommen, reicht m.E. nicht dafür aus, eine leuchtende fackel im pop-kosmos zu sein. auch in den 2000er jahren nicht.

  22. #22 Matthias Daum

    15:56 Uhr, 15.12.2009, Link

    @nino: nicht, dass ich ein Problem hätte, als Zyniker betitelt zu werden, aber bitte lies doch meine Präzisierung, die ich bereits weiter oben angebracht habe:

    «Und wegen den Geschichten noch eine Präzisierung: ich meint damit die Geschichte hinter den Lyrics. Hip Hop ist für mich die Verkörperung des entfesselten globalen Marktes. Und auch dessen Geschichten sind nach wie vor die populärsten. Krise hin oder her.»

    Deshalb gehörten die Nullerjahre Hip Hop. Er war der Popkultur gewordene Banker-Boni-Dubai-World-Art-Miami-Exzess. Keine leuchtende Fackel im Pop-Kosmos, sondern ein Buschfeuer!

  23. #23 Ron

    16:01 Uhr, 15.12.2009, Link

    Jay Z persönlich meinte ja, dass der Hip Hop, nachdem er die Gitarrenmusik während Jahren ökonomisch überflügelt hat, sich nun ein Besipiel an der gegenwärtigen Indie-Entwicklung nehmen solle. Vielfalt und den Willen zum Neuen findet er im Moment nach eigenen Angaben denn auch bei eher genrefremden Konzerten:
    http://www.youtube.com/watch?v=DaJpCkmp0Z4

  24. #24 Mathias Möller

    16:07 Uhr, 15.12.2009, Link

    Und das, lieber Ron, ist ja das, was ich kritisiere an Matthias‘ Position: Man kann die Relevanz eines Genres nicht auf die reine Marktmacht reduzieren, sondern muss auch die kulturelle Relevanz in Betracht ziehen, sonst wird man zum Kulturpessimist. Und dass HipHop kreativ in der Krise steckt, darauf hatten wir uns ja glaub ich schon geeinigt, oder?

    Ich bin auf jeden Fall für Live-Streitgespräche zu solchen Themen in Zukunft. „78s Beef“ oder so.

  25. #25 nino

    16:16 Uhr, 15.12.2009, Link

    ah, hab ich übersehen, sorry. bin erst spät in den thread eingestiegen.

    dennoch ein einwand: so gelesen müsste die analyse heissen, dass es nicht hiphop, sondern pop im allgemeinen ist, dem die 00er jahre gehören. gut möglich, dass instant gratification und scheinwerfersucht, glorifizierung, geld, glitz und glam etc. im hiphop überdurchschnittlich gut sichtbar sind. aber eben nicht nur dort. tatsächlich liegen diese lange aufgebauten phänome dem ganzen pop zu grunde. gut gespiegelt im (noch immr anhaltenden) 00er-jahre typischen run auf formate wie american idol/popstars/musicstars…

  26. #26 Matthias Daum

    16:18 Uhr, 15.12.2009, Link

    @Mathias: Nun gut, begeben wir uns aufs Glatteis der Kulturdebatte. Also: Was ist «kulturelle Relevanz»? Aber: ein waschechter Kulturpessimist mag sowieso keinen Pop. Und wenn hier gleich jemand seinen Adorno zückt, dann gibt es einen Hobsbawm zurück: «Adorno wrote some of the most stupid pages ever written about jazz!»

  27. #27 Ron

    16:24 Uhr, 15.12.2009, Link

    @Mathias Möller: Ich glaube, da bin ich ganz deiner Meinung. Das sollte nicht deiner Ansicht widersprechen. Der kommerzielle Erfolg hinkt der musikalischen Relevanz ja gerne hinterher, und insofern hat der Hip Hop die 00er Jahre natürlich nicht eigentlich regiert. Ob es heute diesbezüglich noch Sinn macht, in Dekaden zu denken, sollte man sich auch fragen (ich bin jung; keine Ahnung, ob das früher wirklich berechtigter war). Was ich aber eigentlich sagen wollte: Über die Sinnkrise macht man sich auch innerhalb der HipHop-Welt Gedanken. Es ist einfach sinnbildlich, dass sich Jay Z Grizzly Bear zu Herzen nimmt, die Roots zu den Dirty Projectors auf die Bühne steigen und Sachen wie Blakroc entstehen. 78s-Beef?

  28. #28 Reeto von Gunten

    16:25 Uhr, 15.12.2009, Link

    Schöner Artikel.
    Kleine Ergänzung meinerseits zum Thema Nuller-Hip Hop:
    Es ist da das alte Spielchen: Vieles wird von den Medien „aufgeplauscht“ und die „Extremität“ in der Gesellschaft steigt. http://bit.ly/7pAhuv

  29. #29 Matthias Daum

    16:25 Uhr, 15.12.2009, Link

    @nino: Ja, die Popstars-Formate lasse ich als Vize-Könige gelten. Aber Hip Hop bleibt auf dem Thron. (Nur schon, weil irgendwer hier drin ja die Rap-Flagge weiter hochhalten muss.) Im Gegensatz zu den Popstars-Shows wird der Hip Hop aber dem Establishment gefährlicher. Er nutzt deren Waffen, deren Symbole für sich. Grossartig, wie beispielsweise französische Cognac- und Schampus-Firmen plötzlich den Rappern den Hof machten. Rapper sind wie die Russen und die Chinesen, die sich plötzlich in die wohligen Stuben der westlichen Dekadenzija (gibt es das Wort?) setzen und Radau machen. Erschreckt sehen sich die Von-und-Zus an: und beginnen zu moralisieren. Sprechen vom alten und neuen Geld etc.

    Die gezüchteten Sternchen sind dagegen nur Marionetten. Die kommen und verglühen.

  30. #30 Mathias Möller

    16:28 Uhr, 15.12.2009, Link

    Was ist das denn anderes als eine Form von Kulturdebatte hier? Es geht ja nicht um Hochkultur, aber ich bin der Meinung, dass sich die Relevanz von Musik (oder Kultur) nicht einfach nach ihrem kommerziellen Erfolg messen lässt, und mich lässt der Verdacht nicht los, dass das am Ende eine deiner Kernaussagen ist. Und da werd ich Kulturmensch dann pessimistisch. Und ich glaube ganz ehrlich, dass weder Philosophen noch Historiker, die sicher nie die Biertaufe eines Rock’n’Rollkonzerts, Pardon, die Blunt-Weihe eines HipHop-Jams empfangen haben, hier irgendwas zu sagen haben sollten. ;-)

    Okay, für die Wortschöpfung Dekadenzija geb ich dir bei Gelegenheit einen Courvoisier, ne, ein Bier aus …

  31. #31 flo

    16:33 Uhr, 15.12.2009, Link

    @Matthias Daum
    Mit «Hochphase» meinte ich, als der CH-Rap wirklich noch gut war. Klar, auch heute gibt es die ein oder andere Ausnahme. Aber eine wirkliche Fülle an guten Hip Hop-Acts gab’s meiner Meinung nach in der Schweiz nur vor der Jahrtausendwende.

  32. #32 nino

    16:36 Uhr, 15.12.2009, Link

    ich finde auch, dass es genau wichtig wäre, kulturelle relevanz zu dekonstruieren. um funktion und absicht der maschine offenzulegen. eher derrida als adorno, also, herr daum.
    weiter auch: „Im Gegensatz zu den Popstars-Shows wird der Hip Hop aber dem Establishment gefährlicher.“ glaub ich nicht. er festigt sie in ihrem tun, indem er sich deren waffen annimmt. das „establishment“ braucht sie bloss zu verfeinern, um ihm immer einen schritt voraus zu sein. die leitkultur, die bestimmt nicht der hiphop – er imitiert oder (im besten fall) karikiert sie bloss.

    @ mmöller: nichts gegen historiker, übrigens. der menzl zieht dir eins über.

  33. #33 Mathias Möller

    16:45 Uhr, 15.12.2009, Link

    Der soll bloss kommen, ich schlag mit der Huntington-Keule zurück! Politikwissenschaftler FTW!

  34. #34 nino

    16:48 Uhr, 15.12.2009, Link

    oha. der kampf der kulturen, äh, disziplinen kann beginnen.

  35. #35 Matthias Daum

    16:49 Uhr, 15.12.2009, Link

    Yeah, neue Fronten bilden sich. Historiker gegen die Unwissenden. Endlich bin auch ich auf der guten Seite ;-)

    @Mathias: Aber wie lässt sich Deiner Meinung nach die Relevanz von Musik messen? (Leg mal Deine Karten auf den Tisch, dann decke ich meine auf.)

    @flo: Was meinst Du mit «als der CH-Rap wirklich noch gut war». Das ist doch ein Grossmutter-Argument à la: «Als wir noch wollene Unterhosen trugen war die Welt in Ordnung». Das die Cheiben juckten verschwieg sie jeweils.

  36. #36 Ron

    17:09 Uhr, 15.12.2009, Link

    Hoffentlich ist kein Germanist in der Runde…

  37. #37 Mathias Möller

    18:49 Uhr, 15.12.2009, Link

    @Matthias: m.E. lässt sich kulturelle Relevanz darin messen, dass die Musik „bleibt“. Das drückt sich, so meine ich, hauptsächlich in zwei Formen aus. Zum Einen darin, dass (wie schon mal erwähnt) die betreffenden Musiker zitiert werden. Entweder wörtlich („XY hat uns inspiriert, das und das zu machen“), unausgesprochen im Songwriting oder wie im HipHop durch Sampling.
    Zum Anderen „bleibt“ Musik dadurch, dass sie in ein kollektives Gedächtnis übergeht. Das hat nicht mal etwas mit Anspruch zu tun. Niemand wird ernsthaft behaupten, dass Elvis ein übermässig anspruchsvoller Musiker war. Aber er wird auf ewig im kollektiven Gedächtnis der Menschheit bleiben als der Typ mit den Hüftspasmen, dem Love Me Tender und dem fucking Bananen-Peanutbutter-Sandwich from hell. Natürlich gibt es für einzelne Subkulturen eigene Gedächtnisse. Was für mich z.B. „Californa Über Alles“ ist, mag für dich „Gin & Juice“ sein. Diese Art von kultureller Relevanz lässt sich kaum gegeneinander aufwiegen. Ins kollektive kulturelle Gedächtnis der gesamten Menschheit wird wohl beides nicht auf ewig übergehen.
    Reicht das?

  38. #38 Nik

    19:56 Uhr, 15.12.2009, Link

    Ich denke Chartstürmer HipHopStars in den 00er Jahren könnten schon bald als Trend abgeschrieben werden (a la „die 80ziger voll peinlich“) und Hip Hop aus dem Rampenlich verschwinden. Doch der eher etwas tiefgründigere HipHop wird weiter bestehen. Um DJ Premier zu zitieren:
    „Der Mainstream musste irgendwann auseinanderfallen, um den ganzen Müll loszuwerden. Es wurde zu gross und irgendwann geht es bergab. Wir hingegen sind immer da, weil wir uns treu bleiben und es raw halten. Uns geht es gut. Die grossen Künstler jammern, dass sie nicht mehr so viele Platten verkaufen und nicht mehr auf Tour gehen können. Wir hingegen sind immer noch unterwegs und machen Alben. Ich bin sogar froh, dass die Industrie bröckelt, denn nun muss man wieder mehr Zeit investieren und richtig gut sein, um eine Chance zu bekommen. Eine Zeit lang wurde jeder gesignt – das konnte nicht gut gehen!“

  39. #39 flo

    20:04 Uhr, 15.12.2009, Link

    @Matthias Daum

    Nein, kein Grossmutter-Argument. Hör dir doch das mal an:
    http://www.luegner.ch/djruedi/djruedi-ch_directors_cut(ch-newschool-rap-klassix).mp3

    M.A.R.C. & Stern Eis – Chreis 5, Chreis 6
    ldeep – Pläm Pläm
    Rokator – Chriegsschpiil
    Gleis Zwei – Mit beedna Füess am Bode
    Whodis? – Vo Lorbeerä und Schlange
    paar@ohre – Eukalypso
    Black Tiger & MC Rony – Fiesta
    Bligg feat. Alkoholikz – Waw Dawgz (Remix)
    Lexx – Lexxodus
    Oibel Troibel – Supermega
    3-Sächser
    More Dogz & Kaiser – Schlächte Witz
    Amoh & Dragon Sky – Ändli
    Hobbitz – Mee bruuchts nid
    paar@ohrä – Was mer chönd
    Bligg’n’Lexx – Lauf Junge lauf
    Semantik – Sex, Drooge & Wahrheit
    Sendak – Liebi & Hass (Remix)
    Red Gee – Wer, wämm, welle?
    Dior – Bruchstück (Remix)
    Black Tiger, MC Rony & Hobbitz – Hmm!

    Definitiv vor der Jahrtausendwende. Vielleicht so 1995. Zusätzlich fallen mir noch folgende Acts ein: Allschwil Posse, Sens Unik, Double Pact, Wrecked Mob, Dynamic Duo, E.K.R., Primitive Lyrics, Chlyklass, Heimlichpheiss … usw.

    Wieviele davon waren nach der Jahrtausendwende noch aktiv? Vielleicht weiss ich es auch einfach nicht besser? Lasse mich gerne belehren.

  40. #40 flo

    20:17 Uhr, 15.12.2009, Link

    Okay 1995 stimmt wohl nicht ganz. Aber bestimmt noch vor dem Jahr 2000.

  41. #41 Matthias Daum

    20:17 Uhr, 15.12.2009, Link

    @flo: Deine Aufzählung beantwortet aber noch nicht, weshalb der Rap damals besser war. PS: Selbstverständlich kenne ich den DJ-Ruedi-Mix

  42. #42 flo

    20:31 Uhr, 15.12.2009, Link

    Ich sagte: «Aber eine wirkliche Fülle an guten Hip Hop-Acts gab’s meiner Meinung nach in der Schweiz nur vor der Jahrtausendwende.». Gibt es eine solche Fülle denn auch heute noch?

  43. #43 Matthias Daum

    20:32 Uhr, 15.12.2009, Link

    Ja. Aber mich würde interessieren, weshalb Du findest, dass diese Acts besser waren, als jene, die es heute gibt.

  44. #44 flo

    20:40 Uhr, 15.12.2009, Link

    Okay, ich versuche es auf eine andere Art und Weise zu erklären.

    Vielleicht waren sie nicht besser als aktuelle Acts, die ich – wie schon erwähnt – nicht kenne. Ich glaube aber, die Menge an guten CH-Acts war dazumal grösser. Da ich heutzutage keine solche Menge mehr erkenne, wage ich zu behaupten, dass die CH-Rap-Szene insgesamt «geschrumpft» ist und an Reichtum und damit vielleicht an Qualität verloren hat.

  45. #45 flo

    20:47 Uhr, 15.12.2009, Link

    In Deutschland übrigens das Gleiche. Wo sind Künstler wie Advanced Chemistry, F.A.B., Stieber Twins, Too Strong, Freundeskreis, 5 Sterne Deluxe, Beginner, RAG, Eins Zwo, Kinderzimmer Productions etc., die meiner Meinung nach ihre besten Alben noch vor der Jahrtausendwende veröffentlicht haben. Klar gab es noch einige gute Nachfolgealben und Solo-Platten einzelner MCs, doch wo stehen wir heute? Bushido, Azad, Massiv, Fler etc.?

  46. #46 Matthias Daum

    08:38 Uhr, 17.12.2009, Link

    @Mathias: Ich spinne mal Deine Theorie weiter. Würde noch das Lebensgefühl anfügen. Voraussetzung, dass man sich an einen Musiker erinnert, ist: Er muss den Puls seiner Zeit treffen. Deshalb gehören m.E. die Nuller dem Hip Hop. Nicht zu vernachlässigen – und das drückt bei Deiner Definition ja auch durch – ist die Popularität, die auf dem wirtschaftlichen Erfolg gründet. Ein Künstler muss eine gewisse Bekanntheit erlangen, damit er die Szene, das Genre, die Welt beeinflussen kann. Zudem muss heute man den Einfluss ausserhalb des Musik-Kuchens anschauen. Wie hat ein Genre die Mode, die Freizeit, die Werbung etc. beeinflusst.

  47. #47 Joey

    11:14 Uhr, 17.12.2009, Link

    @ Matthias D: Mindestens für die zweite Hälfte der 00er Jahre gilt das doch überhaupt nicht mehr. Geh doch mal in den H&M oder schau resp. hör dir die Werbung an. Wo ist da noch Hip-Hop? Wir sind sogar schon so weit, dass beknackte Teenie-Vampir-Filme – gemacht für ein Massenpublikum – einen Soundtrack haben mit Bands, die teilweise noch vor kurzem vor 30 Leuten im Bad Bonn gespielt hätten.
    Ich glaube, dass zumindest in Europa und in den USA die als „Indie“ bezeichnete Musik fast den grössten Impact auf die jungen Leute, die Mode, Ästhetik und vorallem auf die anderen (populärkulturellen) Musikrichtungen hatte.
    Nicht dass ich das so gut fände. Ich bin ein Nörgler und mir gefiels irgendwie besser, als wir in den 90er noch ein kleiner Haufen waren.

  48. #48 Matthias Daum

    11:24 Uhr, 17.12.2009, Link

    @Joey: Können wir und auf den Kompromiss «die letzten beiden Jahre» einigen. Dann gehe ich mit Dir einig. Quasi: seit Krethi-und-Plethi Hodenkratzer-Jeans tragen, hat die Hip-Hop-Ästhetik etwas Terrain verloren. Wenn wir aber den Einfluss einer Popkultur anschauen, dürfen wir nicht nur das weisse Amerika und Europa vor Augen haben. Nur ein Beispiel: Jay Chou, einer der grössten asiatischen Popstars. Sein Einfluss: Hip Hop. Von mir aus können wir uns hier auch von der Diskussion Wer-ist-am-Einflussreichsten verabschieden und mal ganz entspannt zusammentragen: Wer beeinflusst wen und wie und wo?

  49. #49 Joey

    11:57 Uhr, 17.12.2009, Link

    @ Matthias D: Ok, da hast du wohl recht, es waren eher die letzten zwei, drei Jahre.
    Ich denke mit dem Hip-Hop ist das selbe ein gutes Jahrzehnt vorher passiert. Von der Subkultur zum Ausverkauf mit all den Vor- und Nachteilen die sowas halt mit sich bringt.

  50. #50 Der General

    14:42 Uhr, 20.12.2009, Link

    Schöner Aufzählung (Danke an Matthias Möller fürs Aufmerksammachen auf diese Seite), der durch die Erwähnung von Kid Cudi noch weiter vorne ist.

    Generell ist das letzte Jahrzehnt einfach geprägt von Musik von Musikern, die mit Hip Hop ganz stark aufgewachsen ist. Dadurch findet sich Hip Hop (in all seinen kulturellen, musikalischen Ausprägungen) in allen Genres, in jeder Werbung und in Filmen wieder.

    Und das Bling Bling so eine große Rolle spielt, ist ja nun auch nicht verwunderlich. Immerhin ist der Hip Hop-Gedanke kein anitkapitalistischer/antigesellschaftlicher, sondern wird dominiert von „ich mach mein eigenes Ding, mein eigenes Business und mache Geld damit“. Und wenn das Ding auf Toleranz und fairem Wettkampf basiert, sind wir beim Hip Hop. Und da Hip Hop, wie ja der Artikel sagt, den Mainstream dominiert, verwässert er eben auch. Aber die Dominanz bleibt Fakt. Spannend wird sein, wie die jungen Menschen und Künstler Hip Hop weiterentwickeln werden oder ob es in viele andere Richtungen zerspringen wird.

    2029 werden sich die Musiker aber auf jeden Fall an Timbaland erinnern, so wie sie jetzt genreübergreifend Kraftwerk ehren.

  51. #51 Moritz

    12:43 Uhr, 10.1.2010, Link

    Man könnte auch sagen: Die Industrie hat Hiphop in den 0er Jahren komplett ausverkauft. In den 90er hip und erst gegen Ende wirklich Mainstream – in den 0ern wurde dann richtig Kasse gemacht…

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