78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Dr. Pop, darf man eine Band doof finden, nur weil sie scheisse aussieht?

Von    |   23. August 2009   |   4 Kommentare

Popmusik und Mode sind untrennbar miteinander verbunden. Die äusseren von den inneren Werten zu trennen fällt bei der Suche nach einer neuen Lieblingsband ähnlich schwer wie bei der Partnersuche.

Dr. Pop

Obwohl sie bei ihren ersten Auftritten Lederkombis getragen haben, sind die Beatles die grösste Band der Popgeschichte geworden. Dieses Beispiel lehrt uns, dass man über Äusserlichkeiten nicht voreilig urteilen sollte. Dennoch kommt man nicht darum herum, Bands aufgrund ihrer optischen Erscheinung in eine Schublade zu stecken. Schliesslich gibt es einfach zu viele Bands, als dass man sie sich alle anhören könnte. Deshalb ist es durchaus legitim, Musiker alleine wegen ihrer Schuhmarke oder ihres Haarschnitts zu verurteilen.

Insbesondere Frisuren verraten ja oft mehr über Musik als tausend Worte. In den 80ern hat ein Haarschnitt gar sein eigenes Genre kreiert: Die Hair-Metal- oder Poodle-Rock-Bands, wie sie manchmal auch sehr treffend genannt wurden, haben weniger mit ihrer Musik, sondern vielmehr durch den exzessiven Gebrauch von Haarspray Popgeschichte geschrieben. Mötley Crüe, Poison, Cinderella und Konsorten waren die amerikanische Reaktion auf die britische New-Romantic-Bewegung, die mit Bands wie Kajagoogoo und Spandau Ballet neue Massstäbe in Sachen Volumen gesetzt hatte. Die UK-Chartstürmer klangen ebenso tuntig wie sie aussahen, und auch dem US-Poodle-Rock fehlten die Eier. Beide Bewegungen haben es zur Genüge bewiesen: Schlechte Frisuren machen schlechte Musik. Dass diese Regel bis heute ihre Gültigkeit behalten hat, zeigt die Haarpracht der Gebrüder Kaulitz.

Im Zerrspiegel der Vergangenheit mutet manches Bühnen-Outfit grotesk an. So fragt man sich beispielsweise, ob der Glitzeranzug von Elvis schon damals so lächerlich gewirkt hat. Die Parallele zwischen der modischen Verwirrung des Kings, die in einem Supermanschleier gipfelte, und seinem künstlerischen Niedergang ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Der späte Elvis lieferte den Steilpass für die Glam-Rock-Bewegung, die mit ihren extravaganten Dresscodes zwar manches modische Tabu gebrochen hat, trotzdem aber einige hörenswerte Platten hinterlassen hat. Die Disco-Bewegung machte darauf neben der modischen auch die musikalische Geschmacklosigkeit zum Programm. Das stilkritische Fazit der 70er: Je höher die Plateausohlen, desto schlechter die Musik – wobei Kiss-Fans mit dieser Regel bestimmt nicht einverstanden sind.

Auf den Bühnen der Gegenwart findet sich kaum noch etwas von der Extravaganz dieser glamourösen Vergangenheit. Selbst David Bowie spielt seine Konzerte mittlerweile in Zivilkleidung. Make-up tragen höchstens noch Black Metal-Bands und Patrick Wolf. Wie langweilig die Rockstarmode in den 00er-Jahren geworden ist, führt uns die dänische Band The Fashion vor Augen, die ihren Publizistikstudenten-Look mit Palästinensertüchern aufpeppt. Die meisten Rockbands sind heute kaum mehr von durchschnittlichen H&M-Kunden zu unterscheiden. Wie von den Kollektionen der schwedischen Modekette darf man sich auch von den Hypes der Gegenwart keinen Distinktionsgewinn versprechen, denn sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen.

Dennoch stellt man im Einheitsbrei der Seitenscheitel, American Apparel-Shirts und Ray-Ban-Brillen gerne seine Individualität zur Schau. Dabei haben sich in den letzten Jahren zwei Trends herauskristallisiert: Hipsterbands mit einer Vorliebe für Elektro pflegen einen urbanen Stil mit knalligen Farben, bunten Sneakers, Hoodies und Röhrchenhosen. Die Folkies dagegen setzten auf ländliche Kleidung, tragen Bootcut, Holzfällerhemden, Secondhandshirts und Halbschuhe aus der Vorkriegszeit. Zwar ist es so für die Fans, die sich ihren Role Models entsprechend kleiden, ein leichtes, Freund von Feind zu unterscheiden. Doch die uniforme Coolness macht es für den aufgeschlossenen Musikhörer schwierig, aus der Flut von Newcomern, die unaufhörlich über uns hereinbricht, die Perlen herauszufischen.

Vielleicht sollte man die augenfälligen Hipsterbands einfach ignorieren und stattdessen nach Musikern Ausschau zu halten, die wenig auf Äusserlichkeiten geben. Verwahrloste Typen in Unterhemden mit Schweissrändern. Bärtige Songwriter in löchrigen Wollpullovern. Ungekämmte Rockbands mit Lederjacken, die nach verschüttetem Bier stinken. Schliesslich sind es auch in der Musik letztendlich die inneren Werte, die zählen.

> Leserfragen an: dr.pop(ät)78s.ch

4 Reaktionen

  1. #1 Alejandro

    11:28 Uhr, 25.8.2009, Link

    Ja, darf man. Eigentlich darf man so ziemlich viel, wenn es nur mit Geschmack zu tun hat, Dr. Pop.

  2. #2 pete

    00:52 Uhr, 28.8.2009, Link

    Wobei auch verwahrlostsein, unterhemden mit schweissrändern, löchrige wollpullover, bärte und ungekämmte lederjacken die röhrenhosen und knalligen farben sein können, natürlich.

  3. #3 Dominique Marcel Iten

    11:56 Uhr, 28.8.2009, Link

    Solange sich die Musik nicht durch die eigene Kleidermode definiert, ist mir egal, wie scheisse oder gut die da oben aussehen.
    Hauptsache, die Mucke ist gut =)

  4. #4 Michael

    15:13 Uhr, 29.8.2009, Link

    Wäre ich immer nach diesem System vorgegangen, hätte ich Bowie, Prince, Hendrix, Beck oder Waits nie gehört.

78s wird seit Juni 2015 nicht mehr redaktionell betreut. Die Kommentarfunktion ist deswegen deaktiviert.