Marissa Nadler: Melancholischer Elfenzauber
Von Marco Durrer | 14. Februar 2009 | 1 Kommentar
Eine der, nein, die hinreissendste Singer/Songwriterin hat ihr viertes Album gebraut, das ein bisschen anders schmeckt, aber wieder als bittersüsses Zaubermittel bedingungslos in Bann zieht.
Marissa Nadler schreibt ihre Songs gern zuhaus auf dem Fussboden bei einer Flasche Wein; und so hören sie sich dann auch an. Wie bester Rotwein, der mit jedem genüsslichen Schluck seiner geschmacklich markanten Schwere leichter macht und im Einklang mit den Sonnen- und Schattenseiten des Lebens etwas beduselt zurücklässt.
Eingespielt wurden sie für die neue Platte erstmals mit kompletter Band (u.a. Simone Pace von Blonde Redhead und Myles Baer alias Black Hole Infinity). Das Ensemble verleiht Marissa’s nebelschwadenhaften Solo-Träumereien durch ungewohnte Rhythmik Kontur und Bodenhaftung. Und versteht es, ihre Nostalgie, Sehnsucht und fragile Elfenstimme so weich einzubetten, dass nichts zerbricht und sich die charakteristische tiefe Melancholie ungehindert entfalten kann.
Die 10 Kostbarkeiten auf „Little Hells“ schimmern in abwechslungsreichen Farben und spiegeln noch ungezeigte Facetten der scheuen Neurotikerin aus Boston – gegen Schluss gar zaghafte Glücksgefühle. Trotz verstärkt autobiographischen Zügen geht dem Werk jedoch zuweilen ein klein wenig die einzigartige Intimität der Vorgänger ab, die in Erinnerung wie ein zärtlicher Abschiedskuss nachschmecken.
Die Inspiration zum Album-Titel durch das geologische Phänomen („geysers of boiling water that hiss and squirt deep inside of the earth until something gives way, causing earthquakes“) überträgt sie auf die kleinen, emotionalen Höllen des Lebens und gewinnt einmal mehr schicksalhafter Tragik berückende Schönheit ab, die selbst tiefster Trauer Trost entlockt. Von Neuem bezaubert sie mit herzlicher Verletzlichkeit und betört mit anschmiegsamen, herzergreifenden Intonationen – und singt einem schon im Opener aus der Seele: „Life seems so empty / without you, my friend“.
Für ihre (hoffentlich auch in die Schweiz führende) Europatour im Mai sucht sie übrigens noch eine Keyboarderin mit hoher Stimme: „Females only, with a good ear for harmony. I am looking for someone that can sing and play a vintage organ – at the same time, while drawing pictures with their feet.“ Ach, Humor hat sie auch noch. Ich meld mich dann mal als Roadie und hoff auf einen flüchtigen Kuss, der den Frosch zum Prinzen macht und mit „goodbye misery“ ins hoffnungsvolle Finale einstimmen lässt. À ta santé, Marissa!
> „Little Hells“ erscheint am 3. März bei Kemado
River Of Dirt (Little Hells)
[audio:http://gvsbchris.com/riverofdirt.mp3]
Rosary
[audio:http://mineorecords.com/mp3/mnadler-ros.mp3]
Famous Blue Raincoat (Songs III: Bird On The Water, 2007)
[audio:http://dodge77.com/August%202007/Marissa%20Nadler%20-%20Famous%20Blue%20Raincoat.mp3]
Turquoise (The Saga Of Mayflower May, 2005)
[audio:http://marissanadler.com/mp3/Turquoise.mp3]
Fifty Five Falls (Ballads Of Living And Dying, 2004)
[audio:http://marissanadler.com/mp3/fifty_five_falls.mp3]
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