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Ein Quantum Trost von Bohren und der Club of Gore

Von    |   13. November 2008   |   2 Kommentare

Langsam. Dunkel. Tief. Das Horror/Doom/DarkJazz-Quartett Bohren und der Club of Gore spendet mit vertonter Trostlosigkeit Trost. Ihr sechstes Album „Dolores“ (PIAS/Musikvertrieb) neu im Kopfkino, sozusagen.

Vor 20 Jahren hat die Bandgeschichte in Mühlheim an der Ruhr mit härtestem Metal begonnen, dann der stilistische Spagat zum minimalistischen Zeitlupen-Jazz. Langsamer als der Herzschlag, dunkel und mystisch wie ne wolkenverhangene Vollmondnacht, tief wie die Abgründe menschlicher Psychen. Der Soundtrack fürs Wachkoma. Die Musik nach der Flatline, die durch den Tunnel zwischen Leben und Tod hallt und verlorene Seelen ans Licht führt – irgendwo zwischen paradiesischer Sonne und Höllenfeuer.

Für mondsüchtige Schlafwandler und melancholische Tagträumer haben sie nach drei Jahren Brutzeit einen sechsten faszinierenden Leuchtkörper zum glühen gebracht und nannten ihn „Dolores“. Bezeichnung für die auf dem Kreuzweg durchs Leben erlittenen Erkenntnisse oder Rückschläge und zugleich Name der Frau, die gedankenverloren allein am Tresen sitzt und am hochprozentigen Trost nippt. Vereinzeltes, massives Bassgewummer, dezente Rhodes-Anschläge, diskretes Snaregebese und bluesige Saxophon-Melodien tröpfeln wie edler Spiritus in die Gehörgänge, entspannen Körper und entschlacken Herzen. Unheimlich, aber anziehend, quälend und doch zärtlich. 

Eine passende Fortsetzung der cineastischen, inzwischen mehrstündigen Bohren’schen Meditation über die grossen Themen und kleinen Details einer unaufhaltsam welkenden Existenz, die unter Fröhlichkeit vor sich hinfault und hinter Glück Sinnlosigkeit birgt. Die Stücke sind kürzer geworden, vielleicht zugänglicher als in den noch zeitenthobeneren Meisterwerken „Geisterfaust“ (2005) und „Black Earth“ (2002). Zwischen die grauen Ruinen menschlicher Erbärmlichkeit dringt Licht und es blühen bunte Blumen voller Schönheit, in drückender Trostlosigkeit gedeiht leidenschaftliche Demut und befreiende Ironie, Sorge wird zur Erhabenheit.

Mit unmenschlicher Geduld, Präzision, letzter Konsequenz und Ehrfurcht vor dem einzelnen Ton erhellen die vier Dunkelmänner die finsteren Orte des (Unter-) Bewusstseins. Gerade live lastet auf den besinnlichen Klängen eine schier unerträgliche Bedächtigkeit und konzentrierte Stille, die den Hörer zu Boden drückt und doch angenehm schwerelos werden lässt. Sich zum Embryo zusammenrollen wollen und keinen Muskel mehr rühren, oder nur ausgestreckt daliegen und den Körper nicht spüren. Musik, die aussaugt und auslaugt, damit aber so viel gibt und durch traumwandlerische Schwelgerei in nüchternen Emotionen wertvollen Trost spendet.

Bohren und der Club of Gore, zweifellos eine der aussergewöhnlichsten Bands unserer Tage. Mit Dolores‘ „Unkerich“ verschenken sie hier via email ein Quentchen Trost.

Bohren und der Club of Gore – Unkerich
[audio:http://www.musiclikedirt.com/wp-content/MP3/TWTMTW/04%20Unkerich.mp3]

Bohren und der Club of Gore – Constant Fear (Black Earth)

>> Ans Herz gelegter Wochenendtipp: Am Samstag, 15. November, LIVE im Südpoltheater, Luzern!

2 Reaktionen

  1. #1 Patrik

    19:32 Uhr, 13.11.2008, Link

    Bohren sind der Hammer. Leider kann ich am Samstag nicht. Fuck.

  2. #2 moi

    22:55 Uhr, 13.11.2008, Link

    ich will nie mehr was von einem quantum trost lesen. nie mehr, nirgends. danke.

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