Dr. Pop, internationales Format – was soll das sein?
Von Dr. Pop | 23. Oktober 2008 | 9 Kommentare
Kritiker attestieren vielversprechenden Schweizer Jungtalenten gerne, ihre Musik sei „von internationalem Format“. Was steckt hinter dieser Floskel?
Die Schweizer Musikszene leidet bekanntlich unter einem Minderwertigkeitskomplex. Die grossen Bühnen dieser Welt sind nicht für uns bestimmt, so glaubt man hierzulande. Traut sich eine einheimische Band trotzdem auf eine Amerikatour, gilt sie schnell mal als grössenwahnsinnig. Man hat schliesslich schon genug CH-Hypes scheitern gesehen, um zu wissen wie’s kommt: Was mit grossen Hoffnungen beginnt, endet in einem Debakel. So wagt man sich als Schweizer Band höchstens für ein paar Konzerte ins nahe Ausland. Bleibt die Band eben ein Hobby, was soll’s.
Vom lokalen Publikum werden diese Hobbymusiker immer ein wenig belächelt, sei es wegen dem Akzent des Sängers, weil der Gitarrist ständig die Riffs anderer kopiert oder weil der Drummer der eingebildete Typ ist, der sich neulich an der WG-Party so peinlich aufgeführt hat. Kommt dann endlich doch mal jemand, der halbwegs akzentfrei singen, ordentlich Gitarre spielen, süffige Songs schreiben und überzeugend performen kann, wird er von Neidern niedergemacht. Schweizer Musiker haben’s schwer – im In- wie im Ausland.
Den vielversprechendsten Jungtalenten des Landes attestieren Kritiker gerne internationales Format, obwohl die meisten von ihnen dann doch nur einige 100 CDs exportieren. Sucht man nach Beispielen für erfolgreiche Schweizer Musikexporte, fallen einem als erstes die grossen Namen aus den 80ern ein: Yello, The Young Gods, Stephan Eicher, Celtic Frost und Krokus. DJ Bobo – logo – doch dann kommt man auch schon ins Grübeln. Wer war da noch? Andreas Vollenweider? Die Lovebugs? Oli Stumm war doch in New York recht erfolgreich und dann gibt es noch ein paar Bands, die bei ausländischen Labels unter Vertrag sind: Saalschutz, Sinner DC und Navel beispielsweise.
Was haben die genannten Künstler, was den andern abgeht – ausser eben, internationales Format? Schaut man sich die Namen etwas genauer an, kristallisieren sich zwei Erfolgsrezepte für den internationalen Durchbruch heraus: Entweder man ist innovativ (Yello/Young Gods/Celtic Frost/Sinner DC) oder man versucht eine Kopie hinzukriegen, die so gut klingt wie das ausländische Original (Krokus/DJ Bobo/Oli Stumm/Navel/Saalschutz). Internationales Format lässt sich also ebensogut durch Schweizerisches Präzisions-Entertainment erreichen wie durch Musik, die Masstäbe setzt – wobei letzteres immer schwieriger wird.
Dass bei fast jeder Lokalband Abklatsch!-Rufe laut werden ist selbstverständlich, schliesslich findet fast jede Band ihre Haupteinflüsse in der von England und Amerika dominierten Popgeschichte. Eine Schweizer Band kann den Pop nun mal nicht neu erfinden. Doch obwohl es fast unmöglich geworden ist, innovativ zu sein, ist ein gewisses Mass an Originalität Voraussetzung, um sich in der Veröffentlichungsflut zu profilieren. Dies allein reicht jedoch nicht. Gut möglich nämlich, dass der Schweizer Musik nicht die Talente fehlen, sondern das richtige Marketing.
Zwar bietet das Internet neue Marketing-Möglichkeiten, trotzdem sind die Mittel, um Künstler im Ausland zu promoten für Schweizer Indie-Labels sehr beschränkt. Wer hingegen bei einem Majorlabel unter Vertrag ist, ist zu einem Dasein als Cervelatpromi verdammt, weil sich die Schweizer Major-Ableger fast ausschliesslich um die lokale Vermarktung des Künstlers kümmern. Doch mit der Mundartmusik, die man als CH-Chartstürmer in der Regel macht, hätte man es im Ausland ohnehin schwer. Denn um von internationalem Format zu sein, muss Musik vor allem eben auch global verstanden werden. Internationales Format bedeutet für die global(isiert)e Popkultur relevant zu sein – und dies kann man leider Gottes nur von einer Handvoll Schweizer Musik behaupten.
Sind wir realistisch: Unser Land ist klein und die Messlatten liegen in der Musik ähnlich hoch wie im Sport. Unser Minderwertigkeitskomplex ist deshalb unbegründet – denn wer könnte schon eine Band von internationalem Format aus Portugal aufzählen? Oder aus Luxemburg? Estland? Eben.
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9 Reaktionen
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21:38 Uhr, 23.10.2008, Link
Wen hat DJ Bobo kopiert?
22:12 Uhr, 23.10.2008, Link
die 3 grossen garanten um keinen erfolg zu haben:
– schlechte bandfotos: keine autentizität und möglichst trendige frisuren, möglichst von stylischen fotographen abgelichtet, auf dem bild sieht man dann 4-5 „models“, aber keine band…
– kein dreck: man kann von chris von rohr halten was man will, aber eines hat er erfasst, spiele den song, nicht die noten! aber man muss ja zeigen, dass man 4 jahre sein instrument „studiert“ hat…
– sich möglichst schnell als „künstler“ bezeichnen: am anfang ist man „rockmusiker“ und dann, wenn man erfolgreicher wird und plötzlich viele auf die schultern klopfen, dann ist man plötzlich „künstler“, man kann sich jetzt streiten, aber wer sich genauer umschaut bei vielen bands, wird sehen, was ich meine und wann meist der „abstieg“ angefangen hat…
dazu kommen dann noch details wie „angst vor schweiss“ oder „ich finde 30 konzerte pro tour genug“…
internationales format ist das eine, sich abheben können das andere!
10:35 Uhr, 24.10.2008, Link
–> http://www.myspace.com/listentoglass
10:55 Uhr, 24.10.2008, Link
@schnäbi: snap? und vor allem immer wieder sich selber… aber stimmt schon, der bobo war an der evolution des eurodance nicht unbeteiligt.
15:42 Uhr, 24.10.2008, Link
…wenn ich Eurodance höre, muss ich nach wie vor brechen. Das erinnert mich dann immer an meine Bravo Hits 93-95 Zeiten =)
@Dr. Pop:
Kann dir nur zustimmen. Der Schweizer Minderwertigkeitskomplex und insbesondere der vergiftende Neid unter den Musikern selbst ist es, was Schweizer Acts von jeher immer wieder scheitern lässt.
Hinzu kommt die eigenen Selbsteinschätzung, welche sich erst mit der Zeit und einiger Erfahrung und auch offener Kritik von aussen bilden kann.
In der Schweiz selbst können nur ein paar wenige Bands von sich behaupten, innovativ und relevant genug zu sein.
Und das sind oft solche, welche auch im Untergrund bleiben werden.
Bands wie Navel und Bianca Story erhalten diese Aufmerksamkeit ganz zu Recht, denn immerhin hat ein ausländisches Label in diesen Acts ein gewisses Potential erkannt und beide Bands spielen nicht umsonst zahlreiche Shows im In- und Ausland.
Eine Band wie Parties Break Hearts z.B. ist ebenfalls verdient auf einem Label wie Lockjaw, da sie eingängige und gut arrangierte Musik spielen. Ihre Musik wird ihre Zielgruppe bestimmt erreichen, auch wenn diese Art von Musik aus meiner Sicht im Amerikanischen Markt noch sehr viel besser funktionieren würde.
Das Probelm ist, dass auch diese drei Bands nie über den Status „Indie“ hinwegkommen werden. Oder besser gesagt: der grosse Durchbruch wird sich allerhöchstens bei Bianca Story einstellen, da diese mit ihrem (meiner Meinung nach ein wenig zu klischeehaften) Arty-Stil selbst versuchen, innovativ zu sein. Navel und Parties machen Musik, die keinen mehr überrascht oder vom Hocker haut. Aber sie wird sich verkaufen…
Nehmen wir eine Band wie Wake, welche Live eine feste Stärke ist, 2 tolle CD’s veröffentlicht hat, aber trotzdem nie weiter kam als die Schweiz. Der Ausflug nach LA für die Albumproduktion und die grossen Versprechen des Ami-Labels gipfelten in einer grossen Enttäuschung.
Als No-Name Band muss man sich auch nicht in die Staaten wagen…da wartet keiner auf dich.
Aber zurück zum Thema, die grösste Schuld an der ganzen „Misere“ hat unser eigener Minderwertigkeitskomplex. Zu einem gewissen Teil auch die uninspirierten Schweizer Medien, welche mit dem unseligen „internationalen Qualität“-Mist erst angefangen haben, ein verschenktes Möchtegern Musikblatt namens Rockstar und die Nichtbereitschaft der Schweizer, zu erkennen, dass wir international sehr wohl mithalten können, jedoch einfach ein zu kleines Land sind…wo wir dann wieder beim Problem „Swissness“-Faktor wären.
Abschliessend: Was braucht eine Band, um international zu bestehen?
1. Sie muss sich den Arsch abtouren, auch wenn die ersten Touren garantiert weder viele Leute anziehen noch viel Geld einbringen werden. Wer sich da Anderes erhofft, dem Wünsche ich viel Glück im Träumerland.
2. Die Musik muss nicht „international“ oder „Radiokonform“ klingen. Die Musik muss in erster Linie ehrlich sein und ein Gefühl vermitteln. Ausserdem sollte sie etwas eigenes haben, einen Wiedererkennungswert, womit die Band identifiziert wird.
3. Kontakte knüpfen ohne Ende. Denn: Ohne Vitamin B geht auch in der Musikszene nix.
4. Man brauch einen riesen Haufen Glück. Es gibt tausende, unglaublich geniale Bands, welche schlichtweg kein Glück hatten und so in der Versenkung verschwanden.
…
So, entschuldigt mich für meinen kleinen „Roman“ =)
18:24 Uhr, 24.10.2008, Link
hey nichts gegen bobo… ‚there’s a party‘ war meine erste selber gekaufte CD!!!
music is what we living for
20:00 Uhr, 24.10.2008, Link
@dominique marcel iten
und wie würdest du denn dann goodbye fairbanks einschätzen?
was mich verwundert ist ja, dass z.b. favez zum teil ausserhalb der schweiz mehr wahrgenommen wurden als in heimat. und ihnen würde ich auf jeden fall internationales format zusprechen. und chewy hatten das auch.
23:04 Uhr, 24.10.2008, Link
@chewy:
wusstest du, dass bei favez einige schweizer medien nicht realisiert haben, dass das schweizer sind?
zu den fairbanks:
abgesehen vom persönlichen und offenen respekt den ich für die fairbanks habe muss ich ganz klar sagen, dass sie eine von jenen schweizer bands wären, welche international wirklich auch eine „chance“ hätten.
ich habe vorhin nur von den bands mit plattenvertrag geredet, aber natürlich gibt es bands ohne vertrag in der schweiz, welche ebenfalls mühelos mit der internationalen szene mithalten könnten (fairbanks oder auch sonic delivery..wobei die leider immer und immer wieder vergessen werden).
aber eben, den fairbanks traue ich alles zu. und wünsche es ihnen auch.
17:16 Uhr, 8.12.2008, Link
„präzisions entertainment“ ist lustig, das hat uns noch nie jemand attestiert.
der korrektheit halber gehört hier angemerkt, dass wir zahlreiche originale haben – ausländische und inländische – von denen wir bewusst kopieren (kleiner tipp: die young gods und krokus gehören nicht dazu, dj bobo schon). jedenfalls gibt es nicht „die eine band“ von der man sagen kann dass wir so klingen. oder wir kennen sie nicht, dann kann auch von kopie keine rede sein. oder es gibt bands, die wir kopieren, von denen andere originale kopiert wurden. abgesehen davon kann man es auch schönreden als „sich inspirieren lassen“.
das spielt aber schlussendlich keine rolle: in deutschland, wo wir früher und anders rezipiert wurden/werden als in der schweiz sind wir seit etlichen jahren das kopierte ausländische original, wie wir an mails, kommentaren, persönlichen gesprächen und der entwicklung im musikalischen untergrund ablesen konnten. wir und unsere labelkollegen kopieren uns übrigens auch gerne gegenseitig.
aus dem kopieren haben wir auch in interviews nie einen hehl gemacht und wir sehen innovation auch nicht als qualitätsgarant: rondo veneziano waren auch unglaublich innovativ.
these: die zeiten des originals sind schon lange vorbei und man fügt sich unweigerlich in ein referenzsystem, welches auch aussermusikalisch sein kann (wie sich punk vom dadaismus und bruitismus inspierieren liess oder celtic frost vom okkultismus eines aleister crowley inklusive optischem erscheinungsbild). dies gilt auch, wenn man die traditionen bricht. es finden sich immer aspekte, die es schon mal gab, je nach abstraktionsgrad findest du gar nichts neues.
da kann man entweder resignieren oder kopieren.