Dr. Pop, kann man Gitarrensolos heute noch bringen?
Von Dr. Pop | 3. September 2008 | 11 Kommentare
Eins gleich vorne weg: Es heisst Gitarrensoli und nicht Gitarrensolos. Hat mir zumindest mal ein Gitarrenlehrer gesagt.
Als Primarschüler besass ich ein Radio mit Doppel-Tapedeck, auf dem ich tat, was damals strengstens verboten war, und doch alle machten: Ich kopierte fleissig Musik. Home taping is killing music zum Trotz überspielte ich die Metal-Kassetten meines Cousins und nahm chirurgische Eingriffe an Radiomoderatorenstimmen vor, die in meine Lieblingssongs hineinplapperten. Einmal habe ich, so gut es eben ging, ein Tape mit meinen Lieblingsgitarrensoli zusammengeschnitten, denn damals liebte ich sie, die minutenlangen Tabulaturreitereien. Sie konnten mir nicht schnell und vor allem nicht lang genug sein, doch leider vermochte ich mit dem Gefrickel von Slash, Kirk Hammett, Jimmy Page & Co lediglich eine Seite der Kassette zu füllen.
Als ich schliesslich meinen ersten CD-Player hatte, begriff ich, dass ich statt immer wieder zurückzuspulen genausogut ein Album von Steve Vai, Joe Satriani oder Yngwie Malmsteen hätte kaufen können. Doch soweit ist es nie gekommen, denn Gitarrensoli waren mir inzwischen verleidet. Mir wurde klar, dass eben doch nichts über ein gutes Riff geht. Die Zeit der Solohelden war damals ohnehin langsam abgelaufen. Der Dilettantismus des Grunge schaufelte den Gitarrenvirtuosen ihr Grab.
Doch das Gitarrensolo war ebensowenig totzukriegen wie der Stadionrock. Nach wie vor demonstrieren Gitarristen auf grossen Bühnen gerne ihre Fingerfertigkeit. Dabei wird immer wieder deutlich, dass es zwischen Virtuosität und Musikalität keinen kausalen Zusammenhang gibt. Technik ist das eine, Fantasie das andere. So stehen die Schauläufe der Spitzensolisten oftmals dem Sport näher als der Musik. Ihre Höchstleistungen werden vor allem von Gitarrenlehrern und Fachmagazinen bewundert. Der durchschnittliche Musikhörer hingegen findet es nicht sonderlich spannend einem Gitarristen beim Masturbieren zuzusehen.
Licks gehören zum Rock wie Zucker zum Kaffee, doch wer es übertreibt, der wirkt schnell mal angeberisch. Jimi Hendrix war einer der wenigen, der mit seiner Virtuosität nicht angab, sondern etwas auszudrücken vermochte. Seine Soli waren weder ausserordentlich schnell, noch besonders sauber. Sie waren rauh und unberechenbar und gerade deshalb so gut. Hendrix brachte seine Gitarre zum Sprechen. Und wer das schafft, der darf mit gutem Gewissen auch heute noch Gitarrensoli spielen.
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