Dr. Pop, ist der Hidden Track vom Aussterben bedroht?
Von Dr. Pop | 28. Mai 2008 | 14 Kommentare
Er hat uns überrascht und schockiert. Er gab uns Rätsel auf oder brachte uns zum Lachen. Stolz haben wir ihn unseren Freunden vorgespielt. Doch die 90er sind vorbei. Wird mit der CD auch der Hidden Track aussterben?
Der Hidden Track, auch Ghost Track oder Easter Egg genannt, ist untrennbar mit dem CD-Format verbunden. Gewiss lassen sich auch an Bandenden Geheimbotschaften platzieren und interessanterweise wurden bereits auf Schellackplatten die ersten Hidden Tracks versteckt. Doch obwohl die Klangcollage in der Auslaufrille von „Sgt. Pepper’s Lonely Heart’s Club Band“ als erstes ambitioniertes Easter Egg der Popgeschichte gilt, bleibt der Hidden Track ein Kind der 90er. Nevermind, Endless, Nameless, you name it.
Ich kann mich nur allzu gut erinnern, wie Nirvana damals mit einer Noise-Orgie in die Stille meines Kinderzimmers platzten. Schon als die CD nach „Something In The Way“ nicht zu spielen aufhören wollte, war ich aufgeregt. Doch was folgte, übertraf meine kühnsten Erwartungen: Ein Gitarrengewitter, wie ich noch keines gehört hatte. Ein Geheimnis zwischen mir und Nirvana, das mich regelmässig aus dem Schlaf riss. Schliesslich entdeckte ich, dass dies kein Einzelfall war. Das ganze Pop-ABC machte im goldenen Zeitalter der Silberscheibe vom Hidden Track Gebrauch: Aerosmith, Blur, Counting Crows, Danzig, Eels… ZZ Top.
Viele Hidden Tracks unterscheiden sich nur dadurch, dass sie nicht direkt anwählbar sind, von Bonus Tracks. Sie bieten als Ergänzung zum Album eine B-Seite, einen alternate Take, ein Instrumentalstück oder ein Cover. Doch nur die wenigstens Künstler bleiben auf ihren Hidden Tracks bierernst. Komische Studiodialoge, seltsame Geräusche, rückwärts abgespielte Tonspuren oder Ausflüge in fremde Genres sind beliebte humoristische Schlusspunkte. Oft ist der Humor der Hidden Tracks unterste Schublade: Gerne wird gefurzt (Alice in Chains „Sap“), gerülpst (Tool „Salival“) oder gekotzt (Ash „1977“).
Überhaupt wurde der Hidden Track immer wieder instrumentalisiert, um pikante Inhalte zu transportieren: Die Ramones haben einst wegen Urheberrechtsscherereien mit einem Reinigungsmittelhersteller einen Song aus der Tracklist entfernt und Guns’n’Roses haben ein Stück von Charles Manson auf „The Spaghetti Incident?“ geschmuggelt. So hat der Hidden Track vielen Künstlern ein ausgezeichnetes Versteck vor der Zensur geboten. In der Major-League ist er die letzte Bastion der Subversion.
Während seiner Karriere hat der Hidden Track alle technischen Möglichkeiten der CD ausgereizt. Mal verteilte er sich auf die Stücke #13 bis #99, mal verkörperte er als Track Nr. 66 the number of the beast. Die dubioseste Ausprägung des Hidden Tracks ist der Null-Track, auch Pregap-Track genannt. Dieser lässt sich durch manuelles zurückspulen hinter den ersten Song erreichen und kann von Computern nur mit Spezialsoftware gelesen und gebrannt werden. Wer eine der folgenden CDs zu Hause hat, kann’s ja mal ausprobieren: QUOTSA „Songs For The Deaf“, Unkle „Psyence Fiction“, Autechre „EP7“, 2 Many DJs „As Heard On Radio Soulwax“, Motorpsycho „Blissard“, Blind Melon „Soup“ oder Super Furry Animals „Guerilla“. Weitere Null-Tracks gibt’s hier.
Seinen Höhepunkt hat der Hidden Track wohl erreicht, als Lauryn Hill’s Cover von „Can’t Take My Eyes Of You“ für einen Grammy nominiert wurde. Heute macht er nur noch selten von sich reden. Die 90er kommen uns immer mehr vor, wie eben noch die 80er, „Nineties“ ist zu einem Schimpfwort geworden und so wirkt auch der Hidden Track outdated. Zwar erhalten Bands wie My Chemical Romance oder Coheed And Cambria die Easter-Egg-Tradition aufrecht, doch da immer öfter vom Tod des Albums und vom Aussterben der CD die Rede ist, ist auch der Hidden Track zu einer bedrohten Spezies geworden. Denn wer will schon lästige Pausen im Shuffle-Modus?
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