78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Frankreich: Chanson-Nostalgie und Elektro-Futurismus

Von    |   16. Mai 2008   |   8 Kommentare

Guter Fussball ist wie gute Musik: leidenschaftlich, druckvoll und treffsicher. 78s präsentiert die Teilnehmerländer der Fussball-Europameisterschaft von ihrer musikalischen Seite. Heute: Frankreich.

Die Euro 08 bei 78s: FrankreichDie Franzosen mischen im Fussball wie im Pop, der ja inzwischen an der Staatsspitze angelangt ist, ganz vorne mit. In beiden Disziplinen haben sie ein gewisses je-ne-sais-quoi, das sie vom ordinären Rest abhebt.

Wer an französische Musik denkt, der denkt an Chansons. Kenntnisse über Piaf, Brel, Gainsbourg und Hardy gehören wohl zu den Grundvoraussetzungen, um in Frankreich als Sänger ernstgenommen zu werden. Denn wer in Frankreich singt, der tut dies grundsätzlich auf Französisch. Vielleicht ist der Patriotismus der Franzosen der Grund dafür, vielleicht die Textlastigkeit des Chansons, vielleicht ist es einfach nur eine Aversion gegen das Englische, vor allem aber ist Französisch eben eine bedeutend elegantere Singsprache als beispielsweise Deutsch oder Kroatisch.

Da der Chanson eher ein Sammelbecken für französisch gesungene Musik als ein spezifisches musikalisches Genre ist, hat er seine Vormachtstellung in der französischen Musikszene bis heute nicht verloren. Benjamin Biolay und zahlreiche andere Künstler setzen die Chanson-Tradition mit modernen Mitteln fort. Auch der Valse Musette, der traditionelle Akkordeonwalzer, der den Chanson musikalisch massgeblich beeinflusst hat, wird von Küstlern wie Yann Tiersen am Leben erhalten. Legionen von Strassenmusikern geben ihm Rückendeckung.

Neben ihrem nostalgischen Faible hat die französische Musik eine Schwäche für futuristische Klangentwürfe, man denke nur an den Synthesizer-Gott Jean-Michel Jarre oder Telex und Space, die vielleicht ersten Electropop-Bands überhaupt. Mitte der 90er kam elektronische Musik aus Frankreich schliesslich ganz gross raus, als Laurent Garnier, Daft Punk und Mr.-„Flat-Eric“-Oizo die Tanzflächen mit French-House füllten, den man heute bei Ed Banger mit Justice und Konsorten erfolgreich wieder aufkocht.

Die Franzosen mögen ihre Musik gerne cheesy, Angst vor Kitsch kennen sie nicht. Air waren die Pioniere des elektronischen Easy-Listening, ein Feld, das heute Sebastien Tellier mit seinen erotischen Klangfantasien beackert. Harte Gitarrenriffs hingegen sind weniger das Ding der Franzosen. Abgesehen von Noir Désir und Louise Attaque gibt es kaum nennenswerte Rockbands aus Frankreich, die es über den Röstigraben geschafft haben. Einfacher hat es in Frankreich dagegen Weltmusik: Als ehemaliger Kolonialstaat war die französische Musik immer schon fremdländischen Einflüssen ausgesetzt, insbesondere der nordafrikanischen Raï-Musik, deren populärster Vertreter Khaled („Aisha“) ist.

Fazit: Sie musizieren so leidenschaftlich wie sie Fussball spielen und verdammt cool sind sie eben schon, die Franzosen. C’est á toi, Serge:

[youtube 7PB76jVZGkU]

> Einen Überblick über die nouvelle scène française gibt die Samplerreihe Le Pop

> Multikultiklänge gibt’s auf dem Gratis-Label-Sampler von Narguilé Productions, den man sich hier bestellen kann.

> Ein amüsanter Blog über französische YeYe-Girls: Dans Mon Café

> obskuradio über französische Elektro-Pioniere: Telex, Space, Trans Volta

Bisher erschienen in der 78s-Euro-08-Serie:
> Schweden
> Holland
> Russland
> Griechenland
> Spanien
> Rumänien
> Türkei
> Österreich
> Portugal
> Deutschland

Die Illustration stammt aus dem Euro 08-Sammelalbum des Tschuttiheftli, dem einzig wahren Fussballbildli-Album: > Mehr Infos.