78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

78s Motel: Philippe Amrein 70’000 Zigaretten später

Von    |   14. Dezember 2007   |   2 Kommentare

Die ganze Nacht über hatte es geschneit. Knietiefer Schnee bedeckte die Strassen der Stadt, als ich mir draussen in der Einöde von Zürich-Wipkingen tapfer meinen Weg zur Bushaltestelle bahnte, um die letzten Details eines Projekts zu klären, das eigentlich nur Vollbekloppte in Angriff nehmen können: den Neustart der Musikzeitung «Loop», die in ihrem ersten Betriebsjahr grandios gescheitert war, was man aus heutiger Sicht wohl als Grounding bezeichnen würde – diesen Begriff überliessen wir freilich in weiser Voraussicht der Swissair, die ihn dann ein paar Jahre später mit Nachdruck prägte.

Februar 1999: Auf den Plattenspielern drehten sich die epochalen Werke «I See a Darkness» (Bonnie ‚Prince‘ Billy) und «Knock Knock» (Smog), und in einem backofengrossen Büro an der Langstrasse machten wir uns ans Werk, bastelten ein aufgefrischtes Layout zusammen und hauten in einem wahren Kraftakt die erste «Loop»-Ausgabe nach neuer Zeitrechnung (die elfte insgesamt) raus. «We hit the ground running», um es mit den gesungenen Worten von Bill «Smog» Callahan zu formulieren, und wenn man gleich mit satter Beschleunigung auf dem Boden der Realität auftritt, läuft man einfach immer weiter – bis heute. Man mag das stur nennen, unbeirrbar oder schlicht «dedicated», um eine etwas nettere Vokabel zu bemühen.

Dezember 2007: 70’000 Zigaretten später sitze ich vor einem schwach erleuchteten Bildschirm am anderen Ende der Stadt. Wohnorte, Arbeitswege und sogar die Büroadresse haben sich im Verlauf der Jahre verschoben, doch eine Konstante ist geblieben: «Loop», dessen 100. Ausgabe druckfrisch neben der Tastatur liegt und Zeugnis davon ablegt, dass es irgendwie immer geht – weil es nun mal gehen muss. Da ist sie wieder, diese Sturheit, die mich jahrelang fluchend und improvisierend von Ausgabe zu Ausgabe getrieben hat. Nach langen Jahren der Entbehrung, der Selbstausbeutung, -behauptung, -verarsche, -verherrlichung und -zerstörung, die das kleinbetriebliche Zeitungsmachergeschäft so mit sich bringt, werfe ich einen wehmütigen Blick zurück, der an einzelnen Erinnerungen hängen bleibt. Erinnerungen an eine Zeit, als sich der digitale Briefverkehr allmählich durchzusetzen begann. Als man noch stapelweise CD-Covers einscannen musste. Als die Plattenindustrie ihrem Namen noch gerecht wurde. Als der jugendliche Enthusiasmus allmählich verwehte, um dann doch immer wieder zurückzukehren. Denn wenn man erst einmal damit begonnen hat, seine Leidenschaft für Musik in Worte zu fassen, gibt es kein Entrinnen mehr.

Nun, heutzutage würde ich wohl ebenfalls einen Blog wie 78s.ch führen, würde liebevoll gestaltete Videointerviews hochladen und voller Elan das musikalische Tagesgeschehen kommentieren. Doch mitterweile bin ich zu alt, um noch jung sterben zu können, also halte ich mich ans bedruckte Zeitungspapier, das allmählich zwischen meinen Fingern vergilbt. Bis meine Hände kalt und tot sind. Aberschosicher!

Aus Anlass des zehnjährigen «Loop»-Jubiläums spielt das famose Hamburger Trio Hoo Doo Girl ein grosses Konzert: Freitag, 14.12., 20.20 Uhr, El Lokal, Zürich

Philippe Amrein (31) ist Chefredaktor der Musikzeitung «Loop» in Zürich. Nebenberuflich ist er unter dem Kampfnamen Phil Duke auch als singender Songschreiber unterwegs.

> Illustration: Sarah von Blumenthal

2 Reaktionen

  1. #1 pop b. sessen

    19:40 Uhr, 14.12.2007, Link

    herzliche gratulation der allerbesten musikzeitschrift.

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