Morrissey vs NME
Von Mathias Menzl | 7. Dezember 2007 | 0 Kommentare
Letzte Woche hat Morrissey sein 15-jähriges Schweigen gegenüber dem NME gebrochen. Das Verhältnis zwischen dem New Musical Express und Steven Patrick Morrissey war seit 1992 nachhaltig gestört, nachdem Morrissey an einem Reunion-Gig der Ska-Band Madness in eine englische Nationalflagge gehüllt und flankiert von zwei Skinheads auftrat und seinen umstrittenen Song „The National Front Disco“ spielte, was als Sympathiebekundung zur rechtsextremen Partei National Front interpretiert wurde. Dieser Auftritt trat in England eine Rassismus-Debatte los, die in einem Morrissey-Boykott einiger Musikmagazine resultierte. Morrissey wollte danach nichts mehr vom NME und der NME nichts mehr von Morrissey wissen.
Das Interview letzte Woche hat deshalb hohe Wellen geschlagen. Allerdings nicht alleine aufgrund des gebrochenen Schweigens, sondern vor allem auch, weil Morrissey im NME erneut mit rassistischen Aussagen zitiert wurde. „Bigmouth Strikes Again … Oh Dear Not Again“ lautete die Schlagzeile. Obwohl er nichts gegen Menschen aus anderen Ländern habe, verschwinde die britische Identität mehr und mehr, je grösser die Einwanderung werde, wurde Morrissey weiter zitiert. Wenn man nach England reise [Morrissey lebt zurzeit in Italien, davor hat er mehrere Jahre in LA residiert] habe man keine Ahnung wo man sei. Im Londoner Stadtteil Knightsbridge höre man jeden Akzent ausser den englischen. Diese Zeilen waren natürlich Öl ins Feuer der Rassismus-Kritiker traten eine erneute Debatte über Rassismus in der Pop-Musik los.
Morrissey hat dieselbe Textstelle natürlich anders in Erinnerung:
Me: „If you walk down Knightsbridge you’ll be hard-pressed to hear anyone speaking English.“
Tim[Interviewer]: „I don’t think that’s true. You’re beginning to sound like my parents.“
Me: „Well, when did you last walk down Knightsbridge?“
Tim: „Um… Knightsbridge… is that where Harrods is?“
Morrissey und Rassismus-Vorwürfe gehen schon länger Hand in Hand: Seine Songs „Bengalie in Platforms“ und The National Front Disco mit der zynischen Textzeile „England for the English“ wurden wiederholt als rassistisch ausgelegt. Seiner zweideutigen und provokativen Texte wegen wurde er auch schon pädophiler Äusserungen beschuldigt, zum Beispiel wegen der Songzeile „The hand that rock the cradle“ aus „Reel Around the Fountain“ aus dem The Smiths-Debüt.
Damit befand sich „Moz“Anfang der 80er aber in bester Gesellschaft. Joy Division kokettierten zur gleichen Zeit auf sehr fragwürdige Art und Weise mit der Naziästhetik. Joy Division dazu: „Wir wussten, dass wir keine Nazis waren, aber wir haben ständig Leserbriefe im NME gekriegt, in denen uns vorgeworfen wurde, Eichmann im Kohlekeller zu verstecken“. Jahre später äusserten sich Joy Division erneut zu diesem Thema und bekannten sich zum Reiz des Faschismus‘. Sie seien fasziniert gewesen durch die Schönheit der Kunst, Architektur und des Designs, ja sogar der Uniformen, die trotz all dem Hass in dieser Zeit zum Ausdruck kamen.
Für einige mögen solche provokativen Statements von Künstlern zu weit gehen, für andere im Rahmen der künstlerischen Freiheit liegen und für Dritte ist Morrissey einfach alt geworden. Für eine Boulevard-Zeitung, die solche Äusserungen geradezu ausschlachten muss und keinen Platz hat für differenzierte Abhandlungen, ist es ein gefundenes Fressen. Dass sich der Autor des Interviews mittlerweile vom Morrissey-Text distanziert hat (via) und der Chefredaktion vorwirft, den Text verschärft zu haben, trägt allerdings nicht gerade zur Glaubwürdigkeit des NMEs bei. Die Credits unter dem Text lauten nun: „Interview: Tim Jonze, Words: NME“. Morrissey und sein Management wollen den Zwist nun gerichtlich weiterziehen. Ob Morrissey nun ein Rassist ist, oder zumindest Gedankengut eines Rassisten in sich trägt, das weiss wohl nur Morrissey selber.
Wir haben die Debatte, und fragen uns wieder einmal wieviel Provokation in der Kunst erlaubt ist (Stichwort Thomas Hirschhorn). Der NME hat eine grosse Auflage und Morrissey wird wohl definitiv im Ausland alt werden (er lebt zurzeit in Italien), wo er seine Nachbarn nicht versteht, ausser natürlich all die anderen Engländer, die in Südeuropa ihren Lebensabend geniessen.
> Morrisseys Antwort im Guardian auf die Rassimus-Vorwürfe
> Die Joy Division-Zitate wurden dem Buch „Rip it up and start again“ von Simon Reynolds entnommen (Hannibal-Verlag, 2007)
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