78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Neue Neubauten

Von    |   24. Oktober 2007   |   1 Kommentar

Ich war nie ein Neubautenhörer. Alles, was ich mir unter den Berlinern vorstellen konnte, war Blixa Bargelds überlanger Scheitel und eine Band, die vor Urzeiten unweit der Mauer sowas wie die Endzeitfassung von Stomp intonierte. Presslufthammer, Bohrer und Kreissäge die Instrumente; destruktiv, nihilistisch und masochistisch die Haltung, die ich hinter dem krachversprechenden Bandnamen vermutete. Dass sie in den 90ern im Theater und schliesslich im Pop angekommen sind, weiss ich ebenfalls nur vom Hörensagen.

Nun haben wir uns doch noch gefunden und ich nenne meine erste Einstürzende Neubauten-CD mein eigen. Sie heisst „Alles wieder offen“ und enthält mehr Musik als Lärm. Die industrielle Klangästhetik ist höchstens als fernes Echo vernehmbar. Perkussion und Bass prägen den organischen Sound, in den Höhen schweben Ambientwolken und Streicherschwärme. Obwohl „Alles wieder offen“ ein eher ruhiges Album geworden ist, ist es kein bequemes Album. Es weist Brüche auf, obwohl es harmonisch wirkt. Es scheint entspannt und steht doch unter latenter Spannung. Die lärmige Lava, die unter den getragenen Klängen brodelt, bricht nur manchmal für Momente aus. Bargelds Texte tun ihr übriges, dass man auf diesem Album nie festen Boden unter die Füsse bekommt. Seine Worte kommen mal poetisch, mal dadaistisch, mal politisch, mal theologisch und immer ambivalent daher.

200 Studiotage stecken angeblich in „Alles wieder offen“. Leisten konnten sich dies die Neubauten wohl nur, weil sie von ihren Fans subventioniert werden. Seit die Neubauten sich 2002 von ihrem Label getrennt haben, lassen sie sich von ihren sogenannten „Supportern“ einen fixen Betrag (CD 35‚¬/CD+DVD 65‚¬) vorschiessen und bieten ihnen als Gegenleistung Deluxe-Packaging, exklusive Downloads und Webcasts aus dem Studio. Hypothekarkredit auf einstürzende Neubauten, eine Alternative zum mit Risikokapital finanzierten Radiohead-Modell (das bereits erste Nachahmer findet)? Noch ist alles offen…

Die lange Arbeit an „Alles wieder offen“ hat sich gelohnt. Es ist ein rundes Album mit vielen Facetten geworden, das mir das Gefühl gibt, mit den Neubauten etwas wichtiges verpasst zu haben.

>>> Albumstream

Eine Reaktion

  1. #1 MDMA

    12:09 Uhr, 28.2.2008, Link

    bin auch erst seit kurzem auf EN aufmerksam geworden und liebe das neue album nach mehrmaligem hören. so soll musik sein: abstrakt, manchmal lärmig aber doch hie und da mit einer schönen melodie. und an den texte kann man lange knobeln….blixa ole

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