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78s-Motel: Michel Mettler – 40 und ein bisschen leise

Von    |   16. Juni 2007   |   0 Kommentare

STELL ENDLICH DIESEN LÄRM AB – wer kennt den Satz nicht von früher her, aus dem Mund einer besorgten Mutter, die um die Hirnmasse ihres headbangenden Sprösslings bangt? Dass der gleich noch etwas aufdreht, ist Ehrensache. Aber Hand aufs Ohr, Freund um die 40: Wie hältst du’s heute mit der Lautstärke?

Die einen haben damals ein Ausrufezeichen hinter das Wort Lärm gesetzt: „Ist Intensität, ist unser Leben, ihr Leisetreter!“ Die andern, zu denen ich zähle, haben widersprochen: „Wer das Lärm nennt, hat kein Ohr und keine Ahnung von Kunst.“ Mit dieser Strategie bin ich nicht weit gekommen bei meinen Erziehungsbevollmächtigten. Immerhin habe ich sie dazu gebracht, einzuräumen, das sei organisierter Lärm. Wie grossmütig!

Doch die Lebensjahre, muss ich zugeben, haben auch mich leiser gemacht. Oft stelle ich fest, wie ich, statt andere zu stören, mich beim Erlauschen feiner Details stören lasse. Immer öfter möchte ich vom Schreibtisch weg auf die Strasse rennen und jetzt, zwanzig Jahre später, selbst jene Forderung rausbrüllen: Stellt endlich diesen Lärm ab! Weil niemand zuhören würde, lasse ich’s bleiben und merke schon bald, dass ich intuitiv Gegenlärm produziere. Für Momente soll ein Lärm den andern erträglich machen. Vielleicht gelingt es mir, ein Reservat der Stille zu errichten, an dessen äusserer Umfriedung der Lärm vorbeitobt, für kurze Zeit meinetwegen…

Doch die Unterscheidung zwischen Lärm und Musik ist nur eine blauäugige Übereinkunft zwischen friedliebenden Menschen. Würde dieser Friede einmal aufgekündigt, käme zum Vorschein, wie unhaltbar jene Definitionsgrenze ist, die durch die Geräuschwelt verlaufen soll, eine Seite zu Musik, die andere zu Lärm erklärend. Wir haben uns geeinigt, da nicht allzu scharf hinzuhören – und so lassen wir Lärm Lärm sein, damit Musik Musik bleiben darf. Nun denn, Gehörschutz runter! Aber was zum Teufel ist das schon wieder für ein Garten­gerät, mit dem mein Nachbar am Zaun ein exzessives Solo spielt?

Michel Mettlers Romandebut „Die Spange“ ist bei Suhrkamp erschienen. Lesen!

(Illustration: Sarah Von Blumenthal)

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