78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Hintergrund

David, der Jimi Hendrix des Alten Testaments

Sehen so die Zeichen der Zeit aus?Generation Golf, Generation Praktikum, Generation Bachelor. Kennen wir alles. Haben wir alles zur Kenntnis genommen. Jetzt aber wird’s dreist: Jetzt werden schon die Namen unbescholtener Musikblogger zu solchen Wortklaubereien missbraucht. „David Generation“, neulich in Form einer Cd des Projekts „Zeichen der Zeit“ von Sony BMG ins Haus geflattert. Hinter dem Projekt steht Xavier Naidoo, mit von der Partie sind unter andere Patrick Nuo, Cassandra Steen und Danny Fresh (Yvonne Catterfeld, die bei der ersten Platte des Projekts mit von der Partie war, ist nicht mehr dabei). Natürlich ist Bedeutungsschwangeres drin, wo Naidoo drauf steht. Könnte man nicht mal Naidoos Stimme ohne Text dazu haben? A propos Text: Natürlich muss die Titelwahl „David Generation“ erklärt werden. Selten dümmlich führt die Pressemitteilung aus:

„David. So hiess der Outdoortyp, der erstmals den Terminator Goliath mit einer Steinschleuder niederstreckte. Das wissen die meisten. Dass David aber auch so etwas wie der Jimi Hendrix des Alten Testaments war, ist nur Insidern bekannt: Der spätere König eckte gerne mal an, trug sein Herz auf den Lippen, war ein begnadeter Sänger und suchte vor allem die Nähe Gottes“.

Wetten, Naidoo hat das getextet?

Mit gutem Gewissen Geld machen

Gutes Gewissen und Schmieröl der Musikindustrie: John PeelEnde Oktober hat sich der Tod des legendären BBC Radio-DJs John Peel (MySpace, Wikipedia) zum zweiten Mal gejährt. Noch immer gilt er vielen als gutes Gewissen des Musikgeschäfts und Schutzheiliger aller unterbewerteten Künstler. Dazu – und das darf man durchaus auch mit einem kritischen Auge sehen – dient er seitdem ungezählten Bands als Verkaufsargument. Denjenigen Bands nämlich, die ihre Peel Sessions veröffentlichen, jüngste Beispiele sind die Isländer Mùm und die Briten Pulp.

Geboren wurden die Peel Sessions ursprünglich aus der Not. Ein Gewerkschaftsvertrag schränkte die Anzahl Songs ein, die Peel ab Platten (jawoll, damals gab es noch keine „Silberlinge“) durch den Äther senden durfte. Also holte sich der findige Moderator die Bands live ins Studio – die Peel Sessions waren geboren, am 21. September 1967 ging die erste mit Tomorrow über die Bühne. Die Namen der Bands aufzuzählen, die seitdem bei Peel gespielt haben, wäre müssig. Es sind unglaublich viele und unglaublich viele gute (nach Peels Tod 2004 wurden die besten 125 Sessions zusammengestellt).

Man mag sich glücklich schätzen, wenn nun diverse Bands ihre Auftritte bei Peel für die Ewigkeit auf Cd festhalten und öffentlich zugänglich machen. Andererseits handelt es sich bei den meisten Aufnahmen um einfache Live-Mitschnitte, die nicht besser klingen, bloss weil sie in Peels Studio aufgenommen wurden. Es ist die Legende des Radiomoderators, welche die jeweiligen Platten heller strahlen lässt. In der Ehrerbietung der Bands an einen grossen Fürsprecher schwingt also auch eine gute Portion betriebswirtschaftliches Kalkül mit.

Alleine Amazon listet 59 Platten auf, die im Namen Peels verkauft werden. Weitere werden folgen. Eins kann man den Bands immerhin zu gute halten: John Peel hätte es wohl so gewollt.

> Dieser Tage erscheinen die Memoiren Peels in Deutscher Übersetzung. Kauft Sie euch, auf englisch!

Richard Ashcroft: Das Beste kommt noch

ashcroft-78.JPGRichard Ashcroft, du bist jetzt seit einiger Zeit unterwegs
Ja, das geht schon eine Weile so. Aber nicht so lange wie bei Neil Young oder Bob Dylan. Dylan veröffentlichte eines der besten Alben dieses Jahres. Das gibt mir Hoffnung, dass ich noch nicht einmal begonnen habe.

Denkst du das wirklich?
Ja, auf eine gewisse Art und Weise schon. Ich denke nicht, dass ich die besten Songs schon bereits geschrieben habe.

Du betrachtest diejenigen auf Urban Hymns also nicht als deine besten Songs?
Das sind meine Songs. Ich habe sie geschrieben. Wenn du Urban Hymns anschaust, dann steht da: Geschrieben von Richard Ashcroft. Es heisst nicht, dass die von The Verve stammen, sondern sie sind von mir. Es sind grossartige Songs, es geht auch nicht darum, diese zu toppen. Viel mehr geht es darum, sich in verschiedene Richtungen zu bewegen und verschiedene Farben auszuprobieren. Ich sage nie, dass jedes Album besser wird, es geht immer ums gleiche. Ich denke, dies ist das Problem: Jeder will ein Comeback, jeder will irgend etwas sein. Wenn ich sterbe, sollen alle Songs zusammen als eine Einheit wahrgenommen werden.

Und die Plattenfirma wird ein Greatest Hits Album daraus machen.
(lacht) Genau. Oder ein Box Set…

Du sagtest, dass 2006 ein gutes Jahr werden könnte, wenn wir alle die Vogelgrippe überleben. Das Jahr ist fast vorüber…
All die Vögel sind noch nicht angekommen. Musikalisch war es ein superbes Jahr, es ging nur vorwärts. Mit diesem Album habe ich einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Meine Gruppe an Fans ist weltweit angewachsen, was brillant ist. Das ist aufregend für die nächste Platte. Ich denke, die Geschichte wird sagen, wie merkwürdig es ist, dass ein Typ all diese Songs geschrieben hat. Es wäre interessant gewesen, zu sehen, was passiert wäre, wenn die Songs auf Urban Hymns meine erste Solo-CD geworden wären. Ich freue mich auch aufs nächste Jahr, weil dann meine neue Platte rauskommen wird.

Musikindustrie wohin?

Es gibt mittlerweile unzählige legale und illegale Wege, die zur Musik führen. Der Musikkonsument der Gegenwart ist durch die angeblich unbegrenzte Verfügbarkeit der Musik wohl ähnlich verwirrt wie das Strichmännchen nebenan. Mit Orientierungslosigkeit, Übermut oder Verfolgungswahn hangelt er sich durch den Dschungel der Online-Musikdistribution.

Der Verschwörungstheoretiker fragt sich: Wieso soll ich für Musik bezahlen, wenn die Musikindustrie und nicht der Künstler das Geld macht? Profitieren von der Musik-Flatrate (bei der man beispielsweise bei Napster für 15 ‚¬ im Monat nach Belieben downloaden kann) nicht gerade diejenigen Bands, die ich gar nicht unterstützen will?

Der Fortschrittsgläubige fragt sich: Warum lernt die Musikindustrie nicht aus den verlorenen Schlachten gegen Raubkopien und nervt mich mit DRM-Verschlüsselungsverfahren, die verhindern sollen, dass ich meine Musik meinen Freunden weitergebe? Wieso jammert die Musikindustrie – wo ich bedeutend mehr Geld im iTunes-Store liegenlasse als damals im Plattenladen – anstatt von den Möglichkeiten des Web 2.0 zu profitieren?

Der Nostalgiker fragt sich: War es früher nicht einfacher gute Musik zu finden, als mir der Plattenverkäufer verlässliche Tipps gab, während ich mich heute auf Myspace in einem Wirrwarr von austauschbaren Bands verliere? Ist es nicht schade, dass Musik zu einem so vergänglichen Gut geworden ist, dass mir meine Lieblingsplatte in Zukunft nur noch gehört, so lange ich Abonnent bleibe (wie das bei der Musik-Flatrate der Fall ist)?

Der Blogger fragt sich: Wieso werde ich für MP3-Verlinkungen abgemahnt, die doch in erster Linie kostenlose Werbung für das Produkt sind?

Und alle fragen sich: Hat die Musikindustrie bald ausgedient, wenn sie ihre Kunden weiterhin bekämpft, statt mit fairen Angeboten zu bedienen? Euren Senf zum Thema könnt Ihr da oder noch besser hier dazugeben:

Liebe Musikpiraten und Vertreter der Musikindustrie, die Podiumsdiskussion ist eröffnet!

„Pepsi or Coke?“ mit The Blow

Die heimliche Platte des Monats kam im Oktober von The Blow. Schmissiger DIY-Elektropop von einem Duo aus Portland, der hier auf Herz und Nieren getestet und für sehr gut befunden wurde. Nun haben wir Jona, der die Sängerin Khaela an elektronischen Fäden tanzen lässt, vor Entscheidungsschwierigkeiten gestellt.

Taub oder blind?
Jona: Ich glaube blind. Das erinnert mich an diese unmögliche Frage, die mir mal ein Freund gestellt hat: Würdest du lieber jeden Tag eine Flasche Gin trinken oder einen Haufen Hundescheisse essen?

Spinnen oder Schlangen?
Als ich klein war hat mich mein Bruder in einem Raum voller Krabben eingeschlossen. Für mich sind Spinnen Mini-Krabben und deshalb habe ich fast ebenso grosse Angst vor ihnen.

Tour oder Studio?
Touren ist meine liebste Beschäftigung überhaupt. Ich mag es neue Leute zu treffen und an Orte zu gehen, von denen ich nicht mal gehört habe.

Punk oder Pop?
Beides.

DFA oder Neptunes?
Beide.

Missy oder Beyoncé?
Missy, weil sie neue und seltsame Klänge im Mainstream etabliert hat.

Pavement oder Sonic Youth?
Pavement im Moment, Sonic Youth für die Ewigkeit.

Shrigley oder Beuys?
Ich kenne Beuys nicht sehr gut, aber ich mag die Bilder, die ich von David Shrigley gesehen habe. Ich bin nicht sicher, ob dies ein Geheimnis ist, aber Tomlab bringt eine Compilation mit Musik raus, die von Shrigley’s Büchern inspiriert ist – und ich glaube ich werde auch einen Song beisteuern.

DeLillo oder Roth?
Meine Freundin wäre für Philipp Roth. Ich bin kein grosser Leser und schäme mich dafür.

Lynch oder Jarmush?
Ich habe Twin Peaks gesehen, als ich neun war. Lynch hat mich mit dem Unheimlichen bekannt gemacht, „Rückwärtsstimmen“ beispielsweise. Das habe ich dann nachgemacht, als ich begonnen habe Musik zu machen.

Al Gore oder Gandhi?
Al Gore, weil ich in Amerika lebe. Viele meiner Landsleute glauben immer noch, dass grosse Autos gut für die Umwelt sind.

Mac oder PC?
Ich bin nahe dran mir einen Apfel tätowieren zu lassen.

„Ich kaufe ja eigentlich nur mint.“

Finde die 5 GlatzköpfeIch habe mir heute wieder mal die Plattenbörse im Zürcher Volkshaus angetan, wo sich zweimal im Jahr Vinylophile treffen. Wo Spiesser im Rock’n’Roll graben, Nostalgiker in Erinnerungen schwelgen und Althippies auf der Suche nach der verlorenen Zeit sind.

Musiknormalverbraucher würden nur Bahnhof verstehen, wenn sie mitbekämen, wie hier über Raritäten, Diskografien und Preise gefachsimpelt wird: „Hast du die Originalpressung mal gesehen?“ – „Die ist grün und ziemlich dickes Vinyl, gell?“ – „Genau, auf Prestige. Ich hab die mal bei einem Franzosen bestellt. Furchtbarer Zustand, ich kauf ja eigentlich nur mint. Mit diesen Franzosen kann man einfach nicht geschäften.“

Bild: Der typische Plattensammler trägt Glatze, Windjacke oder Ledergilet.

Viele der rund 60 Händler haben seit Jahren ihren Stammplatz. Sie lassen sich in drei Gruppen einteilen: Die schlurfigen Junggesellen mit Nerdbrille, die sorgfältig rasierten Ehemänner mit schütteren Haaren und die ewigen Langhaarrocker mit Achselschweiss. Wenn man sich eine Platte genauer anschaut, sagen sie „Die ist gut“ damit man sie nimmt. Oder sie haben dazu eine Anekdote auf Lager.

Als ich aus dem Volkshaus rauskam, habe ich mir geschworen nie so zu werden, wie die da drin. Doch jetzt, wo ich einer neuen LP beim Drehen zusehe, bin ich mir doch wieder ziemlich sicher, dass die Platte das eleganteste Ding ist, das die Maschinen des 20. Jahrhundert hervorgepresst haben. Und so bin ich wohl für immer den Rillen verfallen. Bis ich ein nostalgischer, spiessiger Glatzkopf bin.

„Es ist doch völlig egal, woher die Musik kommt“

Haben wenig Grund zum Streiten: Fotos mit Tom (2 v.l.)Interview mit Fotos-Sänger Tom Hessler in seiner Wohnung, einer typischen Studenten-WG in einem Hamburger Aussenquartier. Plötzlich macht es klick. Das Band des Diktiergeräts ist voll, nach gefühlten zehn Minuten ist eine Stunde vorbei. Wenn Tom über Musik spricht, dann ohne Punkt und Komma. Man kann seine Begeisterung förmlich spüren. Und hier spricht nicht etwa nur der Musiker Tom über seine eigene Musik, sondern auch der Musikfan Tom über Musik im allgemeinen. „Ich bin süchtig nach Musik, seit ich zwölf war.“ House, Funk, Pop, Klassik – alles Phasen, die Tom nebst dem Fixpunkt Gitarrenmusik durchgemacht hat. Und von denen er sich regelmässig inspirieren lässt. „Der Musikfan in mir kauft die Platten, der Musiker pickt sich gezielt kleine Elemente heraus, aus denen dann eigene Songs oder Teile davon entstehen.“

Toms Songs kommen an. In Deutschland werden Fotos gerade als Band der Stunde gefeiert, im November beginnt die erste grosse Tour. So sehr er sich über diese Entwicklung freut – zwiespältig ist es trotzdem: „Mit dem Hype ist es so eine Sache. Viele Leute denken, wir wären jetzt schon reich, und nehmen uns das irgendwie übel. Dabei verdienen wir im Moment weniger als früher mit unseren Studentenjobs.“

Von einer Szenezuordnung hält Tom nichts. „Wir kommen alle aus unterschiedlichen Gegenden Deutschlands, bringen verschiedene Einflüsse mit. Als Band fühlen wir uns keiner Szene zugehörig.“ Er geht gleich noch einen Schritt weiter: „Wir sind auch keine deutsche Band, sondern einfach eine Band. Und das ist der Unterschied zu den ‚deutschen Bands'“. Dass Toms Texte deutsch sind, hat denn auch nicht damit zu tun, dass er seine Herkunft hervorheben möchte: „Das ist nunmal meine Sprache, englische Bands überlegen sich auch nicht, ob sie englisch singen sollen“. Diskussionen über Zuordnungen von Bands langweilen, ja nerven, ihn. Sie bringen nichts, schränken nur ein. „Es ist doch völlig egal, woher die Musik kommt. Es zählt nur, ob sie gut ist.“

Heute gehört

Weckerfiepsen, Parkettknacksen, Urinplätschern, Spülungsrauschen, Duschwasserbrausen, Kaffeemaschinendröhnen, Zeitungsrascheln, Wasserhahntropfen, Zahnbürstenschrubben, Klingeln, Beamtenstimme, Kotplumpsen, WC-Deckelknallen, Schlossklacken, Verkehrsbrummen, Beach House, Handysurren, Elternstimmen, Radiogedudel, Miauen, Besteckgeklimper, Zahnarztwerkzeugkreischen, Münzklingeln, Verpackungsgeknister, Bonnie ‚Prince‘ Billy, Auslöserklicken (nur ein Foto, nicht auf Menschen geschossen), fremde Stimmen, vertraute Stimmen, Pfannenzischen, Gläserklirren, Feuerzeugklacken, Manyfingers, Regenprasseln, Kühlschranksurren, Laptoprauschen, Tastenklicken.

Und was hört Ihr so?

(Diese süsse Ohrenmaus sieht in echt bedeutend weniger niedlich aus.)

Hoch soll er leben

Okay. Wir könnten uns hier anbiedern und als tausendster Blog Apple und Steve Jobs zum 5. Geburtstag ihres Steckenpferdes iPod gratulieren und dazu passenderweise die langweilige Keynote von 2001 verlinken. Stattdessen gratulieren wir mit einem „kleinen“ Trommelwirbel:

http://www.youtube.com/watch?v=VNvwfJ3zuxk

Grosi-TV zieht weiter seine Kreise

Die Sendung „Die grössten Schweizer Hits“ wird bei uns weiterhin kontrovers diskutiert. Heute meldet nun der Blick, dass die Compilation zu Sendung bereits über 25’000 Mal verkauft und damit vergoldet wurde – und zitiert den Verkaufschef des zuständigen Vertriebs Universal: „Die oft schon tot gesagte Cd lebt!“. Naja. Notabene 1: Die Cd wurde von einem der grössten Musikvertriebe der Welt lanciert, gemeinsam mit dem Schweizer Fernsehen aka Grosi-TV und dem Blick. Notabene 2: Das Durchschnittsalter der ZuschauerInnen von Grosi-TV liegt bei knapp 60 Jahren, bei besagter Show wahrscheinlich auch in etwa. Frage: Wie sensationell ist es, dass 25’000 rund 60 Jahre alte Menschen sich eine Cd kaufen, die ihnen vom Schweizer Fernsehen und dem Blick ans Herz gelegt wird, mit Songs, die sie zum Teil selber ausgewählt haben? Die tot gesagte Cd wäre allerdings sowas von mausemässig tot, wenn sogar diese Leute diese Songs plötzlich als MP3 schwarz tauschen würden.