78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Alle 1294 Artikel von Ralph Hofbauer

Die Tiere sind unruhig

Morgen erscheint das neue Kante-Album. Vorerst nicht in der Schweiz, sondern lediglich in Deutschland. EMI will den dortigen Erfolg abwarten, bevor „Die Tiere sind unruhig“ hier veröffentlicht wird. Dieser dürfte allerdings gesichert sein, wurde die Scheibe doch von Musikexpress und Visions zum Album des Monats erkoren. Da fragt man sich, wie die Musikindustrie mit solcher Blindheit aus ihrem Jammertal herausfinden will. Was tut ein Musikjunkie, der neuen Stoff braucht und in seiner Stadt keinen Dealer findet? Richtig, downloaden.

Foiaweak

Mit Feuerwerk ist ja nix morgen, dafür legen Attwenger auf der Sommerbühne der Roten Fabrik Feuer, indem sie Elektro mit Volksmusik kurzschliessen. Die beiden Linzer veredeln ihren polternden Polkapunk mit unsäglich witzigen Texten zwischen Dada und Subversion – wenn ma’s denn vaschtean tuad. Wos die zwä uns im Intawiu zu sogn hom efoats ia übamoagn hia.

Auch auf die Vorband darf man sich freuen: die Dead Brothers, das beste Begräbnisorchester der Schweiz, vielleicht sogar der Welt. Be there or be square!

Scheiss Hippies?

Es ist die Woche der Finnen. 22 Pistepirkko nennen sich für einmal The Others und covern The Kinks, Link Wray, The Everly Brothers und Buddy Holly – lauter alte Mucke also. Kytäjä machen auch etwas das alt tönt, aber ganz anders, nach Früh-70er Psychedelia. Instrumentale Landfluchten in Feld, Wiesen und Kraut von zwei Sandkastenfreunden aus einem Kaff namens Kytäjä. Ebenfalls rustikal schnitzen Espers ihre Songs, wenn auch nicht aus finnischem, sondern aus amerikanischem Holz. Auf ihrem zweiten Album changieren sie noch beeindruckender zwischen Idyllischem und Kratzigem, Mittelalter und Post-Folk. Hat da jemand „scheiss Hippies“ gerufen? Dann halt rocken mit Stone Sour und Duels oder klickern mit den Kammerflimmer-Remixes. Doch irgendwie sind das ja auch Hippies, obwohl sie sich mit Computern auskennen.

The Others (a.k.a. 22 Pistepirkko) – „Monochrome Set“ (recrec)

Kytäjä – „s/t“ (recrec)

Kammerflimmer Kollektief – „Remixed“ (Staubgold/recrec)

Espers – „Espers II“ (Wichita/TBA)

Duels – „The Bright Light & What I Should Have Learned“ (V2/TBA)

Stone Sour – „Come What(ever) May“ (Musikvertrieb)

The Veronicas – „The Secret Live Of The Veronicas“ (Warner)

Cat Stevens – „Boxset“ (4CDs, Reissue / Universal)

Every Move a Picture – „Hear = Weapon“ (V2/TBA)

Was hat dich bloss so ruiniert?

Zu seinen Blütezeiten war er „Crazy For You“. Heute ist er crazy for Booze. Entgegen seinen Beteuerungen trocken zu sein wird der ehemalige Knight Rider, Bademeister und Baucheinzieher David Hasselhoff des öfteren beschwippst und torkelnd angetroffen. In Wimbledon wurde er vom Platz verwiesen und letzthin musste er gar mit einem Rollstuhl zum Gate des Flughafens gekarrt werden, so verladen war er. Um mit einem Sterne-Hit zu sprechen: Was hat dich bloss so ruiniert, David?

Howdy!

Es darf wieder geschunkelt werden. Country is back. Vor allem amerikanische Songwriterinnen besinnen sich wieder vermehrt auf gutabgehangene Melodien für Fernfahrer. Jenny Lewis, Sarah Worden von My Brightest Diamond, Amy Millian, und seit „Islands“ auch Cat Power, kleiden ihre sentimentalen Sehnsuchtslieder gerne im Cowboy-Hemd. Ein solches kann man ja selbst in Szenelokalen getrost wieder tragen. Auch US-Jungs besinnen sich vermehrt wieder auf die „amerikanischste aller Musiken“ (O-Ton Kollege Albrecht). Americana oder Alternative Country kann man solch altbackene Musik, wie sie beispielsweise The Elected machen, wohl nicht mehr nennen – es ist schlichtweg Country-Pop, wenn auch vom Feinsten. Der Bezug auf dieses schnell mal als erzkonservativ abgeurteilte Musik-Genre geschieht zwar oft mit einem ironischen Gestus, aber irgendwie wird man den Verdacht nicht los, dass die Songs genannter Künstler ehrliche Hommagen sind und kein Western-Maskenball. Neben den Protagonisten des Mainstream-Countrys, der seinen Weg nach Europa vor allem über die Hochzeitsklatschspalten findet, wenn ein Hollywood-Sternchen einen Country-Star heiratet, scheint eine neue Songwriter-Generation den Country wiederzuentdecken, die mit Bush nichts am Cowboy-Hut hat.

Die Zeiten, in denen man mit Country John Brack (R.I.P.), Shania Twain oder eine spassige Hobby-Köntri-Truppe assoziierte, sind also hoffentlich vorbei. Das war ja auch mal wunderbare Musik früher. Wem bei Klassikern wie „Oh, Lonesome Me“„Your Cheatin‘ Heart“ oder „The End Of The World“ nicht warm ums Herz wird, dem ist nicht zu helfen. Entgegen der gängigen Meinung ist die Country-Musik vor Johnny Cash geboren worden. Ihre Wurzeln reichen zurück bis vor die Erfindung der Schallplatte. In den 20ern brachte die Carter Family volkstümliche Stücke aus den Appalachen mit in die Radio- und Aufnahmestudios und so wurde aus mündlich tradierter Volksmusik die erste Form der Popmusik. Gut möglich, dass bald wieder Carter Family-Songs gecovert werden. Der Fundus, den die Carter Family mit gegen 300 Liedern hinterlassen hat, ist gross genug. Wie wärs mit „Worried Man Blues“

Sommerloch? Ne.

Die geplante Brecht/Weill-Adaption von Slut wird nicht erscheinen, weil da ein paar Leute was dagegen hatten. Lest selbst. Viele andere Zangen- und Spätgeburten haben diese Woche aber wider erwarten doch noch das Licht der Welt erblickt. Pharells neues Album „In My Mind“, dessen Veröffentlichung ständig wieder aufs Neue verschoben wurde, materialisiert sich endlich auch ausserhalb der Gedanken des Neptunes-Masterminds. Tom Petty macht nach vier Jahren Absenz wieder von sich hören. Tapes N Tapes, die in Amerika schon lange als Hoffnung gelten, haben es über den Atlantik geschafft. Lemmy war immer da, doch die New York Dolls sind zurück, inkl. Plateaustiefel und Lippenstift. Und Jurassic 5 werden von ihrem neuen Album wohl in die Charts katapultiert.

Auf die neue Scheibe von Kenny Anderson a.k.a. King Creosote hingegen hat wohl niemand gewartet. Auch ok so. Behalten wir für uns, wie schönen schlauen Folk der Schotte macht. Von wegen Sommerloch. KC Rules! Ohne Frage.

Tom Petty – „Highway Companion“ (Warner)

King Creosote – „KC Rules OK“ (Warner)

Jurassic 5 – „Feedback“ (Universal)

Pharell – „In My Mind“ (EMI)

Tapes N Tapes – „The Loon“ (XL/Musikvertrieb)

Nasio Fontane – „Universal Cry“ (Greensleeves/Musikvertrieb)

New York Dolls – „One Day It Will Please Us To Remember Even This“ (Musikvertrieb)

V/A (u.a. Madvillan/Quasimoto/J Dilla) – „10 Years Of Stone Throw“ (Musikvertrieb)

Motörhead – „Kiss Of Death“ (Phonag)

More Morr!

Frustriert? Liebeskummer? Kopf hoch! Morr Music wird dich für immer lieben – behauptet zumindest die Webpage des Labels. Verlieben kann man sich in so einiges, was Morr an Lager hat, in B. Fleischmann, Lali Puna oder das Tied & Tickled Trio zum Beispiel. Filigrantechniker der Spielarten Indie, Elektronik und Jazz finden beim Berliner Label ein zu Hause. Gemeinsam ist Morr-Alben das Feingefühl für akustische Seelenlandschaften und Artwork, das Downloader vor Neid erblassen lässt. Drei sehr verschiedene, aber kongeniale Morr-Releases werden diesen Herbst zu einem Spätsommer machen. Die totgeglaubten Weilheimer Couch beweisen, dass instrumentale Gitarrenmusik nicht langweilig sein muss, Guther lassen auf sanfte Weise den Indie-Rock hochleben und F.S. Blumm zeigt, wie schön Kammermusikjazz sein kann. Wer more Morr will kann hier ein Interview mit Labelgründer Thomas Morr lesen.

Zukunftsmusik

Am 15. September erscheint das neue Album von Dani Siciliano. Die Vorab-Promo klingt tatsächlich als käme sie aus der Zukunft, so futuristisch steht die Klangarchitektur von „Slappers“ (K7/Namskeio) im Raum. Ein ganz anderes Album als das vielgelobte Debut „Likes“ ist es geworden. Weniger Kerzenlicht, mehr Drive. „Slappers“ entschlackt Genres wie R&B, Funk und Soul zu Groove-Skeletten und Song-Miniaturen. Siciliano verwendet Stilmittel von Songs, in deren Videos reichlich Champagner über Bikinis fliesst, und torpediert textlich gleichzeitig die Arschfixiertheit solcher Musik: „Use your head, not your behind.“ Ihren Po braucht Siciliano lieber in Herbert’scher Manier zum Musikmachen: Der Beat der B-Seite der Single „Why Can’t I Make You High“ besteht aus einem Sample von einem Klaps auf den Allerwertesten.

Cash ohne Ende

Seit dieser Woche steht eine musikalische Nahtoderfahrung der besonderen Art in den Läden. „American V – A Hundred Highways“ (Universal) ist das erste posthum veröffentlichte Johnny Cash-Album. Mit dem Hauch des Sensemanns im Nacken sang Cash 2003 die Gesangsspuren für „A Hundred Highways“ ein, erst im letzten Jahr entstanden dann unter der Leitung von Nachlassverwalter Rick Rubin die elegischen und kargen Arrangements. Die dem Tod geweihte Stimme, die über den Gitarren und Pianos schwebt, ist noch weiser, transzendenter, zerbrechlicher und zugleich stärker, als man erwarten durfte – von senilem Röcheln und Lallen keine Spur. Neben seinen zwei letzten Eigenkompositionen gibt Cash Spirituals, Traditionals und Coverversionen von Hank Williams, Gordon Lightfoot und Bruce Springsteen zum sprichwörtlich Besten. So schliesst sich dieses intime und zeitlose Album nahtlos an seine ebenso ehrlichen und grossen Vorgänger an und Cash wird wohl unser aller Wunsch-Grossvater bleiben. Wie singt er doch so schön (was sich nur aus dem Kontext gerissen grössenwahnsinnig anhört): „I’ll be a legend in my time“. Legendär war der Man in Black immer, zur Hollywood-vereidigten Legende wurde Cash allerdings erst nach seiner Zeit. Rick Rubin hat bereits den sechsten Teil der American Recordings angekündigt. Nach „Walk The Line“ also noch immer Cash ohne Ende – zumindest für Rubin.

Ab heute zu kaufen

Endlich ist es soweit: Thom Yorkes sagenumwobenes Soloalbum steht in den Läden. „Eraser“ (XL/Musikvertrieb) bietet ausgefuchsten Katzenjammer-Elektropop, der auch als Radiohead durchgehen könnte. Hören kann man das komplette Opus magnum hier.

ebenfalls ab heute zu haben:

Peaches – „Impeach My Bush“ (XL/Musikvertrieb)

Sebadoh – „Sebadoh III“ (Domino/Musikvertrieb)

De Rosa – „Mend“ (Chemikal Underground/Musikvertrieb)

Johnny Cash – „American V: A 100 Highways“ (Universal)

Pink Floyd – „P.U.L.S.E.“ (DVD; EMI)

One Second Bridge – s/t (Namskeio)

Amy Millan – Honey from the Tombs (TBA/Arts & Crafts)