78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Alle 1294 Artikel von Ralph Hofbauer

Neue Scheiben von alten Hasen

HipHop ist diese Woche angesagt. Doch es sind keine neuen Reimwunder, die kommen, um den HipHop zu retten, es sind die alten Recken, die neue Rhymes aushecken. Labtekwon, von Chuck D als Thelonious Monk des HipHop gepriesen, legt sein 20. Album vor, Wurzel 5 beweisen einmal mehr Teamgeist und Outkast versuchen sich an einem Musical. Wem Caps und Sneakers nicht so wichtig sind, der hat die Wahl: Walls Of Jericho und Nightmare für Hartgesottene, Justin Balk, Sebastian Hämer und Astrid Williamson für Weicheier – oder Razorlight und Sugarplum Fairy für diejenigen mit harter Schale und weichem Kern.

Outkast – „Idlewild“ (Sony) 

Labtekwon – „Ghetto Dai Lai Lama“ (Karbon)

Wurzel 5 – „Teamgeist“ (Musikvertrieb)

 

Neuheiten der Woche ohne breite Hosen:

Sebastian Hämer – „Der fliegende Mann“ (Musikvertrieb)

Walls Of Jericho – “ With Devils Among Us All“ (Musikvertrieb) 

Justin Balk – „Golden“ (TBA)

Catham County Line – „Speed Of The Whippoorwill“ (Karbon)

Begona Bang Matu – „I’m Thinking About You“ (Karbon)

Astrid Williamson – „Day Of The Lone Wolf“ (recrec) 

Razorlight – s/t (Universal)

Sugarplum Fairy – „First Round, First Minute“ (Universal)

Nightmare – „Anima“ (Universal)

O.S.T. – „Snakes On A Plane“ (Warner)

Paris Hilton – „Paris“ (Warner)

 

Pythagoras, Bach und Ray Charles

Man könnte meinen die Schatzkammern der Popgeschichte seien geplündert, sämtliche Mythen verschachert und alle Legenden biografiert worden. Shuggie Otis, Nick Drake, Townes Van Zandt, Mulatu Astatke, Ananda Shankar – die Liste der erst posthum zu Ruhm gelangten Genies ist lang. Mit Judie Sills wird sie um eine Folk-Chanteuse mit Affinität zu Gospel und Barock länger. Ihre kurze Karriere lang stand Sills im Schatten von Joni Mitchell und Carole King. Ein wenig Airplay erhielt lediglich ihre poppige, nicht unbedingt repräsentative Single „Jesus Was A Cross Maker“ (dem einzigen Song auf ihrer freu(n)dlosen MySpace-Seite).

Angesichts der wenigen vorhandenen biografischen Eckdaten ihres kaputten Lebens erstaunt der geradezu pastorale Optimismus, den die Musik von Judee Sill ausstrahlt. Ihre Jugend verbrachte Sill auf der Flucht vor ihren alkoholabhängigen Eltern, sie hielt sich als Barmusikerin über Wasser, verfiel bald selbst den Drogen, beging mehrere Überfälle und landete auf dem Drogenstrich. Nach einem abermaligen Knastaufenthalt beschloss sie schliesslich, ihr Heil in der Musik zu suchen, was ihr über zwei Alben hinweg gelang, die 1971 und 1973 erschienen und nun als Doppel-CD „Abracadabra – The Asylum Years“ (Rhino/Warner) wiederveröffentlicht wurden. Sill begann darauf mit der Arbeit an einem dritten Album, wurde aber von ihrer Heroinsucht eingeholt und starb 1979 an einer Überdosis.

Ihre drei grössten Einflüsse seien Pythagoras, Bach und Ray Charles, soll Judee Sill einmal gesagt haben. Tatsächlich findet sich in ihrem Werk Präzision, Grösse und Seele. Ihre harmonischen Idyllen lassen sich zwischen Vashti Bunyan und Brian Wilson ansiedeln, wenn man die Pedal Steel-Gitarren wegdenkt. Sie selbst nannte ihre Musik „Country-Cult-Barock“ und das trifft den luftigen Sound ihrer Streicher- und Oboen-getragenen Songs gut. Zum Glück erstarrt die spirituelle Aura ihrer Musik nur selten in esoterischem Kitsch, sondern weist auf unprätentiöse Weise Richtung Himmel, wo Judee mit den Engeln singt.

„My Songs aren’t sad. They are just the way it goes.“

Kinowetter. Gerade angelaufen: Ein Portrait des 1997 verstorbenen Songwriters Townes Van Zandt. Der Film liefert ein Psychogramm der äusserlich ruhigen, innerlich zerrissenen Persönlichkeit des schlacksig-autistischen Texaners. Alkohol und Schocktherapien förderten seinen Hang zur Selbstzerstörung derart, dass er sich aus dem vierten Stock fallen liess, nur um zu wissen, wie sich das anfühlt. Wie sich Einsamkeit anfühlt, wusste er zeitlebens genau: „Aloneness is a state of being, whereas loneliness is a feeling – like being broke and being poor.“

Zürich: RiffRaff

Basel: Kultkino

Nigelnagelneu

Wäre untenstehende Liste von Neuerscheinungen die Menuekarte eines Restaurants, hätte ich Mühe mich zu entscheiden und würde mir vielleicht sogar wünschen ich hätte zu Hause gekocht. Am meisten gespannt wäre ich wohl, was Regina Spektor Neues auftischt. „Soviet Kitsch“ liess hoffen, sie wäre der Missing Link zwischen Tori Amos und Cat Power, doch mit „Begin To Hope“ begräbt man diese Hoffnung Song für Song. Ihre Zurückhaltung ist dem Mut zum Pop gewichen und die Pianominiaturen werden von Grossleinwandprojektionen überblendet. Kein Wunder, die New Yorkerin mit russischen Wurzeln spielt nun ja in der Major League. Leider kommt ihr Gänsehaut-Songwriting hinter der poppigen Fassade nur selten zum Vorschein – und dennoch beginnt in den magischsten Momenten von „Begin To Hope“ die Hoffnung wieder zu keimen, dass diese Frau etwas besonderes ist.

Menues der Woche:

Regina Spektor – „Begin To Hope“ (Warner)

The Twilight Singers – „Powder Burns“ (One Little Indian/recrec)

Sandy Dillon – „Pull The Strings“ (One Little Indian/recrec)

Manana Me Canto – „Arriba“ (recrec)

Lambchop – „Damaged“ (TBA)

Declan O’Rourke – „s/t“ (TBA)

Blood Meridian – „Kick Up The Dust“ (TBA)

The Black Neon – „Arts & Crafts“ (TBA)

Jan Gazarra – „Love Rules (Sunday Service/Namskeio) 

Comets On Fire – „Avatar“ (Sub Pop/Irascible)

Madsen – „Goodbye Logik“ (Universal) 

Joy Denalane – „Born & Raised“ (BMG)

Myrto – „Die mit O“ (BMG) 

Christina Aguilera – „Back To Basics“ (BMG)

Iron Maiden – „The Reincarnation Of Benjamin Breeg“ (EMI)

Exportschlager

Die Genfer Sinner DC werden bald mit Aphex Twin auf einer Compilation auftauchen, doch in der Deutschschweiz kennt sie keine – wie sagt man so schön – Sau. Wir sprachen mit Bassist Julien.

Ihr werdet vom Wire bejubelt, spielt gleich zweimal in London, aber in der Deutschweiz lediglich am Wuhrplatz Fest in Langenthal…

Wahrscheinlich liegt es an der medialen Sprachbarriere, dass wir in der Deutschschweiz nicht bekannt sind. Dass wir in grossen europäischen Städten gut ankommen, hat sicherlich auch mit unserem Label Ai zu tun.

Ihr habt als Rockband angefangen. Wieso habt ihr euch vor dem letzten Album entschieden elektronische Musik zu machen?

Diese Entscheidung wurde vor allem durch den Besetzungswechsel vor vier Jahren ausgelöst. Mit dem Computer hatten wir plötzlich ganz andere Ausdrucksmöglichkeiten und dieser Schritt war für uns insbesondere aufnahmetechnisch eine Revolution. Zudem haben sich eben auch meine Hörgewohnheiten verändert.

Euer neues Album „Mount Age“ (Ai/recrec) klingt einerseits kühl, andererseits trotzdem sehr emotional. Glaubst du das hat auch mit eurer Vergangenheit zu tun? 

Ja, sicher. Wir haben klassisches Pop-Songwriting immer gemocht – Melodien und Gefühle – und das versuchen wir in die Arrangements einzubringen. Deshalb stehen wir zwischen zwei Szenen. Live kommt unsere rockige Seite stärker zum Vorschein, deshalb passen wir nicht recht an elektronische Events und für ein Rockpublikum benutzen wir zu viele Synthesizer.

Wie seid ihr auf Pieter „Parra“ Janssen gestossen, der euer Cover designt hat?

Sonst hat das Artwork immer unser Sänger und Gitarrist Manu gemacht. Das neue Cover haben wir unserem Label zu verdanken. Sie haben uns den Vorschlag gemacht und wir fanden die Sachen von Janssen cool.

Live benutzt ihr Visuals. Wie wichtig ist euch die visuelle Seite von Sinner DC?

Alexia Turlin, eine Freundin aus Genf, macht unsere Videos und Visuals. Visuals waren für uns ein guter Weg von der Rockshow und dem ganzen Performance-Ding wegzukommen. 

Der G-Punkt des Universums

Die New Yorker Presse behauptet sie hätten den G-Punkt des Universums gefunden. Tatsächlich machen Gang Gang Dance Musik, bei der die Band als ein Medium höherer Mächte zu agieren scheint. Wer dem dunklen Zauber dieser Mächte verfällt, ist im Labyrinth der Klänge verloren.

Das Quartett entspringt den selben Künstlerkreisen Brooklyns wie Animal Collective und hat mit diesen vor allem eines gemeinsam: Ihre Musik lässt sich auf keinen Begriff bringen. Das hat mit Post-Rock, Neo Folk, Psychedelia, Indietronics, Ambient, HipHop und World Music vielleicht etwas zu tun, wahrscheinlich aber eher nicht. Gang Gang Dance vollziehen ein perkussives Ritual auf einer metaphysischen Tanzfläche und muten an wie eine schamanische Verschwörung schizophrener Engelschöre, die im zähflüssigen Plasma des Unterbewussten baden. Ihr neustes Epos „Gods Money“ besteht aus neun Mikrokosmen, die fremdartig und verstörend, aber auch katharsisch und beglückend wirken können.   

An Gang Gang Dance werden sich die Geister scheiden. Verschroben und krank mag der geneigte Pophörer dieses Live-Dokument finden, doch wenn selbst der alte Pop-Haudegen Morrissey an einem ihrer Konzerte gesichtet wurde, muss Gang Gang Dance tatsächlich etwas von universeller Gültigkeit anhaften. Am 18.8. kann man im Bad Bonn zum G-Punkt des Universums vorstossen.

Danielson?

Wer Sufjan Stevens kennt, beim Namen Danielson aber an Radsport denkt, soll dies hier und jetzt zum letzten Mal tun. Unter demselben Namen setzt ein amerikanisches Kollektiv GROSSE Vorstellungen von Popmusik um. Das Boot von Mastermind Daniel Smith ist auf „Ships“ (Secretly Canadian / Irascible) ganz schön voll, neben Sufjan sind Mitglieder von Why? und Deerhoof an Bord. Der vielköpfige Freundeskreis zelebriert das nerdige Songwriting mit ähnlich ungestümer Intelligenz wie Islands, die übrigens bald hier spielen. Ekstatisch, bombastisch, fantastisch!

10 Songs, die Jagger & Co heute nicht spielen

Beat-Man am B-Sides: „Kennet ihr d’Rolling Stones? Die hei ja hüt Turnschue anne, aber die hei au mau gueti Musig gmacht, wo si no Läderschue anne gha hei.“

Da ist was dran. Beat-Man entschied sich mit „Playing With Fire“ für einen Song, den die Stones heute in Dübendorf kaum spielen werden. An „Empty Heart“ können sie sich vermutlich nicht mal mehr erinnern. An „Under My Thumb“ vielleicht schon, aber dafür bleibt wohl keine Zeit. Vor lauter Hits werden sie wahrscheinlich nicht zu Songs wie „Child Of The Moon“ oder „Wild Horses“ kommen. „A 100 Years ago“ ist lange her und für „Sister Morphine“ sind sie heute einfach zu clean. Ob sie was vom unerreichten 69er-Album „Let It Bleed“ spielen? „You Can’t Always Get What You Want“ klingt aus dem Mund von Mick Jagger heute nicht mehr gerade glaubwürdig und „Love In Vain“ oder „Monkey Man“ stehen bestimmt nicht auf der Setlist. Vielleicht hat man mehr von diesem Abend und dieser Band, wenn man man sich diese 10 Songs anhört, statt im Regen zu stehen. Früher war vielleicht nicht alles besser, aber die Rolling Stones schon.

Frisch ab Presse

Eizi Eiz ist wieder da. Jan Delay, schon lange nicht mehr nur absoluter Beginner, sondern mittlerweile Profi in den verschiedensten Tanzsportarten, versucht sich diesmal am Funk. Dass dabei eine dolle Pladde rauskommt, ist keine Überraschung. Nasal und légèr wie gewohnt wettert Curtis Eisfield mit viel Soul gegen Bausparverträge und andere Dinge, die nicht so funky sind in der Bundesrepublik. Seine Bigband tut das übrige und „Mercedes Dance“ brächte wohl selbst James Brown ins Schwitzen. Jan Delay schreckt vor nichts zurück, auch nicht vor einem Duett mit Udo Lindenberg oder einem Rio Reiser-Cover – und dafür muss man den Eizi einfach lieben.

 

 

Diese Woche neu:

Jan Delay – „Mercedes Dance“ (Universal)

Oh No – „Exodus Into Unheard Rhythms“ (Stones Throw/Musikvertrieb)

Klee – „Zwischen Himmel Und Erde“ (Ministry Of Sound/Musikvertrieb)

Slayer – „Christ Illusion“ (Warner)

O.S.T. – „Miami Vice“ (Warner)

Boozoo Bajou – „Juke Joint II“ (K7/Namskeio)

Forward Russia – „Give me a Wall“ (TBA)

The Russian Futurists – „Me, Myself and Rye“ (TBA)

Curse – „Einblick Zurück“ (Sony/BMG)

Outlandish – „Closer Than Veins“ (Sony/BMG)

Allien am Apparat

Bald ist wieder Fasnacht. Provinzler und Zürcher malen sich bunt an, werfen sich in glimmrige Kostüme und ziehen durch die Gassen. Doch die Street-Parade hat auch ihre guten Seiten. Zumindest eine: die dreitägige Lethargy in der Roten Fabrik (11.-13.8.). Diesmal mit dem deutschen Elektro-Traumpaar Apparat und Ellen Allien, die mit ihrer CD „Orchestra Of Bubbles“ Synergien genutzt und Frühlingseuphorien ausgelöst haben. Zudem sind Alter Ego (Elektro+Rock), Dirt Crew (Elektro+Oldskool) und Paul St.Hilaire (Dub+Dub), sowie diverse Schweizer Grössen zugegen.