78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Alle 1294 Artikel von Ralph Hofbauer

Musik mal drei

Die Radiosender DRS 3, Virus, Couleur 3, Rete 3 und Radio Rumantsch haben am letzten Wochende ihr neues Musikportal www.mx3.ch aufgeschaltet, das Schweizer Bands die Möglichkeit bietet sich vorzustellen. Besonders gelungene Songs sollen ins Radioprogramm der dritten Senderketten aufgenommen werden. Die User können Songs kaufen, Playlists erstellen und austauschen. Gute Idee, doch mx3 hat vorerst noch einige Startschwierigkeiten. Viele der registrierten Bands haben noch kein Profil und keine Songs im Angebot und die deutschsprachige Version hört sich teilweise nach einer Bedienungsanleitung für Billigelektronik an: „Wähle Songs und füge meiner Playlist zu“.

Talentschau

Das Schlimmste vorweg. Sollten seine Eltern dafür verantwortlich sein, müsste das Sorgerecht entzogen werden. Nicht auszudenken, welche abgründigen Hassgefühle das in allfälligen Geschwisterzimmern auszulösen vermag. Wahrscheinlich aber ein Einzelkind, genauso wie dieser Hardrockstreber. Ein Stimmwunder der besonderen Art macht hier Tourismus-Werbung für die Schweiz. Man achte auf die zu 33% alkoholisierte Jury. Weniger virtuos, dafür mit sich bereits andeutender Zahnlücke: Vanessa Paradis bei ihren ersten musikalischen Gehversuchen. Er ist inzwischen pensioniert, aber egal: Der kleine Ricky ist der ganz grosse Sieger der ersten 78s-Talentschau. (Der Countryaward, der Rick Skaggs 20 Jahre später verliehen wurde, gibt uns Recht) 

Street Credibility

Während der Globalisierungsgegner Manu Chao seine Musik erfolgreich globalisiert hat, spielen Manana Me Chanto noch immer auf der Strasse und in Jugendzentren für eine gerechtere Welt. Wäre sie gerecht, hätten sie schon mit ihrem Debut „Arriba“ (recrec) ebensoviel Erfolg wie der King Of Bongo. Manana Me Chanto haben als Strassenmusiker in Barcelona angefangen und sind als Band in Basel gestrandet, wo sie ihr Debut eingespielt haben. Kompakte 29 Minuten Rumba- und Ska-Rhythmen, die streckenweise in etwa soviel Spass machen wie Sommer. Musik für weitgereiste Autostopper, zerlumpte Dreadlocks, tanzwütige Hedonisten, weltfremde Revolutionäre und Kiffer mit Strohhut. 

Tickets zu verschenken

Am 21. Oktober rocken 9 Männer und 3 Frauen für Amnesty International, verteilt auf die Bands Zhivago, The Delilahs und The Paces. 78s ist als Medienpartner dabei und verlost 2×2 Tickets für das Konzert in Basel. Schreibt ein E-Mail an gewinnen[ät]78s.ch und beantwortet folgende Frage: Welcher deutsche Singer/Songwriter spielte bei der letztjährigen Ausgabe von Amnesty Rock’n’Rights?

Und für alle die, denen diese Verlosung noch nicht genug ist: Auf www.rocknrights.ch könnt ihr zwie Gratistickets inklusive Übernachtung im 4**** Hotel gewinnnen.

Vinyl goes digital

Schon mal einen Laser-Plattenspieler gesehen?Gute Idee von Saddle Creek zur Freude aller Schallplattenfreunde mit Ipod. Wer sich die neue Homerecordings-Sammlung der Bright Eyes auf Platte zulegt, findet auf der „Noise Floor“-LP fünf Vinyl-only-Tracks und einen Code, mit dem er das Album auch gleich kostenlos downloaden kann. Vom gleichen Angebot  profitiert, wer das aktuelle Cursive-Album kauft, was man ohnehin tun sollte. Ein fairer Deal und vielleicht der entscheidende Kaufanreiz, um das Aussterben der Schallplatte noch ein paar Jahre hinauszuschieben. Liebe Plattenlabels around the world, bitte nachmachen!

Neue Platten, die Herzen und Hintern bewegen

Der Herbst steht vor der Tür und mit ihm seine Schwester, die Melancholie, die wieder mal eine Horde von Singer-Songwritern angeschleppt hat. Bitten wir sie herein: Nina Nastasia, die Königin der Nacht, den Superwolf Bonnie Prince Billy, David Pajo, den man allein schon wegen seinem Cover von „The Boys Are Back In Town“ mögen muss und Teitur, der Chris Martin der Geschmackssicheren. Ach, wie gemütlich ist es mit diesen dunklen Seelen. Colvin Shawn, die Norah Jones für Arme und James Morrison, der weichgespülte Jeff Buckley, müssen wegen wiederholter Transusigkeit leider draussen bleiben.

Wer kein Trübsal blasen will, kommt diese Woche mit DJ Shadow, The Rapture, den Scissor Sisters, dem Blusbueb oder der Black-Eyed-Peas-Fergie auf seine Kosten.

 

Die Königin der NachtPlatten die bewegen:

Nina Nastasia – On Leaving (Fat Cat/Namskeio)

Bonnie Prince Billy – The Letting Go (Musikvertrieb) 

Teitur – Stay Under The Stars (Edel/Phonag)

Pajo – 1968 (Drag City/recrec)

Cyann & Ben – Sweet Beliefs (Ever/Namskeio)

Ezio – Then Thousand Bars (Tapete/recrec)

Mates Of State – Bring It Back (Moshi Moshi/TBA)

Colvin Shawn – These Four Walls (Warner)

James Morrison – Undiscovered (Universal)

Elton John – The Captain & The Kid (Universal)

 

Der König des BeatPlatten zum Bewegen:

Blusbueb – Fress Di Rüebe (FF Records/recrec)

Arrested Development – Since The Last Time (Phonag)

DJ Shadow – The Outsider (Universal)

The Rapture – Pieces Of The People We Love (Universal)

Scissor Sisters – Ta-Dah (Universal)

Fergie – The Dutchess (Universal)

Pere Ubu – Why I Hate Women (Glitterhouse/recrec)

Gipsy Kings – Pasajero (Sony)

 

Urlaub in Polen

Nein, es soll hier nicht um die deutsche Band Urlaub in Polen gehen, sondern um tatsächlichen Urlaub in Polen und was einem da neben vielen Konsonanten so zu Ohren kommt – 78s forscht selbst auf Reisen für euch.

Abgesehen von stumpfsinnigen Zwillingszwergen, Plattenbauten und Zapiekanki gibt es auch einige Dinge, für die es sich lohnt in den Osten zu Reisen. Neben der verworrenen Geschichte des Landes, die sich in Städten wie Warschau, Krakau und Danzig niederschlägt und den Naturidyllen der Masuren hat auch die polnische Musik einiges zu bieten. Hört man polnische Radiostationen wird schnell klar, dass HipHop, Dancehall und Indierock längst von polnischen Acts adaptiert wurden, was sich oftmals amüsant anhört.

Neben der allgegenwärtigen Volksmusik hat seit den späten 50ern insbesondere Jazz eine grosse Tradition in Polen, auch wenn es nur wenige Musiker in die Hall of Fame des Jazz geschafft haben. Der „polnische Miles Davis“ Tomasz Stanko hat es ebenso zu Weltruhm gebracht wie Krzysztof Komeda, dem Polanski den Soundtrack zu Rosmary’s Baby verdankt. Mit grossem Erfolg aktualisieren gegenwärtig Skalpel den Jazz ihrer Väter, indem sie aus Samples von knistrigen Jazzplatten dunkle Grooves schaffen.

Zusammen mit dem Jazz begann in den 60ern hinter dem eisernen Vorhang trotz (oder vielleicht gerade wegen) der kapitalistischen Untertöne des Rock’n’Roll auch die Rockmusik zu prosperieren. Während hier die Beatles für ohnmächtige Teenager sorgten, brachten in Polen die Czerwone Gitary mit Twist und Beat die Kids zum durchdrehen. Heutzutage sind es die Cool Kids Of Death, die der Jugend den Takt vorgeben. An den schmissigen Songs der momentan wohl angesagtesten Rockband Polens dürften auch westliche Ohren gefallen finden.

Sein eigenes Genre hat in den 70er Jahren Marek Grechuta geschaffen, der Texte polnischer Dichter zu weitläufigen Epen zwischen Folk, Rock, Psychedelia und Klassik vertont hat. Man kann die Poetik seines Schaffens erahnen, selbst wenn man vor lauter Zischlauten nur Bahnhof versteht.

Fresh

Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass bei Anticon emsig an alternativen Entwürfen zum gängigen HipHop gearbeitet wird. „Music For The Advancement Of HipHop“ hiess der erste Anicon Label-Sampler und dieses Credo haben verschiedenste MCs und Musiker aus dem Umkreis der San Francisco Bay Area in die erstaunlichsten Resultate umgesetzt.

Die umtriebigsten Exponenten von Anticon kumulieren sich in Subtle gewissermassen zu einer Supergroup. Die prominentesten der sechs Mitglieder sind Adam „Doseone“ Ducker, Poet, Sänger und Rapper, sowie Jeffrey „Jel“ Logan, Beattüftler und Produzent. Zusammen agieren die Beiden zudem im Duo Themselves und wirken an der Seite von Notwist bei 13 & God mit, während Doseone hat mit cLOUDDEAD noch ein eigenes Projekt hat. Alles in allem vielbeschäftigte Leute also.

Eine einschneidende Tragödie überschattet die Karriere von Subtle. Auf ihrer ersten Nordamerikatour geriet der Bandbus von der Fahrbahn und Keyboarder Dax Pierson verletzte sich so schwer, dass er noch heute im Rollsstuhl sitzt. Es war Pierson der Subtle ins Leben gerufen hatte und an Keyboard-Spielen war für ihn vorerst nicht zu denken. Die Zukunft der Band war ungewiss und man veröffentlichte als Übergangslösung ein Remix- und Kollaborations-Album (u.a. mit Mike Patton und Beck).

Inzwischen ist Pierson weitgehend genesen und Subtle werden sich am 10. Oktober wie Phönix aus der Asche erheben. Für ihr zweites Album „For Hero: For Fool“ (Lex/EMI) konnten Subtle sich einen Major-Vertriebsdeal angeln und so werden hoffentlich möglichst viele Menschen erfahren, wie surreal HipHop jenseits von Goldketten und Räuberpistolen klingen kann. Intelligente Inhalte werden in einer Achterbahn der Ideen durch Jazz und Electronica transportiert. Rhymes treffen auf Rockriffs und Falsett-Gesang. Zwischen elektifiziertem Folk lassen GROSSE Beats die Wände erzittern.

Wer behauptet HipHop sei tot, muss sich das nochmal überlegen. Er hat sich nur verändert, um nicht länger der Gefangene seines eigenen Klischees zu sein.

 

Dringlichkeit markiert durch Sonderzeichen

Die Innovationswut beim Aushecken von Bandnamen treibt immer erstaunlichere Blüten. Kein Wunder, als weitere The-Band ist es schwierig geworden Aufmerksamkeit zu erhaschen. Auch Bandwurmbandnamen gibt es mittlerweile wie Sand am mehr. Inzwischen stellen uns Bandnamen gar Fragen oder erteilen uns Befehle. Eagle*Seagull lancieren nun die Ära der Sonderzeichen. Dabei hätten die Sechs aus Nebraska solche Effekthascherei gar nicht nötig – von so betörender Dringlichkeit sind ihre emotionalen Schwelgereien.

Tagträumer

Es gibt Platten, die sind voller Argumente die Zeit müssig verstreichen zu lassen. „Expectation“ (TBA/Moshi Moshi) von Matt Harding lässt die Gedanken von Tagträumern in die Ferne schweifen. Der Engländer hat keine grossartige Stimme, doch wie David Kitt und Smog ist er ein Meister der Vertraulichkeit. Seine Songs bieten keine Melodien für Millionen, doch gerade diese Unaufdringlichkeit ist es, mit der Matt Harding seine Sympathien gewinnt. Weniger ist hier wiedermal mehr. Und beim nächsten Mal vielleicht noch mehr.