78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Alle 1294 Artikel von Ralph Hofbauer

Nicht von dieser Welt: Kammerflimmer Kollektief

Seit 1999 ist das Kammerflimmer Kollektief jenseits der ausgetrampelten Pfade der Poplandschaft auf der Suche nach unbeschrittenem Terrain. Dass die unermüdlichen Klangforscher auf solches auch mit ihrem sechsten Album stossen, spricht für die Freigeister aus Karlsruhe. Wie unlängst das Tied & Tickled Trio mit „Aelita“, findet auch das Kammerflimmer Kollektief mit einem ätherischen, in sich ruhenden Album zum Zen. Die Platte dreht, doch die Welt steht still.

Statt wie das Tied & Tickled Trio in die Zukunft zu reisen, sucht das Kammerflimmer Kollektief auf „Jinx“ (Staubgold/Namskeio) nach einer unbestimmten Vergangenheit dessen, was wir heute gemeinhin Musik nennen. Seit Urzeiten scheinen diese Klänge über eruptierenden Vulkanen oder über den Ruinen von Hochkulturen und zerstörten Indianersiedlungen in der Luft gelegen zu haben – das Kammerflimmer Kollektief hat sie eingefangen. Es ist eine Musik, die inmitten der Technokratie der Gegenwart geradezu spirituell wirkt. In schamanischer Trance ruft das Kollektief die Geister einer versunkenen Welt wach. Zum Vorschein kommt eine Schönheit, die eben so fremd, wie vertraut wirkt. Nach 40 Minuten löst sich das Traumreich in einer knarzigen Kakophonie auf, als wäre es nie dagewesen. Zurück im hier und jetzt reiht man die CD verdutzt zwischen Freak-Folk und Space-Jazz ins Regal ein, obwohl man weiss, dass ihr ein eigener Altar gebühren würde.

„Jinx“ ist der Stoff, aus dem Träume sind, ein uferloser Ocean of Sound für Freischwimmer und Badewannentaucher. Alle andern: Bitte weitergehen, es gibt hier nichts zu sehen.

Züri-Fäscht: Erlaubt ist, was nicht (ver)stört

Hinz und Kunz werden auch vom diesjährigen Züri-Fäscht wieder vorzüglich musikalisch unterhalten. Hauptsache man kennt alles schon irgendwoher, die Feuerwerksmusik inbegriffen. Neben „Uuhs“ und „Aahs“ gibt’s dabei Klassiker von den Gypsy Kings, Aretha Franklin, Jerry Lee Lewis, U2, Andrea Bocelli sowie Freddy Mercury im Duett mit Monserrat Caballé zu hören. Warum ausgerechnet „Barcelona“ von letzteren das Zürifäscht-Feuerwerk eröffnet, bleibt ein Rätsel. Dabei wäre doch „Züri brännt“ von TNT auf der Hand gelegen. Aber nein, man muss die Umwelt unbedingt mit Hymnen-Importen belasten. Schweizer Kulturgut dafür am Sonntag mit Baschi, Kandlbauer und Hugo Bigi (!!!).

Zudem natürlich Festzeltmucke á Discretion, z.B. von den Boogierockern Pink Sugar („für jung und alt“) oder den Scumabis, deren Ziel es ist, „fätzigi, poppigi Musig“ zu machen. Eine Pink Floyd-Coverband darf selbstverständlich auch nicht fehlen. Was mit „viele Live Music Acts wie Züri Rockt mit Rock Highway Contest und History of Rock auf dem Grossmünsterplatz“ (sic!) genau gemeint ist, konnte leider nicht aufgeschlüsselt werden. Rock wird am Züri-Fäscht jedenfalls gross geschrieben, auch das „We Will Rock You“-Musical gibt ein Gastspiel.

Doch was, wenn man weder an der Radio24-FridayNite- Sause, noch an der Street Parade-Warmup-Party auf dem Bürkliplatz enden will? Knackeboul, CunninLynguists, Blumentopf und Nega gibt’s am Freitag auf der Blatterwiese am „Touch The Lake“-Festival für lau, sofern man sich vorher den obligatorischen Bändel in einer BurgerKing-Filiale abholt (zum Glück sind die alle so superzentral gelegen…). Auf der anderen Seeseite tanzt der Bär zu den vielleicht besten Beats des Zürifäschts, obwohl der „Rave Au Lac“ in der Roten Fabrik mit Kalabreses Rumpelorchester sowie etlichen DJs mit dem Ganzen eigentlich gar nichts zu tun haben will. Die Schickis und Mickis werden ihre Bootys ohnehin lieber an den Blushin‘ Pink- und Beau Temps-Partys „scheikä“. Party on!

The Bishops: Beat revisited

Wenn eine Band uniform schwarze Anzüge mit schmalen Krawatten trägt, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass sie Musik macht, die ähnlich klingt wie die Mucke, die im Zuge des übergrossen Erfolgs von vier ebenso gekleideten Lads aus Liverpool ihre Blütezeit hatte. Tatsächlich klingen The Bishops ein wenig wie die Beatles anno 1964 im Star Club Hamburg, aber auch ein bisschen nach Ramones, weil sich zudem Garagepunk Einflüsse in ihren Merseybeat schleichen. Ihr Debut macht durchaus Spass, man kann sich aber ebensogut die Originale anhören.

The Bishops – „I Can’t Stand It Anymore“

[audio:http://magnetiksteez.free.fr/VIDEOS/8645/bishopsnymore.mp3]

Vorgeschmack auf die neue Emily Haines-EP

Emily Haines veröffentlicht am 24.7. die EP „What Is Free To A Good Home“, benannt nach einem Gedicht ihres Vaters Paul Haines, der 2003 verstarb. Seine Lyrik wird Emily Haines zusammen mit der EP wiederveröffentlichen, das ganze also eine Hommage an ihren Daddy. Dieser wäre bestimmt stolz auf Emily, die nach Feist wohl die nächste kanadische Chanteuse ist, die von den europäischen Feuilletons bejubelt werden wird. Verdient hätte sie’s, wie auch der erste Vorgeschmack auf die EP beweist:

Emily Haines – „The Bank“

[audio:http://www.movedigital.com/go/alexcarnevale/77956/The_Bank.mp3]

Dunkler Folk Oldham’scher Prägung

Eine Spielzeit von 23 Minuten ist ja eigentlich eine Frechheit. Wenn dabei jedoch 8 von 8 Songs gut sind, relativiert sich dieses Urteil. Gut finden dürften das Debut von Begushkin insbesondere Fans von Will Oldham. Jan Smith aus Brooklyn könnte auf „Nightly Things“ (Locust Music) nämlich durchaus als Double von Bonnie Prince Billy durchgehen, auch er versteckt Abgründe hinter anmutigen Songs, die wie dunkle Blumen aus seiner brüchigen Stimme wachsen. Interessant macht seinen nachtschwarzen Zigeunerfolk nicht zuletzt das orientalische Flair.

Begushkin – „Nightly Things“

[audio:http://www.ravensingstheblues.com/mp3/Nightly_Things.mp3]

77 Drummer im Brooklyn Bridge Park

Am 7.7.07 trommeln im Brooklyn Bridge Park 77 Drummer 77 Minuten lang gleichzeitig. Dahinter steckt nicht etwa ein Rekordversuch fürs Guinessbuch, sondern der Wille zur musikalischen Grenzerfahrung. Initiiert hat das Projekt 77Boadrum die japanische Avantgarde-Band The Boredoms, die damit ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Mit dabei sind u.a. die Drummer von Gang Of Four, Gang Gang Dance, God Is My Co-Pilot, Sunburned Hand Of The Man, Holy Fuck und Negative Approach. So seltsam wie diese Namen wird dieses polyrhythmische Perkussions- Feuerwerk dann wohl auch klingen.

obskuradio Vol. 18: I Can’t Help (It If I’m Still In Love…)

Das jüngere Publikum kennt Michael Parks als den Texas Ranger Earl McGraw, der in „From Dusk Till Dawn“, „Kill Bill“ sowie den beiden „Grindhouse“-Filmen auftaucht, das mittelalterliche Publikum als Jean Renault aus „Twin Peaks“ und das ältere Publikum vielleicht aus einem der rund 40 Spielfilme, in denen er zuvor mitwirkte. Bekannt wurde Parks durch die TV-Serie „Then Came Bronson“ (Bild), mit deren Titelsong „Long Lonesome Highway“ er 1969 die Hitparaden stürmte. Parks hat insgesamt fünf Platten voller Country-Sentimentalitäten aufgenommen.

„I Can’t Help It (If I’m Still In Love With You)“
(Orig. Hank Williams)

[audio:http://www.78s.ch/wp-content/uploads/2007/07/michael-parks-i-cant-help-it-if-im-still-in-love-with-you_pcm.mp3]

Bis über beide Ohren verliebt

Manchmal ist die Natur schon ungerecht: Die Frau mit der schönsten Stimme der Welt ist gleichzeitig auch von erhabenerem Antlitz als alle Missen dieser Welt. „The Pirate’s Gospel“ war für mich Liebe auf den ersten Ton – kein Album habe ich in der ersten Jahreshälfte mehr gehört – und nun verdreht mir Alela Diane auch noch mit Oberflächlichkeiten den Kopf: Auf YouTube gibt’s sieben Songs von einer Session für das KPSU-College-Radio, die vom Ausnahmetalent dieser jungen Dame zeugen.

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=Ms8pSQpK900&mode=related&search=[/flash]

Der Vollständigkeit halber

Nun, wo es sogar Led Zep nochmal wissen wollen, ist auch zur 20Minuten-Redaktion durchgedrungen, was unsere werte Leserschaft schon lange weiss: Reunionen feiern ein Comeback. Vom Neo-Boulevard unterschlagen:

The Verve, Blur, Kula Shaker, Libertines (u.U.), Smashing Pumpkins, Rage Against The Machine (einmaliges Konzert), The Stooges, Happy Mondays, Sebadoh, Slint, The Jesus Mary Chain, Wu-Tang Clan, Freundeskreis, Immortal, Van Halen (wegen Reha-Aufenthalt verschoben), Spinal Tap, Alphaville, James, Crowded House, No Angels.

Who’s next? Viele bleiben nicht mehr übrig… Blumfeld?

Chemical Brothers: Ade Big Beat, hallo Elektro

Von den alten Big Beat-Recken erwartet ja eigentlich niemand mehr viel, seit uns die 90er schon vorkommen, wie eben noch die 80er: stillos, dekadent und abgeschmackt. Fatboy Slim hat als letztes eine Greatest Hits veröffentlicht, das zweite Album der Propellerheads wird wohl nie mehr erscheinen und wie die neue Prodigy klingt, die noch dieses Jahr rauskommen soll, möchte man so genau eigentlich gar nicht wissen. Da überrascht es schon ein wenig, dass die Chemical Brothers ein Album vorlegen, das zeitgemäss klingt.

Nach vier UK-Nr.1-Alben in Folge machen die Chemical Brothers auf „We Are The Night“ (VÖ 29.6. EMI) genau das Richtige, damit diese Serie anhält: Sie sagen dem Big Beat ade und der Zukunft, die manchmal dann halt eben doch wieder klingt wie die 80er, hallo. Der Samplestumpfsinn der 90er hallt auf dem sechsten Album von Tom Rowlands und Ed Simons lediglich in der erste Single „Do It Again“ nach – man wollte die alten Fans wohl nicht vergraulen.

Der Rest des Albums hat einiges mehr zu bieten: futuristische Psychedelia, LCD- bis Boogie-Disco, Sphärenpop, stampfender Elektro und mit „Battle Scars“ auch einen Song, der eine würdigere Single hergegeben hätte, Willy Mason sei Dank. Von den übrigen Gastmusikern sind es insbesondere die Klaxons und der Midlake-Sänger Tim Smith, die dieses Album bereichern.

Bestimmt kein Album mit unergründlichen Tiefen, das auch einige Durchhänger hat, aber für Millionäre, die inzwischen Familienväter sind, allemal eine respektable Leistung.