Dr. Pop, warum singen nur die Berner Schweizerdeutsch?
Von Dr. Pop | 3. Dezember 2010 | 14 Kommentare
Mundart-Rap gibt es zuhauf, doch gesungen wird in der Schweiz fast nur auf Englisch. Warum gehen die hiesigen Songwriter ihrer Muttersprache aus dem Weg?
In der Schweiz wird viel gerappt. Es gibt Berner Rap, Bündner Rap, Basler Rap, Zürcher Rap und Rap aus der Romandie. Während fast alle Schweizer Rapper in ihrer Muttersprache rappen – vom Umweltaktivisten Stress über den Bart aber herzlichen Bligg bis hin zum Berufsghettojugendlichen Black Tiger – singen fast alle Schweizer Sänger in der beliebtesten Fremdsprache der Welt.
Die grosse Ausnahme in Sachen Mundart war, ist und bleibt natürlich Bern. Seit Mani Matter ist die Hauptstadt der Mutterkuchen des dialektalen Songwritings. Polo Hofer, Züri West, Stiller Has, Patent Ochsner – die Liste an Mundartisten aus dem Bernbiet ist lang und reicht bis hin zu Namen, die man lieber nicht beim Namen nennen möchte. Die Berner Mundartszene verdankt ihre Prosperität wohl nicht zuletzt dem musikalischen Dialekt, der mit seinen weichen Äuää-Lauten schon nahe am Welschen Singsang ist, und dadurch eher zu Gainsbourg hinstrebt als zu den fidelen Mölltalern.
In Zürich wird hingegen deutlich seltener im Dialekt gesungen. Die Zwinglistadt hat keinen einzigen namhaften Mundart-Songwriter hervorgebracht, Ian Constable mal ausgenommen. Zugegeben, TNT haben im Zürcher Dialekt gesungen, Sophie Hunger wechselt ab und zu ins Schweizerdeutsche, Dodo und Phenomden haben den Mundart-Reggae etabliert und Baby Jail bleiben natürlich unvergessen. Dennoch scheint es bisweilen so als wäre die Niederdorfoper die einzige Zürcher Mundartkomposition von Belang. Liegt es am unmusikalischen Dialekt mit den unschönen Ch-Lauten, dass der Züri-Slang seit Gleiszwei fast nur im Hip-Hop Ausdruck findet?
Wahrscheinlich ist es einfach naheliegender in der Muttersprache des Rock’n’Roll als in der eigenen zu singen. „I wanna be sedated“ klingt eben tausend mal cooler als die deutsche Übersetzung, die sich wie fast alle Songtextübersetzungen ziemlich schwachsinnig anhört. Englische Songtexte zu schreiben ist einfacher, weil auf Englisch selbst das gut klingt, was grammatikalisch falsch ist. So zieht man als junge Band, die kühnsten Träume von einer Amerikatournee hegend, das Angelsächsische dem Aargauerdialekt vor. Der Text ist ohnehin meist Nebensache.
Interessanterweise sind es insbesondere Sänger mit neutralen Mittellanddialekten wie Adrian Stern oder Baschi, die es zum Mundart-Popstar bringen. In der Volksmusik kommt hingegen der Exotenbonus zum Tragen. Beliebt sind Dialekte, die jene heile Welt evozieren, die wir auch in „Bauer, ledig, sucht“ finden. Urschweizerische Heimwehsprachen wie der Innerschweizerdialekt des Schacher Seppli, das Walliserdeutsch von Sina oder eben das Berndeutsche sorgen in der Schlagerindustrie für Kassenschlager. So bringt das Schweizerdeutsche eben automatisch auch unliebsam bünzlige Assoziationen mit sich.
Ein Liedermacher, der Songs in Mundart schreibt, kapituliert vor dem Dialog mit der grossen weiten Welt. Er beugt sich freiwillig dem Schicksal ein Lokalheld zu bleiben, der für innenpolitische Fragen zuständig ist. Manche entscheiden sich für den Mittelweg des Hochdeutschen mit charmantem Schweizerakzent, nicht zu letzt auch aus Gründen der Vermittelbarkeit von Realsatire. Die Texte von den Aeronauten und Saalschutz stehen unserer Alltagswirklichkeit deutlich näher als die Lyrics amerikanischer Indie-Bands. Lokalkolorit lässt sich eben nur in der Muttersprache transportieren. Ein Song wie „Hippiekacke“ würde auf Englisch nicht funktionieren. Das Stück ist ein Paradebeispiel dafür, dass im Dialekt vorgetragene Musik einen Hang zur Ironie hat.
Einen ironiefreien Songtext auf Schweizerdeutsch zu schreiben, ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Der Songwriter gerät in Anbetracht der seltsamen Laute seines Dialekts in eine poetologische Verlegenheit, die sich nur mit Humor überspielen lässt. Allzu alltäglich erscheint dem Liedermacher das Sprachmaterial, das ihm die Mundart zur Verfügung stellt. Aber warum können die Berner das manchmal, poetische Mundartsongs einfach so aus dem Leben greifen? Irgendwie müsste es doch auch als Basler oder Zürcher möglich sein, ernsthaft gute Mundartmusik zu machen. Weder lustig noch peinlich, sondern schlau und schön.
> Leserfragen an: Dr.Pop(ät)78s.ch
14 Reaktionen
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15:24 Uhr, 3.12.2010, Link
http://www.youtube.com/watch?v=jbllGzOhlZw&feature=related
15:37 Uhr, 3.12.2010, Link
Plankton kriegen das wunderbar hin..
http://www.plankton.ch/
19:54 Uhr, 3.12.2010, Link
hahahaha – den wollte ich auch vorschlagen!!! das ist noch lyrik :o)
19:57 Uhr, 3.12.2010, Link
aber es gibt auch andere, mit etwas mehr ernsthaftigkeit…
aus schaffhausen:
http://www.myspace.com/papstabstinenzler
aus zug:
http://www.amtsbladt.ch
20:03 Uhr, 3.12.2010, Link
Weil berner die grössten Eier haben!
22:58 Uhr, 3.12.2010, Link
stahlberger nicht vergessen, mit feinster lyrik in st. galler idiom.
01:31 Uhr, 4.12.2010, Link
weil Berndeutsch ein exotischer Mittelland-Dialekt ist, meinst Du?
Und Züritütsch nicht besonders geliebt, in einem ohnehin kleinen Markt, meine ich!
15:44 Uhr, 4.12.2010, Link
liegt es vielleicht daran, dass zürich internationaler ausgerichtet ist als der rest der deutschschweiz?
ian constable finde ich auf jeden fall ein schlechtes beispiel. der eine text ist zwar ganz ok und lustig, doch musikalisch ist dieser typ der grösste amateur. keine ahnung von songwriting, tut mir leid.
das ist es vielleicht auch, was zb züri west einzigartig macht. das eine band sowohl musikalisch als auch lyrisch gut drauf ist, offenbar eine seltenheit in zürich. entweder stimmt die musik oder der text, selten beides.
03:01 Uhr, 5.12.2010, Link
hier stimmt alles: musik, text, ernsthafthaftigkeit, zürischnure – und einfach immer noch viel zu unbekannt!
http://www.mariaehoellenfahrt.ch/
13:08 Uhr, 6.12.2010, Link
Bei Zürich ging wohl noch Toni Vescoli vergessen. Mit „Les Sauterelles“ damals den ersten internationalen Schweizer Hit gelandet, später unzählige Mundart Alben veröffentlicht.
Es geht also auch in Personalunion.
13:15 Uhr, 6.12.2010, Link
kennt jemand den Nöggi? der ist grosses kino!
21:45 Uhr, 6.12.2010, Link
Ich mag im Moment dieses schweizerdeutsche Ding sehr:
http://interdisco.net/music/id25
Volta Vital textet mit einer wunderbaren Selbstverständlichkeit in unserer Umgangssprache, und mit Lokalbezug, aber ohne Provinzialität.
15:47 Uhr, 7.12.2010, Link
mir schon ein rätsel weshalb ch-musik nur in zwei extremen vorzufinden ist. wenn man sich so durch den ch-gesang durchhört erstaut mich, wie in den Hörbeispielen entweder angst vor dem Dialekt dominiert, oder eben mangelnde Distanz. Parodie zeugt von Angst, halbgare Intellektualität ebenfalls (bin gespannt und freue mich darauf von volta vital und maria höllenfahrt weiteres zu hören, derzeit wirkt da aber musik und gesang zweigeteilt; James Legere auf deutsch? das wär was). Auf der anderen Seite dann Provinzialität. Dazwischen die grosse Leere. wahrscheinlichhat lucom recht, da fehlt schlicht der mut ohne gschnörkel sich auszurdrücken. als ob nur hier grenzen wären.
10:50 Uhr, 2.4.2011, Link
wo, bitteschön, soll bei den aeronauten „charmanter schweizerakzent“ zu finden sein (ausser natürlich bei den in dialekt vorgetragenen stücken)? guz wird viel öfter vorgehalten, dass sein deutsch zu gut sei – liegt vielleicht daran, dass seine mutter deutsche ist…