Aphex Twin: Zurück in die Zukunft
Von Ralph Hofbauer | 24. September 2014 | 0 Kommentare
Aphex Twin gibt nach 13 Jahren Auszeit ein Comeback. Wer sich von der IDM-Ikone Zukunftsmusik erhofft hat, wird enttäuscht. „Syro“ klingt gerade deshalb erfrischend, weil es die Beats der Vergangenheit neu anordnet.
Für Fans von Richard D. James waren die letzten Wochen eine regelrechte Schnitzeljagd. Mitte August tauchte über London ein zeppelinförmiger Ballon mit dem Aphex Twin-Logo auf, gleichzeitig wurden in New York Stencil-Graffities mit demselben Emblem gesichtet. Wenige Tage später stelle James eine Tracklist mit kryptischen Songtiteln inklusive BPM-Angaben ins Deep-Web. Das im Code omnipräsente Wort „Syro“, so stellte sich heraus, ist der Titel seines Comeback-Albums.
Das Artwork gab weitere Hinweise auf das, was da kommen mochte. Eine kreisförmiges Verzeichnis verriet, in welchem Song welche der sage und schreibe 138 Synthesizer zum Einsatz kommen, und eine Kostenrechnung gab Aufschluss über das Budget. Nachdem auf youtube bereits so viele Fake-Leaks aufgetaucht waren, dass das Label Warp eine Playlist mit dem Titel „Not Syro“ anlegte, gab es vor zwei Wochen mit dem Album-Opener „Minipops 67“ einen ersten offiziellen Höreindruck, der wie ein Bastard aus „Windowlicker“ und einem John Carpenter-Soundtrack anmutet.
Nach exklusiven Prelistening-Parties in acht Grosstädten sind die 12 Tracks nun auch Normalsterblichen zugänglich. Wer Bahnbrechendes erwartet, wird enttäuscht. Das Album ist ein Anachronismus. Statt neue Spielarten der Clubmusik aufzugreifen, bleibt der IDM-Übervater den Breakbeats treu. Innovativ klingt das höchstens für die Skrillex-Generation. Aphex Twin macht ganz einfach so weiter als wäre die Zeit im goldenen Zeitalter des Drum&Bass stehengeblieben. Zu hören gibt es nervös zuckenden Jungle statt lethargischen Dubstep, fliepsenden Acid- statt heruntergedimmten Witch-House, opulenten Techno statt minimalistischen Post-R&B. Durch die entwaffnende Unvorhersehbarkeit klingt dies aber alles andere als altbacken.
Was zu Beginn noch relativ aufgeräumt wirkt, entwickelt sich schon im zweiten Track “XMAS_EVET10? zu einem kaleidoskopischen Rave. Innert 10 Minuten wird das Hirn rekonfiguriert für die folgende Stunde, in der alles ständig in Bewegung ist. Melodien kommen und gehen, Beats verwandeln sich immerfort. “Syro” klingt weniger düster wie das 2001 veröffentlichte “Drukqs” oder die darauf folgende Analord-Serie. Eher gleicht es den Tracks, die James 2007 unter dem Pseudonym The Tuss veröffentlicht hat. Ulkiger Electro-Funk steht neben ergreifenden Harmonien, Soundschnipsel und verfremdete Vocal-Fetzen verzahnen sich unter Aphex Twins Chirurgenhänden zu einem quicklebendigen Organismus. Zu hören ist James’ eigene Stimme sowie die seiner Frau, seiner Kinder und seiner Eltern.
Die Achterbahnfahrt endet dann doch noch mit einer Überraschung. Von Vogelgezwitscher begleitet gibt James im abschliessenden “Aisatsana” auf dem Solopiano seiner Frau ein Ständchen, als stünde das D. in seinem Namen nicht für David, sondern für Debussy.
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