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Gesinnungsmusik

Von    |   15. Februar 2014   |   0 Kommentare

„Blüte und Untergang, Würdigkeit und Unwürdigkeit, edle und gemeine Gesinnung, alles drückt sich in der Musik aus und lässt sich nicht verbergen.“ Es gibt, wie es scheint, gute Gründe in der Popmusik zu verbergen, was Lü Be We, ein chinesischer Kaufmann und Kanzler des dritten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung, für offenkundig hielt.

Planningtorock

Politische Inhalte exponieren die Musik. Von Künstlerinnen und Künstlern werden sie oft aus diesem Grund gemieden. Eine einfache Feststellung, welche auf einem breiten Konsens über die Vermarktungsstrategien der Industrie beruht. Politische Inhalte generieren einerseits Kaufwiderstände. Daran haben die Majors, wie die grossen multinationalen Plattenfirmen genannt werden, kaum Interesse. Andererseits ist es fatalistisch zu behaupten, der Markt habe auch das letzte Fünkchen künstlerische Freiheit erstickt. Welche Haltung dazu existiert also bei den kleineren, den unabhängigen Labels? Und schrecken sich KünstlerInnen, welche mit ihrer Musik eine interessierte Öffentlichkeit erreichen, tatsächlich davor, mit Inhalten Debatten zu entfachen oder zumindest an solchen teilzunehmen? Und was sagen Konstellationen von KünstlerInnen, ihrem Publikum und dem kommerziellen Erfolg aus über Möglichkeit und Unmöglichkeit des Protests in der Popmusik?

Der Geschlechterdiskurs als Sammelbecken unterschiedlicher Anliegen eignet sich gut für die Betrachtung der aufgeworfenen Fragen. Seine latente Präsenz in der Musiklandschaft kennzeichnet ihn als politisches Anliegen junger Konsumentinnen und Konsumenten, was gleichzeitig bedeutet, dass der Gendersache ein wie auch immer gearteter Zusammenhang mit einem Wertschöpfungsprozess nachgesagt werden kann. Ein Rückschluss, welcher auf der Tatsache fusst, dass – unter Beihilfe der Vermarktung – das Anliegen die Konsumenten erreicht. Die Botschaft käme nicht zustande, würde sie nicht entsprechend gefördert oder – um einen stark Internet-konnotierten Begriff zu benützen – gehypt; zum einen eben von der Vermarktungspotenz als Ressource Dritter und zum anderen von der Konsum- oder Kaufkraft der Endnutzer. Sagen wir einfach, der Genderdiskurs erfreut sich einer Salonfähigkeit, welche die eingangs erwähnten Kaufwiderstände kontrollierter ausfallen lässt, als das anderswo der Fall wäre. Entscheidet also ausschliesslich die Stellung des politischen Anliegens in der Öffentlichkeit über seine Präsenz oder wirken auf den Protest in der Popmusik weitere Einflüsse, welche seiner Erscheinung in Bezug auf Substanz und Häufigkeit abträglich sind?

Zwei brandaktuelle Veröffentlichungen können darüber vielleicht Aufschluss geben. Die Interpretinnen nehmen mittels ihrer neuen Alben teil am Genderdiskurs. Ohne zunächst darüber Bescheid zu wissen, wie die Künstlerinnen ihre eigene Rolle definieren, können weitreichende Erkenntnisse über die Dyade Interpretin – Publikum – kommerzieller Erfolg gewonnen werden. Während Jam Rostron alias Planningtorock mit ihrem neuen Album  „All Love’s Legal“ (14.02.2014 via Human Level) die LP selbst als Diskursbeitrag positioniert, hält sich Alynda Lee Segarra unter dem Namen Hurray For The Riff Raff mit dem Album „Small Town Heroes“ (11.02.2014 via ATO Records) im männlich geprägten und traditionsreichen Genre des American Folk und Country auf. So wenig vergleichbar sich die beiden Neuerscheinungen ihren jeweiligen musikalischen Genres nach geben, so deutlich werden daran Unterschiede im Vertreten eines politischen Anliegens. Und das gilt trotz des berechtigten Einwands, dass das Anliegen der beiden Frauen keineswegs dasselbe sei.

Der Bruch mit Traditionen und die Etablierung des „neuen Gedankens“ hat bei Rostron Konzept. Es handelt sich dabei um eine radikale Komponente ihrer politischen Botschaft. Segarra bewegt sich defensiver, indem sie künstlerische Beweggründe angibt, ihre Inspirationsquellen hochzuhalten und damit ein Stück weit Geschichte ruhen zu lassen. In  beeindruckender Weise gelingt es ihr, alte tradierte Strukturen ihres Genres mit aktuellem Kontext zu versetzen. Das beweist sie mit dem offen politischen Song „The Body Electric“, in welchem sie den Machismo der stark im American Folk und Country verhafteten Mörder-Ballade (Mann bringt Freundin um, die ihn betrogen hat) durchdringt mit der bedrohten Freundin, welcher sie eine Stimme verleiht. Das sind subtile Zeichen, angesichts des Kontexts, in welchen sie den Song im Interview mit Ann Powers von NPR Music setzt. Darin gibt sie an, dass „Damini“, das Gruppenvergewaltigungsopfer von Neu-Delhi, ihr dazu Impulse verliehen habe. Trotzdem gelingt Segarra damit ein denkwürdiger Fingerzeig, welcher sein Ebenbild in jeder geschlechterdiskursgeprägten Debatte hat. Man könnte ihn mit folgender Feststellung umreissen: Allem, woran heute gelitten wird, wohnt ein Ursprung inne. Dass Rostron mit ihrem neuen Album im Gegenzug einfach die Schiene wählt, auf welcher sich ihre Botschaft schnellstmöglich und am breitesten streuen lässt, erscheint bei genauer Betrachtung zu einfach. Ihre Musik ist elektronische Tanzmusik, deren „Untergrund“ eine beträchtliche Rolle im Umgang mit Geschlecht und (Pop-)Kultur zukommt. Rostrons Musik weist also einen ebenso starken Traditionsbezug auf, mit dem Unterschied jedoch, dass jener Tradition von Kindesbeinen an ein Hang zum politischen Anliegen eingeschrieben war.

Zeitgenössische Strömung oder amerikanischer Mainstream; politischen Botschaften in der Popmusik mangelt es oft an den angeregten Zwischentöne, welche sich in subtiler Disharmonie von Tradition und Mainstream abheben. Gerade weil sie sich nicht fürchtet, die Verbundenheit mit ihren im neuen Kontext problematischen Wurzeln offen zu gestehen, vermag diese Disharmonie das Ganze in Schwingung zu versetzen. Der „neue Gedanke“ wird so der überholten Struktur eingeimpft und eine frische, angereicherte Erbsubstanz durchdringt die strukturerhaltenden Kräfte. Eine Evolution im eigentlichen Sinn findet statt. In dieser Subtilität stellt sich dem Protest aber beträchtlicher Widerstand in den Weg. Ohne einen gefestigten Standpunkt, Erfahrung und reflektiertes Verständnis der historischen Konstitution politischer Strömungen klingt Protest schnell naiv und wirkt moralisierend. Um als KünstlerIn diese Zwischentöne auf der eigenen Klaviatur in reinem Timbre anklingen zu lassen, muss man sich des eigenen Eskapismus, intimen Projektionen und Wunschbildern bewusst werden.

Die Verzagtheit, mit welcher U-Musik auf Politik reagiert, ist nicht vordringlich Marktmechanismen geschuldet. Egal auf welcher Seite der Interpretin – Publikum – Label-Konstellation: es ist äusserst schwierig, diese Feststellung anhand von Zahlen zu illustrieren. Allzu schnell wird aus dem Sammelbegriff „politische Musik“ ein Schreckgespenst, unter dessen Flagge kritische Anliegen in der Popmusik als Verwertungshindernis geführt werden. Es ist dies nicht eine Frage des Markts, sondern eine künstlerische, welche sich an das Vermögen der Interpretinnen und Interpreten richtet, ihren persönlichen Protest zu formen, der sich mit solider Orientierung gegen Markteinflüsse und Vorstellungen der individuellen Prosperität zu behaupten vermag.

„All Love’s Legal“ von Planningtorock: Albumstream

[youtube 15n-HXR_O1g]

„Small Town Heroes“ von Hurray For The Riff Raff: Albumstream

[youtube ogTh2CpOwzo]

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