twentythirteen: Beste Veröffentlichungen 2013 – World Edition
Von Sabrina Stallone | 12. Dezember 2013 | 1 Kommentar
78s packt das Jahr 2013 in Listen. Heute: andere Länder, andere Alben. Dreizehn Werke aus Nischenmärkten, die auf die grossen Bühnen gehören.
In unseren redaktionsinternen Bestenlisten (bald, bald!) spricht die Länderquote eine klare Sprache: Weit über die Hälfte unserer Lieblingsalben 2013 kommen aus den westlichen Über-Musikmärkten UK und US. Mit diesen Marktregionen mithalten kann nur Japan, wo der Verkauf von Tonträgern mit 4,4 Billionen Einnahmen im 2012 nach wie vor rosig aussieht. Was bedeutet dies für Künstler, die aus Neuseeland, dem Nahen Osten oder Südamerika ertönen? Reagieren kleinere Märkte auf das Musikmonopol mit Stillstand – oder werden sie im Westen, sprich von Amerika, schlicht nicht wahrgenommen?
Keineswegs. Dieses Jahr sind in weniger finanzstarken Musikmarktregionen grandiose Alben entstanden, die sich nicht zuletzt auch in den Staaten und auf den britischen Inseln Reviews, Gigs und Ruhm verdient haben. Mit dieser Liste huldigen wir ihnen.
Connan Mockasin – Caramel (Neuseeland)
Der Neuseeländer Connan Mockasin residiert mittlerweile zwar in Manchester, zu seiner Mystifizierung gehört aber nicht zuletzt seine ferne Herkunft. Der Psych-Pop-Künstler mit dem Hang zum Kuriosen hat mit seinem Zweitling Caramel – fast komplett in einem Hotelzimmer in Tokio aufgenommen – eine Mischung aus Kitsch, Coolness und viel Soul kreiert.
Fai Baba – She’s My Guru (Schweiz)
Nach einem Atelierjahr in New York, kam Fabian Sigmund aka Fai Baba zurück in die Schweiz und es führte kein Weg an ihm vorbei. Der umtriebige Zürcher spielte an grossen Festivals und in winzigen Kellern; er prägte mit seinem «She’s My Guru» einen Sound – hip, bluesig, toxisch – den man sich hierzulande schon seit einer Weile als Wiedererkennungsmerkmal wünscht. Derzeit ist er auf Deutschland-Tour, davor hat er vor englischem Publikum gespielt. Neuer Export-Stolz!, freuen wir uns (noch) flüsternd.
His Clancyness – Vicious (Italien)
Wunsch-New Yorker, gebürtiger Kanadier, aber eigentlich Exil-Bolognese: Jonathan Clancy, alias His Clancyness, ein Mann von Welt. Kein Roman aus dem 19. Jahrhundert, sondern ein Pop-Experiment. Sein Album «Vicious» ist gespickt mit Psych-Pop Perlen, die knackig bleiben und sich nicht in kaleidoskopischen Momenten verlieren. «I love pop songs that don’t feel right. I like songs that get to the point pretty fast, then add repetition and texture», kommt Clancy selber direkt zum Punkt. Finden wir gut. Kritiker und Publikum auch. Ende.
BRNS – Wounded (Belgien)
Konzerte im Mascotte, dann am Paléo, am For Noise und zuletzt wieder im Zürcher Exil liessen uns aufhorchen: Die Math Rock-Debüttanten aus Belgien hatten ein verdammt eingängiges Mini-Album draussen und – so munkelte man – waren gekommen, um zu bleiben. Kein Monat verging, ohne dass BRNS europäischen Bühnen ihren Stempel aufdrückten. «Wounded» ist ein beeindruckend lebhaftes und bestimmtes Stück Musik, das Lust auf mehr macht.
Fauve (Frankreich)
Von Fauve aus Frankreich haben wir 2013 vergebens ein Album erwartet. Das Sprechgesang-Künstlerkollektiv hat aber so viele Hits und bemerkenswerte Videos veröffentlicht, dass ihre Präsenz in dieser Liste mehr als gerechtfertigt ist. Blogs spekulieren auf ein Release Anfang Jahr – wir hoffen mit. Weil: Dreckig und wütend, Sturm und Drang, Pariser-Chic und internationales Potential.
My Bloody Valentine – mbv (Irland)
Zugegebenermassen waren My Bloody Valentine auch ohne diese «World Edition»-Liste im Rennen für unsere offizielle Bestenliste und fielen in letzter Sekunde aus der Auswahl; Grund genug, ihnen zumindest hier einen Ehrenplatz zu geben. Die irische Band hat 22 Jahre nach ihrem zweiten Album mit «mbv» einen Überraschungscoup gelandet; alten Fans Vertrauen in die Musikwelt geschenkt; neue Fans für sich gewonnen; Musikkritiker aus jeder Ecke des Planeten in die Knie gezwungen.
Vaadat Charigim – The World Is Well Lost (Israel)
Die Tel Aviver Szene, so scheint es, dreht sich um Juval Haring: Früher hatte er in jeder lokalen Band seine Finger im Spiel; dann kamen die TV Buddhas, Garage-Rock, nach dem man sich auch in Europa die Finger leckte; und jetzt Vaadat Charigim, Israeli Shoegaze, der daherkommt, als hätte Haring noch nie was anderes gemacht. «The World Is Well Lost» steht anderen Veröffentlichungen seines Muttergenres weder in Stilsicherheit, noch in Frische nach.
The Holydrug Couple – Noctuary (Chile)
Schon 2011 veröffentlichten The Holydrug Couple ihr erstes Album in Eigenregie, ein Jahr später wurde Sacred Bones, die Brooklyner Labelgrösse, auf sie aufmerksam. Mit «Noctuary» veröffentlichte das Duo aus Santiago de Chile nun ein Album, das nach Europa überschwappte und auf ganzen 60 Shows während der letzten Monate glänzte. Die Essenz ihres weitflächigen Psych Dream Pop destilliert in einem Song? Das achtminütige «Out Of Sight».
Rodrigo Amarante – Cavalo (Brasilien)
Little Joy machten mit ihrem selbstbetitelten Release bei Rough Trade 2008 wohl das süffig gefälligste Album, das nicht in eine Starbucks-Playliste gelang (oder doch?). Die sonnengereiften Binki Shapiro, Fabrizio Moretti und Rodrigo Amarante machten Bossa Nova, Indie-Pop, hatten Caipirinha in den Mundwinkeln und Meersalz im gebleichten Haar. Amarante (früher bei Los Hermanos) veröffentlichte dieses Jahr sein Solo-Album «Cavalo», das sich wie Brasilien im Winter anhört – sich aber auch hervorragend an die kalte Jahreszeit in Zürich/Paris/New York schmiegt.
Pedro Lehmann – Lost Control (Schweiz)
Als wir im Sommer 2013 unsere erste Rikscha Session mit den Jungs von Pedro Lehmann filmten, fiel den Boulevardcafégängern auf dem Puls5-Areal fast die Sonnenbrille in den Hugo: der Frontsänger aus dem Rheintal hat zweifelsfrei eine der kräftigsten Stimmen, die dieses Jahr auf sich aufmerksam machen konnten. Ihre EP «Lost Control» hält ihre düsteren The National-esken Songs fest, ohne an fassbarer Echtheit zu verlieren, ihre Gigs werden immer beeindruckender und das Debütalbum sollte 2014 auch endlich da sein.
Samaris – Samaris (Island)
Dass Island irgendwo in dieser Liste auftauchen musste, war klar – aber eine Klarinette? Nun, auf Samaris‚ selbstbetiteltem Album ist das Instrument zwar zu hören, brüstet sich aber nicht im Scheinwerferlicht. Sprich: Der Charme dieses Werks wird nicht allein von der Präsenz eines Holzblasinstruments ausgemacht. Wäre ja auch schade. Die elektronischen Klänge der jungen Band sind mystisch und entwaffnend; kein Wunder wurden sie innert kürzester Zeit zum Blogger-Liebling und zum Steckenpferd des Londoner Labels One Little Indian.
Ventura – Ultima Necat (Schweiz)
Kein zwei ohne drei, und vor allem, kein Deutschschweiz-Doppel ohne mindestens eine équipe romande. Versteht mich nicht falsch, dies ist kein Quotenalbum: Ventura aus Genf haben mit Ultima Necat ein schnörkelloses Album geschaffen, das sich ohne Subvention in diese Liste katapultiert. Grössflächig im Reverb, nonchalant aber bestimmt im Timbre. Rockmusik, so und nicht anders.
John Wizards – John Wizards (Südafrika)
John Wizards mischen südafrikanische Klänge mit dem Elektro-Zeitgeist der nördlichen Hemisphäre. Der in Kapstadt residierende John Withers hat mit seiner Band ein Album geschaffen, das seine Kreativität perfekt repräsentiert: die tanzbare Mischung – Hip-Hop, Disco, Electro in eine Indie-Glitzerfolie gewickelt – verändert sich stetig, birgt neue Melodien, bringt überraschende Ideen. Zwischen heute und ihrem nächsten angekündigten Gig am Field Day London im Juni ist noch genug Zeit für eine CH-Tour – wir wünschen uns die allemal.
Eine Reaktion
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14:56 Uhr, 12.12.2013, Link
merci, das video von ventura war mein schmunzler des tages :)