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Arcade Fire: Die Götter der Unterwelt sind grausam!

Von    |   1. November 2013   |   0 Kommentare

Die Kanadier Arcade Fire katapultieren die Popmusik in die Postmoderne – und übertreffen sich hiermit wieder einmal selbst. 

arcade fire reflektor 1

Vor 2000 Jahren schrieb Ovid die tragische Liebesgeschichte des begnadeten Sängers Orpheus und seiner Muse Eurydike nieder – heute zieren die beiden Charaktere das Cover von Reflektor, dem vierten Album der kanadischen Indierocker. Und das ist nicht zufällig. So erzählt das als Konzeptalbum angekündigte Werk eine Liebesgeschichte ganz im Stil der griechischen Tragödie ohne dabei an Tiefsinn und Aktualitätsbezug zu verlieren.

Der erste Teil des Doppelalbums zeichnet sich auf den ersten Blick vor allem durch relativ zugängliche Tanzmusik im Stil der ersten Single-Auskoppelung Reflektor aus. Musikalisch auffällig ist, dass die Band auf deutlich mehr elektronische Elemente zurückgreift als jemals zuvor, was im Intro des Tracks Normal Person auch thematisiert wird („Oh man, do you like Rock and Roll music? `cause I don’t know if I do“). Inhaltlich wird der Beginn der Liebesgeschichte zweier Menschen eingeführt, welche sich in einer oberflächlichen Gesellschaft ohne Perspektive und ohne Rücksicht auf das Individuum beweisen müssen (vergleiche We Exist oder Normal Person). Trotz der allgemein fröhlichen Grundstimmung, welche die ersten sieben Titel des Albums vermitteln, impliziert jeder der Tracks: Diese Geschichte kann nicht gut ausgehen.

Im zweiten Teil lässt sich nicht nur ein inhaltlicher, sondern auch ein musikalischer Bruch feststellen. Die Melodien werden schwerer, düsterer, die anfänglich spürbare sommerliche Stimmung des Albums verschwindet gänzlich. So scheint auch die Liebesgeschichte nicht mehr von Leichtigkeit, sondern von Schmerz und Selbstverletzung geprägt zu sein. Durch die Titel Awful Sound (Oh Eurydice) und It’s Never Over (Hey Orpheus) wird eine direkte Parallele der Akteure des Albums zum Mythos Ovids hergestellt: Sowie Orpheus seine Eurydike in der Dunkelheit der Unterwelt für immer verlor, gehen Menschen an den Missständen der Modernen Gesellschaft zu Grunde. Die Thematik des Albums beschränkt sich also nicht nur auf die Liebe, sondern kann als Infragestellung des Zeitgeistes angesehen werden (ganz im Sinne seines Vorgängers The Suburbs).

Mit ihrem vierten Album haben Arcade Fire ein lyrisch anspruchsvolles, intelligentes, sozialkritisches, philosophisches und vor allem in seiner Form und Struktur  einzigartiges Werk geschaffen. Reflektor hebt die Band um ein weiteres vom Indie-Mainstream ab und sichert ihr einen definitiven Platz unter den einflussreichsten Musikgruppen der heutigen Generation.

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