Tobey Lucas: Von 0 auf 83
Von Sabrina Stallone | 20. September 2013 | 0 Kommentare
Ein Album, von 0 auf 100 in einem Jahr. Detailverliebt und mit klaren Ideen hat Tobey Lucas «83» zum Leben erweckt.
«Da mache ich nicht mehr mit», erklärt Tobey Lucas. Im Gespräch mit dem Zürcher Musiker schneiden wir das Thema Gratismusik an: innovative Modelle, Spotify, alternative Bezahlsysteme. Das sei für ihn persönlich nichts. Er habe gerade ein Album aufgenommen und sieht nicht ein, weshalb das für lau verfügbar sein sollte. Kein Sneak Peek, kein Stream, kein Bonus-MP3. Fair, finden wir. Hinter «83» steckt nämlich so viel Geschichte und Herzblut, da würde sich ein Gratis-Download stark nach Kuchenklauen bei den Pfadfindern anfühlen.
Nicht nur in Sachen Verkauf hat Lucas klare Vorstellungen und vor allem klare Vetos. Mit seinem Kumpel Chris Filter hat er ein Label gegründet, mit welchem er jeden einzelnen Prozess auf dem Weg zur Veröffentlichung seines Albums steuert. Perfektionismus, also? «Ich würde das nie wieder anders machen», bestätigt er. Alles nach seinem persönlichen Gout zu gestalten, ist in seiner Musikkarriere jedoch eine Premiere.
Beginnen tut diese mit der In-your-face-Rock’n’Roll Kombo Jesh. Eine Bandgeschichte, die sich liest, wie der feuchte Traum eines musikverliebten Teenies: Clubgigs, eine Kanada-Tour, m4music-Sieg, Airplay auf MTV und Viva. Ruhm und Ehre. Doch irgendwann wächst man da raus, und dann kommen Gigs als Gitarrist von Reza Dinally und Anna Kaenzig, irgendwann die Zürihipster-Indie-Band Signori Misteriosi.
Im Hinterkopf stets der Traum vom eigenen Country-Album; unvollendetes Business mit seinen eigenen Vorlieben und Vorbildern. Was, wenn Neil Young heute young wäre und ein Album aufnehmen würde? Was, wenn Ryan Adams weniger divaesk, weniger kaputt wäre? Die Waswärewenn-Luftschlösser nehmen irdische Form an, als Tobey Lucas vor rund einem Jahr anfängt, Songs zu schreiben, die von Drogen und gebrochenen Herzen, Glauben und schlechten Entscheidungen handeln. Mit über einem Dutzend Musikern aus seinem Umfeld nimmt er sie auf. Für das Mixen und Mastern geht er zu Dan Long (Yeah Yeah Yeahs, TV On The Radio) nach Los Angeles. In Höchstgeschwindigkeit zwar, aber durchdacht.
Was daraus entsteht ist ein Werk, das nicht so sehr aneckt wie der Mann dahinter, jedoch mindestens genauso ehrlich ist. So ehrlich, dass es ohne raffinierte Genrebezeichnungen auskommt. Die Songs auf «83» heissen nun mal «Down in Louisiana», «Up On The Mountain» und «Travellin’ Thru»; Gitarre und Mundharmonika duellieren eben einfach in klassischer Westernmanier. Wie bringt man Medien und Hörern bei, dass dies kein peinliches US-Bible-Belt-Gedöns ist, sondern ein richtig gutes Stück Musik? Der Zürcher grinst schulterzuckend. «Nun, Radio Virus fand es noch zu brav», er bleibe aber dran. Für das Nachhaken sei er sich nicht zu schade.
Und jetzt? Lucas’ wemakeit-Projekt läuft, es läuft sogar gut, und in der kommenden Woche wird «83» als physisches Objekt in die Redaktionen im In- und Ausland flattern. «Jetzt? Lasse ich das Projekt leben. Mal sehen, was kommt», so die Antwort, auf der folgt: «Die Ochsentour mache ich nicht mehr.» Gigs vor zehn Leuten, ein paar Getränkebons als Gage, dafür sei er mit seinen 30 Jahren zu alt. Snobismus, also? Vielleicht. Aber eigentlich auch egal. Denn mit «83» scheint Tobey Lucas sich vor allem seinen ganz persönlichen feuchten Teenie-Traum erfüllt zu haben.
> Tobey Lucas veröffentlicht heute das Video zur Single «You’ll Be Waiting There». Seine Platte tauft er im Exil am Freitag, 11. Oktober 2013.
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