78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Paléo-Perspektiven

Von    |   27. Juli 2013   |   2 Kommentare

Das Handynetz streikt, der gutmütige Zufall auch. Letzten Dienstag rannten zwei 78s-Autorinnen am Paléo Festival in Nyon von Bühne zu Bühne und verpassten einander. Zwei Blicke auf Höhe- und Tiefpunkte.

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Häppchen und Paläontologen: Eine Paléo Premiere – Sabrina Stallone

Der Bandmarathon am Paléo beginnt kurz nach 17 Uhr mit den Quotengenfern von Mama Rosin; Banjos und ausgelassenes Haareschütteln. Das ist allerdings wie das erste Lachscanapé am Office-Apéro: solide, aber wo bleiben die Shrimps?

Unterwegs zur Le Détour Bühne. Die Paléo-Paläontologen rümpfen die Nase, denn die Bühne hätte grösser sein sollen, so hatte das Festivalkomitee es zumindest mitgeteilt. Vielleicht um das Stammpublikum darüber hinwegzutrösten, dass das Chapiteau nun Les Arches heisst und keinen Wetterschutz bietet? Die Schreibende, ihrerseits auf Paléo-Premiere, bemerkt: Dieses Festival ist für Gewohnheitstiere. Morgen werden sich die Riviera-Familien am Mittagstisch über die Bühnenproblematik echauffieren.

Der Gedanke wird unterbrochen von der ersten Überraschung: Palma Violets, die NME-Lieblinge der Stunde. Der einflussreichen britischen Musik-Bravo haben die Jungs aus London Tour, Ruhm und nicht zuletzt wohl den Plattenvertrag mit Rough Trade zu verdanken. Die armeverschränkende Skepsis, mit welcher die Schreibende dem vor Energie strotzenden Viergespann auf der Bühne begegnete, löst sich bald auf. Irgendwo zwischen Sonntagsjohlen im Pub und ordentlichem englischen Garage-Pop malträtieren Palma Violets ihre noch jungen Gitarren.

«Interessenskonflikt!», die Paléo-Urgesteine melden sich wieder stänkernd zu Wort. Die Doppelt- und Dreifachbuchung verflixt aber auch die Schreibende: Wer Two Gallants, Mermonte und Phoenix zeitgleich auftreten lässt, hat die Motztirade verdient. Vor den Franzosen von Mermonte sehen wir etwa fünfzehn Nasen stehen, als ihr Gig beginnt. Am grössten Festival der Schweiz eine Seltenheit, die neugierig macht. Und siehe da, noch eine Überraschung: die zehnköpfige Orchestra Pop Band macht wirklich Freude. Wer nicht an herzigen Postrock glaubte, wird hier bekehrt. Nett. Und dann?

Und dann Alt-J. Der strategische Platz zwischen Bühne und Bier wird gerade ergattert, als ein Intro wie aus einem Gangsterfilm losgeht; Fette Beats und Knarren. Die Erwartungen sind gemischt: Einerseits das Album, An Awesome Wave, stetiger und unermüdlicher Stammgast aller Lieblingsplaylisten; andererseits Alt-J, irgendwie zu sehr den Nerv treffend, irgendwie too cool for school.

Ihre Performance (Indie Rock trifft Soul trifft Dubstep – spürt ihr ihn, den getroffenen Nerv?) versetzt das Publikum innert kürzester Zeit in eine Art ätherischen Dämmerzustand. Alt-J wagen sich auf keine wackligen Äste; keine unüberwindlichen Gitarrenwände, keine wild arrangierten Covers. Sie liefern eine einwandfreie Darbietung ihres Debütalbums. Souverän, sauber, von Langeweile keine Spur. An Awesome Understatement. Und als eine knappe Stunde nach dem Intro das Outro folgt, hätte das Konzert für die Schreibende gleich von vorne beginnen dürfen. Sie hat ihre Shrimps gefunden.

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Asche, Schlamm und dann Glückseligkeit: Das Paléo von Eva Hediger

Das Intro verpasst, den Funken auch. Leicht gelangweilt pflügt sich die Schreibende zu Alt-J. Diese dümpeln vor sich hin, jeder Takt murmelt “Hey, innovativ!” Doch obwohl sie sonst anfällig auf diese Art Musik ist, streikt ihre Begeisterungsfähigkeit. Eine euphorieschwangere SMS der Kollegin Stallone schafft es durch den überbevölkerten Äther zur Schreibenden. Mehr als ein „Ach, naja“, geht dieser nicht über die Finger.

Doch schon Stunden vorher war die Schreibende auf einem eher dürftigen „So toll“-Level anzutreffen. Sie strauchelt über kleine Kinder, drückt sich an Teenagern vorbei und weicht angesäuselten Senioren aus. Es ist kurz nach 19 Uhr, als sie die generationenübergreifende Menschenmasse zum ersten Mal verflucht. Endlich landet die Schreibende vor der Hauptbühne. Sophie Hunger. Flüchtiges Überlegen, ob der Schweizerin gelauscht oder das Festivalgelände erkundigt werden soll. Die Entscheidung fällt auf Letzteres. Als die Installationen betrachtet und das erste Bier getrunken ist, kribbelt die Festivalfreude. Zeit für ein Konzert, Zeit für Lou Doillon.

Diese betritt mit Band und einem Album die Bühne, für das ihre Heimat sie liebt. Die Welschen erfreut es ebenfalls, die Schreibende weniger. Was die mitteltalentierten Töchter Jane Birkins angeht, bleibt Charlotte Gainsbourg klare Favoritin. Nach wenigen Songs zottelt die Schreibende weiter, kriegt ein Ohr Jagwa Music und einen Sitzplatz vor der Hauptbühne. Um 21.45 Uhr steigen dort Phoenix aus der Asche der 00er Jahre auf – mit Electropop, schwacher Stimme und roten Röhrlihosen. Versagt der französische Charme ein zweites Mal? Aber nicht doch. Trotz der verkappten Nostalgie und der Pop-Heuchlerei war das Konzert von Phoenix bekömmlich. Spätestens als ein Berg – Miss Schweiz-Kandidatinnen tippen verunsichert auf das Matterhorn – in knalligen Farben auf dem Riesenbildschirm eingeblendet wird, versöhnt sich das Publikum und die matte Abendsonne mit der Musik.

Später. «So voll ‚American‘!»– Vor Fachgesprächen ist man an keinem Festival gefeilt, jetzt diskutierten ein paar Ü55 über die musikalischen Qualitäten von Neil Young: «Merkt mer nöd, dass de so alt esch! Weles esch er überhaupt?» Die Schreibende wechselt ihren Platz, lauscht der Musik und ist zufrieden. Die Blitze am Himmel sind weit weg, die Konzentration auch. Genug Musikgeschichte für diesen Paléo-Abend.

Ein panischer Schrei und eine Windböe später setzt heftigster Regen ein. Eilig verlassen die Besucher das Gelände oder suchen Regenschutz unter den Sonnendächer. Dort checken sie verblüfft die Wetter-App auf ihren iPhones, auf deren Displays noch immer die Sonne scheint. In der Realität donnern die Gitarren von Neil Young und die Naturkräfte über das Festival. Aus den Regentropfen werden Sturzbäche, der Wind rüttelt an den chinesischen Laternen. Nach neunzig Minuten und ein wenig Besserung wagt sich die Schreibende aus dem Schärme, gestärkt vom Entschluss Nyon am frühen Morgen zu verlassen. Doch am Mittwoch sind der Schlamm und der Missmut getrocknet. Quelle chanceBeach House sorgen für die ersehnte Glückseligkeit.

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2 Reaktionen

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