78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Dagobert und seine Schnulzen

Von    |   19. Mai 2013   |   0 Kommentare

Dagobert revolutioniert den Schlager. Am Samstag spielte der Schweizer in der Dampfzentrale. 78s schunkelte mit.

Kein Symbolbild sondern Stempel: Dagobert spielte am Samstag in Bern.

Kein Symbolbild sondern ein Stempel: Dagobert spielte am Samstag in Bern.

Die deutsche Musikergemeinde erträgt Pathos nur ironisch-distanziert, ertränkt aufrichtige Gefühle  in abstrusen Metaphern und übt sich in poetischer Gesellschaftskritik. Die Songtexte sind Gedichte, verbale Kunst. Zeilen wie „Um mich soll`s nach Erdbeeren riechen“ werden durch ein Mikrophon geraunt zu unwiderstehlicher Poesie. Keine Wortkombination ist schwachsinnig. Tatsachen werden umschrieben und nicht benannt.

Profane Endreime gab es deshalb nur von jenen Sängern, denen sowieso niemand zuhören wollte. Doch jetzt schunkeln die Hipster Berlins, lächeln selig und singen: „Sag, wie trägst du heut dein Haar und ist es wirklich wahr, dass es dich noch gibt? Ich bin ja so verliebt.“ Unverblümter Kitsch ist konzertsaalfähig geworden.

Grund dafür ist nicht die Siegerin einer Castingshow, sondern Dagobert. Der Aargauer hat in Del Rey-Manier einen hübschen Mythos aufgebaut. Diesen erzählt der verschüchtert wirkende Dagobert in der Kurz-Doku „Der Schnulzensänger aus den Bergen“ der Internet-Gemeinde. „Nach der Schule habe ich mich entschiedenen Penner zu werden“, so Dagobert. Er habe in einem Bandraum geschlafen, die Instrumente spielen gelernt und so einen Förderpreis eingesackt. Mit der Gewinnsumme finanzierte er sich eine „Spitzenzeit“ in Berlin, kehrte pleite in die Heimat zurück und verkrümelte sich für fünf Jahre in ein Schweizer Berghaus. Dieses hat er  nur für vereinzelte Bergwanderungen verlassen.

Nun ist Dagobert zurück in der Gesellschaft und sonnt sich im Applaus. Am Samstag spielte der Sänger seinen einzigen Auftritt in der Schweiz. Auf der Bühne der Dampfzentrale besang er grosse Gefühle, bürgerliche Wünsche und körperliches Verlangen. Irgendwann wurde der iPod von einem Pianist abgelöst, Dagobert wechselte seine Kluft und die Diskokugel begann sich zu drehen. Mit ungelenker Poesie und einem aufrichtigen Herz wurden aus den Schnulzen kleine Hits: „Ich brauche dich, weil ich sonst, wenn du nicht mit mir mitkommst, ganz traurig werde schauen.“ Manchmal braucht die Wahrheit keine grossen Worte.

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