Daughn Gibson: Reiter der Apokalypse
Von Nico Scheidegger | 29. Juli 2012 | 0 Kommentare
Tiefer Gesang der auch tiefschürft. Daughn Gibson beherrscht auf „All Hell“ die Disziplin des apokalyptischen Reitens meisterhaft.
Daughn Gibson musste auf seinem umständlichen Weg in unsere Welt gewiss viele Federn lassen. Der Legende nach sei er im Rudel reitend seinen Comrades aus Johannes‘ Offenbarung gefolgt und vom Himmel mit dem apokalyptischen Kommando zur Erde gefahren. Diese Version entzog sich bedauerlicherweise einer gründlichen Recherche. Dass er aber im Truck quasi ein entmystifiziertes Pendant zum biblischen Reiter gab ist unbestritten. Daughn Gibson war Lastwagenfahrer.
Eine Aura schattenhafter Verwegenheit umgibt sein Debüt „All Hell“. Der Bariton, welcher dem tiefen Kernschatten unter einer gigantischen Hutkrempe entrinnt, überschwemmt einem die Sinne mit beissendem Staub aus endlosen Strassengräben; schliesslich pumpt ein überbordendes Herz nichts als eine zäh-graue Melasse durch die Arterien. Und inmitten des Kollaps‘ hört man das Leben jauchzen.
Die Inszenierung Daughn Gibson’s als neue Endzeitversion von Johnny Cash ist eigentlich unnötig. Seine Eigenart ist soweit ausgestaltet, dass Gibson in seinem geistigen Imperium als eigenständiger Schöpfer auftritt. Beim Anhören von „All Hell“ wird allerdings bewusst, wie qualvoll lange Zeit vergangen ist, bis uns seit Lee Hazlewood und Scott Walker wieder eine solche Stimme zuteilwurde. Nicht alle Ideen auf „All Hell“ sind ausgereift. Auch Gibson soll die Erfahrung machen, dass sich ein Laptop weder zupfen noch blasen lässt, und die digitale Berechnung einen Song letztendlich vorhersehbar macht.
Die Hölle bricht auch auf seiner kürzlich nachgelegten EP „Lite Me Up“ nie offensichtlich los. Auf jeden Ton in Gibson’s Repertoire projiziert sie aber verheissungsvoll den Widerschein ihrer lodernden Feuer. Woran man sich bei diesen Klängen denn tatsächlich wärmt, bedarf der aufrechten Antwort jedes Einzelnen.
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