Auto-Tune-O-Ganza mit Poliça
Von Nina Wyss | 5. Juni 2012 | 5 Kommentare
Auf ihrem Debüt-Album tragen Poliça aus Minnesota den Auto-Tune-Effekt extra dick auf. Ob sich das zu hören lohnt?
Kollege Menzl hats im Januar schon kommen sehen: Poliça haben was. Entsprechend positiv fällt Wochen später die Resonanz auf das Debüt-Album der Band aus. Einziger Wermutstropfen: „Give You The Ghost“ stellt sich als wahrer Auto-Tune-Paradelauf heraus. Über die volle Album-Länge jagt das kleine Kästchen die Simme von Frontfrau Channy Leaneagh über Höhen und Tiefen, schlägt Haken und verschnörkelt die Melodie zu flüchtigen Ornamenten. Glücklicherweise kommen die Songs in Sachen Nervigkeit kaum je an diejenigen von Cher, der unangefochtenen Weltmeisterin der computerinduzierten Stimm-Akrobatik, heran.
Dabei kann Leaneagh auch clean singen. Das hat sie in ihrer ehemaligen Band Roma di Luna oder als Mitglied der Supergroup Gayngs bereits bewiesen. Wenn es also an mangelndem Talent nicht liegen kann, warum zur Hölle entscheidet man sich als Sänger freiwillig für das vielleicht umstrittenste Gadget der Szene? Für Auto-tune, den Blender unter den Effektgeräten, den Nestbeschmutzer der vortrefflich Intonierenden? In einem Interview nimmt Leaneagh Stellung: „It adds a certain amount of drama, to me, and it adds some control and it makes my voice more an instrument, and not like, ‚this is Channy’s band‚. I’m just an instrument in this band with these other three guys, and my voice is sort of warping and moving to the sounds of the tracks.“
Auto-Tune als Massnahme zur ultimativen Gleichstellung der Bandmember also. Dabei hätten die Jungs von Poliça das gar nicht nötig, sie schlagen sich an Bass, Keyboard und an den beiden Drumkits ganz vorzüglich. Sie kleiden ihr Debüt in eine extra-rhythmische Variante von Rhythm’n’Blues, die sich unter dem dauerhaften Siegellack der Stimme nur noch eindringlicher manifestiert. Und so klingt „Give You The Ghost“ trotz Verfremdung oft betörend warm und organisch.
Noch besser kommen die Songs live. Im Studio von KEXP gaben Poliça einige Kostproben des Albums zum Besten und fanden dabei die perfekte Balance. Live eingespielt verliert der Sound der Band etwas von der hochglanzpolierten Eighties-Eisigkeit in der Produktion und er überzeugt mit einem geschmeidig-chilligen Feel.
Poliça – Dark Star
Poliça – Dark Star (Live on KEXP)
> Die Songs des Albums können auf Poliça’s Soundcloud gestreamt werden.
> Die Band ist momentan in Europa unterwegs. Alle Tourdaten gibt’s hier.
(Photo By: Graham Tolbert)
5 Reaktionen
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12:49 Uhr, 5.6.2012, Link
seh‘ ich genauso. dieses hehre demokratisierungsexperiment hat zur folge, dass sich die frontfrau gleich selbst aus dem rennen nimmt. zum einen weil die band extrem gut ist, und zum anderen weil es – rein künstlerisch – kein plausibles argument gibt, denselben penetranten stimmeffekt auf albumlänge beizubehalten. ihr anlass war also (band)politischer natur. das macht’s nicht besser, verlagert die diskussion aber etwas.
13:21 Uhr, 6.6.2012, Link
gefällt mir ausserordentlich gut.
20:55 Uhr, 5.7.2012, Link
Mein Favorit: „Wandering Star“. Ganz fantastisch. Geht rein, bleibt drin. Das plausible Argument, diesen Effekt einzusetzen und beizubehalten, ist wahrscheinlich ihr eigener künstlerischer Anspruch.
16:49 Uhr, 7.7.2012, Link
auto-tune = no-go