Platte der Woche: Kate Bush – 50 Words For Snow
Von Ralph Hofbauer | 18. November 2011 | 2 Kommentare
Kate Bush erweitert ihr Spätwerk mit dem Konzeptalbum „50 Words For Snow“. Ein besseres Weihnachtsalbum dürfte dieser Advent nicht zu bieten haben.
Bereits die ersten Klavierakkorde von „Snowflake“ machen deutlich, dass sich Kate Bush auf ihrem zehnten Album alle Zeit der Welt nimmt. Der narrative Faden entspinnt sich so langsam, dass Zeit und Welt eine Stunde lang still stehen. „I was born in a cloud“, heisst es zu Beginn, als eine Schneeflocke geboren wird. Im Dialog mit ihrem 12-jährigen Sohn Bertie antwortet Bush dessen Sängerknabenstimme: „The world is so loud, keep falling and I’ll find you.“
„50 Words For Snow“ ist bereits Bush’s zweite Veröffentlichung in diesem Jahr. Nachdem sie für „Director’s Cut“ alte Stücke überarbeitet hat, hat die Britin erstmals seit sechs Jahren neue Songs eingespielt. Lediglich sieben an der Zahl, trotzdem bringt es das Album auf eine Spielzeit von 65 Minuten. In diesen wird einmal mehr deutlich, dass Kate Bush den Widerspruch zwischen künstlerischem Anspruch und kommerziellem Erfolg wie keine andere Sängerin aufzulösen vermag. Bush hat im Laufe ihrer Karriere die Grenzen des Pop ausgelotet, doch die Hörer sind ihr treu geblieben. Da scheint es nur konsequent, dass sie auf ihrem neuen Album den trivialen Kriterien des Musikbusiness – wie Singleformat und Zugänglichkeit – eine Absage erteilt.
„50 Words For Snow“ enthält kein neues „Wuthering Heights“ und auch kein zweites „Cloudbusting“. Wie bereits „Aerial“ von 2005 zielt auch dieses Album nicht auf die Hitparade ab. Affinität zu Klassik und Jazz bestimmen die Stimmung dieses elegischen Werks, auch wenn das Titelstück von einem tänzelnden Groove vorwärts getrieben wird und sich „Wild Man“ zu Pink Floyd’schem Slow-Motion-Funk entrollt. In den übrigen Songs steht das Piano im Mittelpunkt, dem Bush nicht weniger Facetten abgewinnt wie ihrer Stimme. Auf Tasten weiss wie Schnee tastet sie sich durch ihr imaginäres Winterreich. Kitschig klingt dies allenfalls im abschliessenden „Among Angels“.
Als Duettpartner hat Bush zwei illustre Gäste eingeladen. In „Snowed In At Wheeler Street“ trifft Bush auf das grosse Idol ihrer Jugend, Sir Elton John. Auch wer diesen nie gemocht hat, dürfte diese Powerballade gar nicht so schlecht finden. Im Titelstück, das auf die (unwahre) Legende anspielt, dass Eskimos 50 Wörter für Schnee haben, wird Bush vom Schauspieler Stephen Fry in einer Kunstsprache begleitet, die im Laufe des Songs immer fantastischere Züge annimmt, während Bush den Countdown bis 50 abzählt: „C’mon man, you got 44 to go“.
Bleibt die Frage, ob „50 Words For Snow“ ein Weihnachtsalbum ist oder einfach nur ein Konzeptalbum über Schnee. Da sich keine Referenzen zu Weihnachtsliedern finden, ist es kein „Holiday Album“ im traditionellen Sinne, auch wenn das Codewort Christmas einmal fällt. Allerdings transportiert das Album durchaus eine weihnächtliche Stimmung. Es sind jedoch nicht die Weihnachten, die es in den Geschäften zu kaufen gibt, sondern es ist ein märchenhaftes Gefühl aus der fernen Kindheit, das Kate Bush zu wecken weiss. Auch dieses ist dank diesem Album nun käuflich.
> Albumstream „50 Words For Snow“ bei NPR
> Ein informatives Interview zum Album gibt bei The Quietus
2 Reaktionen
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14:11 Uhr, 19.11.2011, Link
Grossartige Platte und das Klavier (Klang und Spiel) ist absolut überwältigend. Hab in den letzten drei Tagen nichts anderes gehört – immer alles am Stück… werde das wohl noch eine Zeit lang so weiter pflegen.
19:44 Uhr, 20.11.2011, Link
Etwas Mühe habe ich schon mit dem Elton John Duett, das zu schmalzig geraten ist. Im Grossen und Ganzen aber, nach zweimaligem Anhören, empfinde ich die Musik als weitgehend wohltuend. Kate Bush verdient grossen Respekt dafür, dass sie bescheuerten Ideen eine Chance gibt. Eine Portion Fantasy, eine Portion Selbstbefangenheit, eine Portion Arglosigkeit. Und den neuen Songs räumt sie genügend Zeit ein, damit diese langsam und wie Leckerbissen im Mund zergehen. Ich warte jetzt sehnsüchtigst auf den ersten Schneesturm, um den Effekt von “50 Words For Snow” voll auskosten zu können.