Coverart: Jerry Harrison – Casual Gods (über Tage)
Von Nina Wyss | 17. August 2011 | 4 Kommentare
Goldstatus hat das zweite Solo-Album des ehemaligen Talking Heads Jerry Harrison zwar nie erreicht und so richtig berauschen will es mich auch nicht. Dennoch steht die Platte ganz im Zeichen des Goldfiebers, zumindest äusserlich.
Jerry Harrisons zweiter Alleingang „Casual Gods“ ist 1988 erschienen, im selben Jahr wie das letzte Album der Talking Heads. Der Keyboarder und Gitarrist der New Wave Pioniere, der seit dem Ende der Band als Produzent seine Brötchen verdient, bringt es mit „Rev It Up“ sogar zum Radiohit. „Casual Gods“ ist solide und dennoch weit vom Prädikat „solid gold“ entfernt. Auf dem Albumcover aber, da kann man das Gold förmlich riechen.
Was auf den ersten Blick anmutet wie die Nahaufnahme eines Termitenbaus, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine schier unglaubliche Ansammlung von Menschen. Dabei ist der Aufmarsch keineswegs inszeniert, sondern gschaffiger Alltag in der grössten Goldmine Brasiliens, in Serra Pelada. Das rege Treiben dokumentiert und auf Film gebannt hat der damalige Magnum-Fotograf Sebastião Salgado. Die Serie aus dem Jahr 1987 gehört heute zu den berühmtesten Arbeiten des gebürtigen Brasilianers.
Ende der Siebziger werden in einem Ort südlich des Amazonas grosse Mengen Gold gefunden. Berauscht von der Neuigkeit strömen Hunderttausende herbei und beuten die Gegend im Übertagebau aus. Wo sich einst ein spielendes Kind an einem glänzenden Nugget erfreute, heben Goldgräber mit rudimentärem Werkzeug bald ein 120 Meter tiefes Loch aus und machen aus dem hügligen Landstrich Serra Pelada.
Der Eindruck einer monumentalen Inszenierung des Fotos kommt nicht von ungefähr: Die Arbeit in der Mine ist straff organisiert. Mit dem eigentlichen Schürfen sind kaum mehr als zehn Personen beschäftigt, den Erdabraum aber transportieren Tausende von Hilfsarbeitern kraxelnd über den Krater. Wenige hundert Personen herrschen über die Mine und teilen sich 75% der Anteile. Die anderen ergattern mit jedem Aufstieg ein paar Cent, Nahrung und eine Schlafgelegenheit für die Nacht.
Ein Jahr nach den Aufnahmen Selgados findet man in der Mine noch 745 kg Gold, bis Anfang der Neunziger nimmt die Ergiebigkeit konstant ab. Heute ist die Gegend um Serra Pelada verlassen und mit Quecksilber kontaminiert. Den Link zwischen den Fotos und dem Albumtitel liefert Harrison auf dem Innersleeve: „This is not a scene from a movie. These pictures were taken last year in Brazil. 50’000 men are digging for gold in a hole that was once a mountain. Though they look like swarming ants or endless caravans of pack animals, they are men, reduced to this condition by poverty and the bewildering indifference of casual gods.“
Jerry Harrison – Bobby
Künstler: Jerry Harrison
Album: Casual Gods
Label: Sire Records
Jahr: 1988
Cover-Fotografie von: Sebastião Salgado
In der Serie Coverart stellen wir Plattencover vor, die besonders sehenswert sind.
4 Reaktionen
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21:51 Uhr, 17.8.2011, Link
ja, klingt nicht gerade wie Goldplay, aber es gibt erfreuliche musikalische und thematische Paralellen zum „Wasser ins Meer scheffeln“ im famosen Clip „once in a lifetime“ http://www.youtube.com/watch?v=I1wg1DNHbNU
11:08 Uhr, 18.8.2011, Link
Ich kaufte mir damals tatsächlich die Scheibe ungehört, alleine aufgrund der Hülle. Und die ist auch das beste daran. Jerry Harrison hat sich immer gerne mit fremden Federn geschmückt. Im Falle von Casual Gods sind es Salgado’s Bilder, die herausstechen. In den Talking Heads war es das Genie von David Byrne, das auch Harrison zu Glanzleistungen anspornte, und als Mitglied von Mordern Lovers war’s der unüberhörbare Einfluss von Velvet Underground. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass es bessere Stücke auf Casual Gods gibt als das völlig orientierungslose Bobby. Was besonders schockierte: die Bilder, anders als vielleicht das Schriftbild und das Schwarzweiss suggerierten, stammten nicht aus einer vergangenen Zeit.
14:35 Uhr, 18.8.2011, Link
Super Bericht, danke. Wieder mal was gelernt.
00:03 Uhr, 19.8.2011, Link
auch ich habe die platte ungehört gekauft, allerdings nicht 1988, sondern vor ca. 2 monaten im arche brocki. habe sie aufgrund des covers überhaupt aus der kiste gefischt, dann den jerry harrison of talking heads sticker gesehen und sie mir dann von ralph plattenmaulwurf (der sich zufälligerweise auch grade dort befand) absegnen lassen. super cover. super bericht. super nina.