Grosses Kino: Anna Calvi gibt ihr Debüt
Von Nina Wyss | 21. Januar 2011 | 0 Kommentare
Zum Jahresende hat die BBC die Longlist der vielversprechendsten Newcomer fürs neue Jahr bekanntgegeben, darunter auch Anna Calvi. Unter die Top 5 hat es die Londonerin nicht geschafft, ihr Debüt hat dennoch das Zeug zum grossen Auftritt.
Anna Calvi bezeichnet ihre Songs in einem Interview als „mini films“ und so wähnt man sich schon im Album-Opener in einem Spaghetti-Western nach Morricone-Art. In instrumentaler Gottverlassenheit wehen aus der Ferne die ausgedorrten Triebe einer Telecaster rüber und füttern das Kino im Kopf mit bewegten Bildern. Die unheilvolle Stimmung löst sich bald in Versöhnlichkeit auf und „No More Words“ entfesselt erstmals Calvis Stimme, die in ihrer Intensität schon nach wenigen Takten scheinbar mühelos Weltklasse-Format erlangt.
Gekauft! – könnte man meinen. Denn mit dem dritten Song der Platte werden die Nerven dann erst mal arg auf die Folter gespannt. Keine Frage, der Charakterstimme der Calvi gebührt die Hauptrolle, doch kann sie – auf das ganz grosse Kino abzielend – schnell einmal zu viel des Guten werden. Auf Teufel komm raus wird hier musikalische Virtuosität mit dick aufgetragenem Drama! Drama! Drama! übertölpelt und „Desire“ macht einem in voller Exaltiertheit eine Szene, über die man nur schwer wegkommt.
Auch die nachfolgenden Titel des Albums pendeln gefährlich zwischen zurückhaltender Magie und theatralischer Dekadenz, was allerdings nur wenig verwundert, führt man sich die Einflüsse Calvis vor Augen: Die studierte Musikerin, die ihre Kindheit in London und Rom verbracht hat, zieht zur Inspiration die Herren Bowie und Cave gleichermassen heran wie Maria Callas, die klassischen Impressionisten Ravel und Debussy oder einen heissblütigen Flamenco. Eine mutige Mischung, die in der Musik freilich Spuren hinterlässt.
Alles in allem ist Anna Calvi mit ihrem Debüt ein konsequent eigenständiges Album gelungen, das sich sowohl im düsteren lynchesken Kontext behaupten kann als auch in der übersättigten Opulenz eines Wong Kar-Wai-Streifens. Der Produzent Rob Ellis verpasst der Platte einen brillanten Schliff und unterstreicht damit in allen Lagen Calvis stimmliche Wandlungsfähigkeit, die gemeinsam mit einer virtuos bearbeiteten Telecaster um den ganz grossen Auftritt buhlt.
> „Anna Calvi“ ist Anfang Woche auf Domino Records erschienen und kann in voller Länge gestreamt werden.
> Anna Calvi live in der Schweiz:
> 13.4., Stall 6, Zürich
> 14.4., Bleu Lezard, Lausanne
> 15.4., Ono, Bern
Anna Calvi – Blackout
Anna Calvi – Jezebel
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