Hip-Hop ist tot? Lang lebe Hip-Hop!
Von Mathias Möller | 25. August 2010 | 24 Kommentare
Gestern erklärte Michèle Binswanger im Tagi den Schweizer Hip-Hop für tot. Eine Replik.
Liebe Michèle,
dein gestriger Artikel im Tagesanzeiger mit der Headline „Bligg und das Ende des Schweizer Rap“ beginnt mit einem Missverständnis, über das du am Ende auch stolperst.
Das Schweizerische und Rap, das sei von Anfang an eine „obskure Paarung“ gewesen, schreibst du da. Sicher, aber das war Bob Dylan und die E-Gitarre auch. Heute spricht kaum noch jemand von diesem denkwürdigen Abend 1965.
Du nimmst also an, Rap (ich nehme an, du meinst Hip-Hop generell, nicht nur die Teildisziplin Rap) sei etwas gewesen, was in (us-)amerikanische Ghettos gehört und nicht in den Mund schweizerischer Wohlstandskids wie Black Tiger, der als einer der Ersten auf Schweizerdeutsch sprechreimte. Diese Annahme würde eine kulturelle Ghettoisierung voraussetzen. Doch Kultur ist immer durchlässig gewesen: Elvis hat sich am Gospel und dem Blues bereichert, die britischen Beatles am King, Charles Manson hat „Helter Skelter“ von den Fab Four gestohlen und U2 haben es zurückgestohlen.
Auch in Deutschland („Mein Block“, sozusagen) wurden die Pioniere des Deutschrap belustigt bis kritisch beäugt. Die Fantastischen Vier besorgten mit „Die da“ den ersten Hit, zuvor hatten sich schon Advanced Chemistry (ganz grenzüberschreitend mit dem ersten Zulu-Nation-König Deutschlands und im Übrigen auch gehörig politisch) und Thomas Gottschalk an Sprechgesang auf Deutsch versucht.
Die Fanta Vier sind mittlerweile längst der Hip-Hop-Szene entwachsen, ihr Rap ist weder heavy noch hard, wie einer von ihnen, Smudo, vor kurzem noch hoffentlich augenzwinkernd behauptete. Doch das scheint in Deutschland keine ähnlichen Diskussionen auszulösen wie du es mit Bligg versuchst. Klar, eine Realness-Debatte um die Stuttgarter hat es kurz gegeben, irgendwann in den Neunzigern wahrscheinlich. Aber danach hat man sie ihr Ding machen lassen, und die Underground-Rapper haben weiterhin ihr weisses Mittelstands-Ghetto gefeiert.
Die Fantastischen Vier haben bereits vor einigen Jahren eine Unplugged-Session gespielt, die es wirklich in sich hat (und ich hasse diesen Unplugged-Mist). Fettes Brot, das norddeutsche Pendant zu den Fantas hat schon in den Neunzigerjahren mit James Last aufgenommen und sich danach am volkstümlichen Punk-Kanon von Rio Reiser versucht.
All das wäre vielleicht vergleichbar mit Bliggs Ausflügen in Nicht-Rap-Gefilde. Aber ob Bligg und Kilian Wenger oder Gregor Gysi und der Wu-Tang Clan (O-Ton Fischmob), es spielt keine Rolle: Hip-Hop ist immer grenzüberschreitend gewesen. Kollaborationen europäischer Hip-Hopper gibt es genug, und auch die amerikanischen Urväter haben die Künstler diesseits des Teichs mit offenen Armen empfangen.
A propos Amerika: Einer der grossen Trends der Neunzigerjahre war Crossover: Harte Gitarrenmusik mit Beats, Scratches und Raps – hauptsächlich für ein weisses Publikum gemacht, das Gefallen am Hip-Hop gefunden hatte. Dieses kuriose, aber nicht abwegige Genre hat einige Klassiker herausgebracht, am prominentesten wohl den Soundtrack zum fürchterlichen Film „Judgement Night“. Auf diesem finden sich ausschliesslich Stücke von Gitarrenbands, die mit Rappern im Studio waren (also, Sonic Youth und Cypress Hill oder Helmet und House of Pain etwa). Berührungsängste? Fehlanzeige!
Hip-Hop hat verstanden, wie Kultur nur funktionieren kann: Ohne Abgrenzungen. Ein Anderer, der den Grenzübertritt auf etwas andere Art wagt, ist übrigens, liebe Michèle, der von dir (bewusst?) nicht erwähnte Jürg Halter, aka Kutti MC. Der Berner zelebriert Eigenarten des Mundartrap ganz bewusst und kollaboriert gekonnt mit Musikern aus dem Elektronischen und der Gitarrenmusik.
Hip-Hop aus der Schweiz ist also sicherlich nicht gleich am Ende, wie du behauptest, nur weil ein Protagonist sich als verspiesster Schwingerfreund geriert. Um den Nachwuchs in der Schweiz muss man sich keine nun wirklich keine Gedanken machen, angesichts solcher Talente wie dem immer noch jungen Knackeboul und all denjenigen, die sicherlich noch in den Kommentaren auftauchen werden. Oder? Wie stehts um den Schweizer Rap, liebe Leserschaft?
Wir sind alle d’Schwiiz,
Mathias
(Foto von den Mundartisten.)