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Dr. Pop, wer hat die Rückwärtsbotschaft erfunden?

Von    |   24. August 2010   |   2 Kommentare

Rückwärtsbotschaften bringen die Fantasie von Verschwörungstheoretikern auf Touren. Dr. Pop fühlt einem der sagenumwobensten aller Popmythen auf den Zahn.

Schuld sind mal wieder die Beatles. Hätte John Lennon bei den Aufnahmen zu “Revolver“ nicht gefallen an den Sounds gefunden, die ihm im Studio beim bekifften Rückwärtsabspielen der Masterbänder zu Ohren kamen, wären Rückwärtsbotschaften womöglich gar nie zum Gegenstand von Verschwörungstheorien geworden. So aber kam es, dass einige Nerds aufgrund der Backmasking-Effekte in Stücken wie „Rain“ oder „Tomorrow Never Knows“ damit begannen, Beatles-Platten rückwärts abzuspielen.

1969 behauptete ein Student aus Michigan namens Tom Zarski, er habe auf dem „White Album“ eine geheime Botschaft entdeckt. In einer Radiosendung forderte Zarski den Moderator dazu auf, den Anfang von „Revolution #9“ rückwärts abzuspielen. Die dabei mit viel Fantasie hörbare Zeile „Turn me on, dead man“ war hauptverantwortlich für die Gerüchte, die sich in der Folge um den angeblichen Tod von Paul McCartney zu ranken begannen. Laut einer abenteuerlichen Verschwörungstheorie soll dieser 1966 bei einem Autounfall ums Leben gekommen und durch ein Double ersetzt worden sein.

Genau genommen haben die Rückwärtsbotschaft also nicht die Beatles, sondern ihre fanatischen Fans erfunden. Die erste Band, die mittels Backmasking bewusst eine Rückwärtsbotschaft in ihrer Musik versteckt hat, dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach ELO gewesen sein. Spielt man das vermeintliche Instrumental „Fire On High“ vom 75er-Album „Face The Music“ rückwärts ab, heisst es: „The music is reversable but time not. Turn back!“ Die Botschaft war ein Kommentar auf den Vorwurf, der ELO-Song „Eldorado“ enthalte satanistische Rückwärtsbotschaften.

Mit Rückgriff auf die in den 50ern entstandenen Verschwörungstheorien über die subliminale Wirkung von Kinowerbung setzte sich im Laufe der 70er in den Kreisen fundamentalistischer Christen der Glaube durch, Rockmusik könne durch Rückwärtsbotschaften das Unterbewusstsein der Hörer manipulieren. So wurde beispielsweise Led Zeppelin vorgeworfen, in „Stairway To Heaven“ okkulte Botschaften versteckt zu haben. Queen sahen sich mit der Anschuldigung konfrontiert, ihre Fans in „Another One Bites The Dust“ zum Konsum von Marihuana aufzufordern.

Als Reaktion auf die vor allem in Amerika um sich greifende Backmasking-Hysterie entwickelte sich die Rückwärtsbotschaft zum vielleicht grössten Running Gag der Popgeschichte. Pink Floyd begrüssten Rückwärtshörer auf „The Wall“ mit den Zeilen: „Hello, hunters. Congratulations. You’ve just discovered the secret message. Please send your answer to Old Pink, care of the funny farm, Chalfont.“ The B-52s warnten Rückwärtsbotschaftenjäger mit der Botschaft „Watch out, you might ruin your needle.“

Das Aufkommen des irreversiblen CD-Formats konnte den Boom der Rückwärtsbotschaften nicht aufhalten. Jeder Die-Hard-Ärzte-Fan kennt den Satz: „Auf Westerland hängt den Frauen die Brust voller Titten“. Chris Cornell von Soundgarden outete sich mittels Backmasking augenzwinkernd als Santaist: „Santa, I love you, baby“, heisst es in „665“. Die Black-Metal-Band Darkthrone forderte ihre Hörer via Rückwärtsbotschaft zum Anzünden von Kirchen auf, eine Aufforderung, der manche Fans Folge leisteten. Und selbst Dieter Bohlen versteckte auf dem Soundtrack zum Film „Dieter“ die schreckliche Prophezeiung „Es gibt kein Ende von Modern Talking.“

Mittlerweile machen Rückwärtsbotschaften kaum noch von sich reden. Mit den Backmasking-Scherzen sind allmählich auch die kritischen Stimmen der Christen-Lobby verstummt. Der Freispruch, den Judas Priest 1990 in einem Prozess gegen die Anklage erwirken konnten, zwei Jugendliche aus Texas mit Rückwärtsbotschaften in den Selbstmord getrieben zu haben, machte den Verschwörungstheorien der Rockmusikverteufler endgültig den garaus. Rob Halford demonstriert im folgenden Ausschnitt aus einer sehenswerten Doku zum Prozess in Reno, dass man bei Rückwärtsbotschaften – wie übrigens auch bei jeglicher Form der vorwärtsgerichteten Kommunikation – immer nur das versteht, was man verstehen will:

[youtube bNp3yIsFyiI]

Hörbeispiele zu den erwähnten Stücken:

Beatles „Revolution #9“

ELO „Fire On High“

Led Zeppelin „Stairway To Heaven“

Queen „Another One Bites The Dust“

Pink Floyd „Empty Spaces“

Die Ärzte „Westerland“

Soundgarden „665“

Darkthrone „As Flittermice As Satan Spys“

Modern Talking „Bizarre Bizarre“

> Leserfragen an: dr.pop(ät)78s.ch

2 Reaktionen

  1. Restebloggen mit Lena, Satan, Dawkins und Weltuntergang @ gwup | die skeptiker
  1. #1 jonlemon

    15:36 Uhr, 25.8.2010, Link

    Auch schön ist die folgende Demonstration von Michael Shermer in dem TED talk „Michael Shermer on strange beliefs“ (ab 8′:54“):
    http://www.ted.com/talks/michael_shermer_on_believing_strange_things.html

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