Platte der Woche: Mark Van Hoen – Where Is The Truth
Von Ralph Hofbauer | 28. April 2010 | 1 Kommentar
Mit seiner Band Seefeel und seinem Einmannprojekt Locust war Mark Van Hoen in den 90ern ein mässig erfolgreicher Kritikerliebling. Nun meldet sich der unscheinbare Brite mit einem erstaunlichen Album zurück.
„Where Is The Truth is a kind of post-rock redreaming of electronica, in which the half-forgotten and the misremembered combine into vague compounds so gaseous that if feels as if they could dissipate at any moment“, schreibt das britische Avantgarde-Feuilleton The Wire über das neue Album von Mark Van Hoen.
Man könnte auch sagen: „Where Is The Truth“ ist ein krautrockiger Ambient-Traum, in dem sich Tangerine Dream zusammen mit Brian Eno auf die Suche nach der verlorenen Zeit begeben. An Bord der Zeitmaschine befinden sich eigenartige Gerätschaften, mit denen die Mannschaft opak schimmernde Klangmetamorphosen in den schwerelosen Raum zaubert.
Mark Van Hoen hat in den letzten drei Dekaden weit über ein Dutzend Platten veröffentlicht, doch den Grossteil seiner Karriere hat der Brite erfolgreich am Zeitgeist vorbeimusiziert. Als er in den 80ern mit Ambient experimentierte, interessierte sich niemand dafür. Für den Shoegaze-Boom kam er mit seiner Band Seefeel Anfang der 90er etwas zu spät. Als der Begriff IDM die Runde machte, kam Van Hoen dann doch noch rechtzeitig. Im Windschatten von Aphex Twin und Boards Of Canada konnte er unter dem Pseudonym Locust seine grössten kommerziellen Erfolge verbuchen.
Nach sechs Jahren Auszeit will es der Brite nun unter der Schirmherrschaft des deutschen Labels City Centre Offices nochmals wissen. „Where Is The Truth“ ist eine Wahrheitssuche mit biografischem Hintergrund: Der 43-jährige Van Hoen hat erst kürzlich herausgefunden, dass er nicht das Kind seiner vermeintlichen Mutter ist, sondern adoptiert wurde. Unterstützt vom Gitarristen Neil Halstead (Slowdive, Mojave 3) und der Sängerin Julia Frodahlreist (Edison Woods) reist der in London geborene Wahl-New Yorker in seine Vergangenheit, seziert Kindheitserinnerungen und lässt seine Karriere Revue passieren.
Mit seinem vierten Album unter bürgerlichem Namen ist der visionäre Klangtüftler im Pop angekommen, ohne dabei seine Sensibilität für Ambient zu verlieren. Natürlich hat Van Hoen wieder einige Hürden eingebaut, damit der grosse Erfolg ausbleibt. Für Pophörer gilt es zu Beginn sechseinhalb instrumentale Minuten zu überstehen, doch mit den Stimmen kommt auch die Zugänglichkeit. Das Titelstück möchte man Flaming Lips-Fans aufschwatzen, „Render The Voice“ Radiohead-Hörern empfehlen und „She’s Selda“ an Trip-Hop-Nostalgiker weiterreichen.
Abgesehen von einem kurzen Durchhänger im Mittelteil überzeugt „Where Is The Truth“ durch eine eigenwillige Traumlogik und einen schlafwandlerischen Klangfluss. Da es sich beim Schöpfer um das unscheinbare Genie Mark Van Hoen handelt, dürfte jedoch auch dieses Album ein Geheimtipp bleiben.
Eine Reaktion
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12:02 Uhr, 30.4.2010, Link
das verwirrende an krautrock ist ja, dass niemand genau zu sagen weiss, wo der kraut aufhört und wo der rock anfängt. oder vice versa. ist das jetzt eher eno/cluster-like der beginn von ambient, wo vielleicht auch eher kraftwerk hingehören? oder gehören kraftwerk überhaubt dahin? schliesslich haben die nie eine gitarre angerührt. oder ist krautrock eher das, was can, neu! und harmonia erfunden haben? mit gitarre, wo der rock (be)greifbar war und der elektronische einschlag nur eine begleiterscheinung? vielleicht liegt das daran, dass einzelne exponenten dieser bands solo immer elektronischer waren. moebius, roedelius etc. jedenfalls nimmt’s momentan wieder inflationäre ausmasse an, was sich alles krautrock schimpft.