Alternativ-Radios versus Majors: Heulsusen unter sich
Von Mathias Menzl | 28. April 2010 | 34 Kommentare
Schweizer „Alternativ-Radios“ wehren sich gegen das elektronische Bemusterungsportal MPN von „Major-Labels“. Was wie ein Witz klingt, ist traurige Realität. (Jetzt mit Replik von Leo Niessner).
Die Vorwürfe von Kanal K, Radio 3fach und weiteren Lokalradios an die Adresse der Major-Labels EMI, Universal, Sony Music und Warner haben es in sich. In einem Communiqué teilen sie mit, dass die Plattenfirmen die Zusammenarbeit mit den Radiostationen per Ende März «faktisch eingestellt» haben. Grund: die digitale Bemusterung von Tonträgern. Statt die Radiosender weiterhin mit physischen CDs zu bemustern, würden die Radiostationen auf die Plattform Music Promotion Network (MPN) geschickt. Der Haken daran: Das MPN kostet gemäss Radiostationen zu viel Geld, u.a. für Einrichtung einer fixen IP-Adresse. Sprich, die Promo für Labels und ihre Klienten kostet die Radiosender nun eine Stange Geld, die sich nicht haben. Darum haben sie sich nun zusammengeschlossen und protestieren.
Was als eine Krise der Distributoren im Musiksektor begonnen hat, weitet sich nun in Richtung Multiplikatoren, in diesem Beispiel, auf die Alternativ-Radios aus. Eine an und für sich logische Konsequenz, die ironischerweise aufzeigt, dass die Alternativ-Radios noch weniger weit im digitalen Zeitalter angekommen sind als die Majors. Und das ist ein sehr grosses Armutszeugnis. Das soll die Zwangsgebühr und die Interview-Verbote der Majors keineswegs rechtfertigen. Die wird von den Radios zurecht angefochten, das ist schlicht und einfach eine Frechheit. Die Radiostationen werden für Werbung zur Kasse gebeten, das ist Unsinn. Nichtdestotrotz haben die Alternativ-Radios ihre Hausaufgaben ebenfalls nicht gemacht.
Soweit die Fakten und die Einschätzung. Nun die Fragen: Wozu sind „Alternativ-Radios“ auf „Major-Label“-Bemusterungen angewiesen? Wieso spielen sie nicht einfach alternative Musik, wie es per definitionem sowieso ihre Absicht wäre? Wieso benötigen professionell arbeitende Musikredaktionen überhaupt noch Bemusterungen? Bemusterungen treffen im Zeitalter der „Neuen digitalen Veröffentlichungsterminen“ aka Leaks sowieso viel zu spät ein. Und auch das Qualitätsargument zieht nur bedingt: Zwischen einem 190er mp3-File und einem FLAC-File gibt es für den geneigten UKW- und Internet-Radio-Hörer sowieso keinen Unterschied. Und wenn ihr nunmal Rihanna, Robbie Williams oder Lunik spielen möchtet, dann rippt den Scheiss doch einfach. Zieht ihn euch in der schlechtesten Qualität von Youtube herunter und lasst ihn über den Sender „brösmelen“. Da werden dann die Majors ihre helle Freude dran haben.
Wieso liebe Alternativ-Radios seid ihr überhaupt noch auf den Input von Majors angewiesen? Es wird Zeit, dass ihr euch emanzipiert, kreativ mit der Situation umgeht. Werdet unabhängig, wie ihr es euch ja sowieso schon lange auf die Fahne schreibt. Die MPN-Diskussion zeigt jedoch auf, dass ihr es mitnichten seid und fast noch hilfloser auf die neuen Gegebenheiten in der Musikindustrie reagiert als es die Majors tun. Denn eine Musikberichterstattung ohne Majors ist möglich.
REPLIK: DJ Leo/Indie-Team (www.djleo.net)
Als Vertreter der Unikom-Radios und Mitverfasser des Communiqués muss
ich leider feststellen: Mathias Menzl hat die Medienmitteilung
offenbar nicht richtig gelesen oder sie nicht verstanden – im
Gegensatz zu den meisten anderen Journalisten, die in der Presse
daraus zitiert haben. Dadurch entsteht ein falscher Eindruck über die
alternativen Radios, was der Sache nicht gerade förderlich ist. Zumal
78s mit seiner Blog-Funktion für die Musikszene eine ähnliche
Funktion ausübt wie unsere Sendungen und Sender.Aus unser Mitteilung geht ganz klar hervor, dass die alternativen
Radios nichts gegen eine digitale Bemusterung mit Musik haben. Im
Gegenteil: Uns ist völlig klar, dass dies zukunftsgerichtet ist.
Bereits wird in vielen Sendern auch emsig mit digitalen Dateien
gearbeitet. Als Beispiele werden in der Pressemitteilung gut
funktionierende Bemusterungs-Download-Plattformen wie diejenige vom
Musikvertrieb oder promofabrik.de zitiert, mit denen wir arbeiten.
Zentraler Punkt ist aber, dass uns die Musik kostenlos zur Verfügung
gestellt wird. Keine der finanziell schwach dotierten Sender und
Presseagenturen ist bereit, für vier Labels zu zahlen, deren Musik nur
gerade zwischen 10 und 30 Prozent des Programmes ausmacht! Wir
arbeiten mit unzähligen anderen kleinen Plattenfirmen zusammen, die
längst gemerkt haben, wie man richtig bemustert. Wie die
Medienmitteilung besagt, würde für sie ein Präzedenzfall geschaffen,
sollten die Unikom-Sender bei MPN unterschreiben. Jeder würde dann für
die Musikbemusterung Geld verlangen. Das können sich unsere Sender
schlichtweg nicht leisten.Replik auf:
«Soweit die Fakten und die Einschätzung. Nun die Fragen: Wozu sind
“Alternativ-Radios” auf “Major-Label”-Bemusterungen angewiesen? Wieso
spielen sie nicht einfach Alternative Musik, wie es per definitionem
sowieso ihre Absicht wäre? Wieso benötigen professionell arbeitende
Musikredaktionen überhaupt noch Bemusterungen? Bemusterungen treffen
im Zeitalter der “Neuen digitalen Veröffentlichungsterminen” aka Leaks
sowieso viel zu spät ein».Antwort:
Erstens mal stellt sich da natürlich die Frage: Was ist «Alternative
Musik»? Soll ich nun Coldplay (EMI) oder die Manic Street Preachers
(Sony) zB. in meinen «Indie-Block»-Sendungen nicht mehr spielen, nur
weil sie bei einem Majoroder in die Charts gekommen sind? Dabei waren
wir in den 90ern die ersten in der Schweiz, die sie am Radio
vorstellten! Dasselbe gilt für Oasis: Ich hatte sie einen Tag nach
Release der «Supersonic»-Debütsingle in GB bereits exklusiv in der
Schweiz in meiner Show, weil ich sie gut fand. Geht die Definition von
«Alternative» oder «Indie» wieder zurück zu ihren Wurzeln? Das hiesse:
«Nur was nicht bei einem Major-Label ist, gehört in diese Kategorie».
Nein, bestimmt nicht! Wir lassen uns von den Majors zudem nicht
vorschreiben, was alternativ ist und was nicht.Ansonsten gilt: Angewiesen sind wir auf die Major-Bemusterung zwar
nicht, es gibt genug andere Bands, die noch so gerne am Radio gespielt
werden wollen. Die Leidtragenden der ganzen Debatte sind aber die
kleinen und mittelgrossen Bands der Majors, sowie die Clubs und
Veranstalter, welche diese Acts buchen wollen. Für sie sind Sendungen
wie mein „Indie-Block“ und die einzelnen alternativen Radios oft die
einzige Plattform, die nun aber wegbricht. Die ersten Veranstalter
haben sich denn auch bereits zu Wort gemeldet und überlegen sich
ernsthaft, zukünftig keine Major-Bands mehr zu buchen.In dem Sinne ist es schade, wenn das Communiqé auf Mathias Menzl
weinerlich gewirkt hat. Es sollte eigentlich auch dazu dienen, den
Betroffenen, den Musikschaffenden, aufzuzeigen, was in der Branche
passiert. Offenbar haben die Majors nämlich ihre Bands und Managements
nicht über ihre Politik informiert. Nur so ist es zu verstehen, dass
regelmässig ausländische Bands aus allen Wolken fallen, wenn wir ihnen
mitteilen, dass wir ihre Musik nicht spielen können, weil wir sie
nicht erhalten: Die Labels hätten ihnen versichert, sie prioritär zu
behandeln und hätten die Musik bei MPN eingestellt, heisst es von den
konsternierten Künstlern dann.Was Downloads über Rapidshare & Co. betrifft: Wir sind zwar
alternative Sender. Das heisst aber noch lange nicht, dass wir alle in
irgendwelchen Graubereichen arbeiten. Abgesehen davon, dass man noch
längst nicht alle CDs so einfach im Internet findet, ist es für ein
Radio heikel, mit Dateien zu arbeiten, die irgendjemand irgendwo
illegal hoch geladen hat. Vor allem, weil manchmal die Qualität nicht
gut ist (man darf nicht vergessen, dass der Sound am Radio noch massiv
komprimiert wird, da tönt manches schnell mies!). Ausserdem gibt es
geklaute Dateien im Netz, die irgendwelche Watermarks besitzen. Bisher
wollte man sich damit nicht die Finger verbrennen (auch die
alternativen Radios werden zT. getract, dh. mit Computern abgehört –
es gab auch schon Reklamationen an die Urheberrechtsgesellschaften,
und die Konzession will auch niemand aufs Spiel setzen).
Grundsätzlich wird sich die Frage stellen, ob wir Radios und
Journalisten selber ein Musikbemusterungs- und Medienportal aufbauen
müssen. Wenn die Majors uns natürlich nicht mehr mit uns zusammen
arbeiten, werden auch irgendwelche Release-Termine, auf die man bisher
noch geachtet hat, bald niemanden mehr interessieren. Klar ist, dass
sich die vier Plattenfirmen mit ihrer aktuellen Politik ein grosses
Stück weiter überflüssig gemacht haben – zumindest die Schweizer
Ableger.Ich hoffe, mit diesen Zeilen die 78s Berichterstattung etwas zu
relativieren. Mit radioaktiven Grüssen, DJ Leo / www.djleo.net