Platte der Woche: Peter Gabriel – Scratch My Back
Von Ralph Hofbauer | 9. Februar 2010 | 15 Kommentare
Indie, so hört man munkeln, sei der neue Mainstream. Peter Gabriel untermauert diese These, indem er Arcade Fire und Bon Iver covert. Kann das gut gehen?
Peter Gabriel schenkt uns pünktlich zu seinem 60. Geburtstag ein aussergewöhnliches Coveralbum. Die Songauswahl von „Scratch My Back“ (VÖ 12.2.) ist ebenso überraschend wie die Instrumentierung. Nach Gitarre, Bass und Drums sucht man auf dem achten Solo-Album des Genesis-Veteranen vergeblich. Statt von einer Band wird der Brite von einem Orchester begleitet, das unter der Leitung des Komponisten John Metcalfe ein Dutzend Popsongs in Symphonien verwandelt.
1. Heroes (David Bowie)
Das Album beginnt mit einem Allgemeinplatz: „Heroes“ ist der einzige wirkliche Gassenhauer unter diesen zwölf Songs. Von der Euphorie des Originals ist auf der Single, die Gabriel vorab als Spendenaufruf für Haiti veröffentlicht hat, allerdings nichts zu hören. Der lüpfige Bowie-Klassiker wird als zerbrechliche Ballade interpretiert, die gegen Ende ins Melodramatische kippt. Der übersteigerte Schlussteil zeigt ein erstes Mal auf, wie schmal der Grat zwischen Opulenz und Schwülstigkeit auf diesem Album ist.
2. The Boy In The Bubble (Paul Simon)
Auch „The Boy In The Bubble“ ist meilenweit vom Original entfernt. Gabriel hat eine nachdenkliche, pianolastige Version der Cajun-Schunkelnummer von Paul Simon eingespielt. Auf Samtpfoten bewegt er sich über das lyrische Parkett der Vorlage. Den prophetischen Text über die schnelllebige Informationsgesellschaft kontrastiert er durch eine besinnliche Entschleunigung des Gesangs. „These are the days of lasers in the jungle / Lasers in the jungle somewhere / Staccato signals of constant information / a lose affiliation of millionaires“ – wie wahr.
3. Mirrorball (Elbow)
Mit „Mirrorball“ tappt Peter Gabriel ein erstes Mal in die Kitschfalle. Seine Fassung des Elbow-Songs klingt bedeutend schwülstiger als das träumerische Original. Spätestens als das Orchester mit Pauken und Trompeten das grosse Finale einläutet und Gabriel seine Stimme bis zum Anschlag aufdreht, verursacht der wagnerianische Pathos dieser Coverversion Brechreiz. Ein Soundtrack zu einem Drama, das man wegzappen möchte.
4. Flume (Bon Iver)
Der vierte Song demonstriert hingegen eindrücklich, wie ein Cover aus einem grossen Song einen noch grösseren machen kann. Peter Gabriel projiziert den spartanischen Holzhütten-Folksong von Bon Iver auf die symphonische Grossleinwand. Im Refrain klingt Gabriel wie ein Cousin des landläufig unterschätzten Tavernensängers Demis Roussos. Einem mondsüchtigen Adler gleich schwebt seine Stimme über dem Orchestergraben. Ein Gratis-MP3 von „Flume“ gibt es übrigens auf Peter Gabriels Website. Zuschlagen empfohlen.
5. Listening Wind (Talking Heads)
„Listening Wind“ ist das atmosphärischste Stück von „Remain In Light“, der wohl wichtigsten Talking Heads-Platte. Während die bedrückende Stimmung des Originals von Synthesizern dominiert wird, sind es hier Bläser und Streicher, die Peter Gabriel durch die Nacht begleiten. Sehnsüchtig wie eine Spätsommerbrise umschmiegt das minimalistische Arrangement den Gesang. Mit metronomischer Genauigkeit fügt Gabriel den Text von David Byrne in das neue Klangbild ein.
6. The Power Of The Heart (Lou Reed)
„The Power Of The Heart“ ist ein Song von simpler Schönheit, den Lou Reed im Original mit der für ihn typischen Coolness intoniert. Interpretiert vom Gutmenschen Gabriel nimmt der Text eine unangenehme esoterische Frömmigkeit an. Die Coverversion plustert die ohnehin schon romantische Vorlage zu einem Candlelightdinner inklusive Heiratsantrag auf. Das Duell der beiden Popgiganten geht eindeutig zu Gunsten von Lou Reed aus.
7. My Body Is A Cage (Arcade Fire)
Das sechsminütige Arcade Fire-Cover „My Body Is A Cage“ ist eines der eindrücklichsten Stücke von „Scratch My Back“. Peter Gabriel macht sich den letzten und besten Song von „Neon Bible“ zu eigen, als hätte er in selbst geschrieben. Der Anfang überrascht durch eigenwilliges Timing und umarrangierte Akkordfolgen. Die Kirchenorgel-Explosion des Originals macht einem Streicher-Crescendo Platz, das in einem pompösen Finale mündet. Da kann das Phantom der Oper einpacken.
8. The Book Of Love (The Magnetic Fields)
Fans von Peter Gabriel kennen dieses Stück vielleicht schon vom Soundtrack zu „Shall We Dance“. Der Charme und die Ironie des Songs vom Magnetic Fields-Meilenstein „69 Lovesongs“ gehen in Gabriels Coverversion leider flöten. Seine Fassung klingt wie ein Weihnachtslied aus der Feder von Sting, wie ein Song also, den man nicht geschenkt besitzen möchte.
9. I Think It’s Going To Rain Today (Randy Newman)
Dutzende von Künstlern haben sich diesem Song bereits angenommen, doch das Original von Randy Newman bleibt unübertroffen. Daran ändert auch das Cover von Peter Gabriel nichts. Seine Fassung des Songs orientiert sich so stark an der Vorlage wie kein anderes Stück von „Scratch My Back“. Wie Newman mimt Gabriel den einsamen Barpianisten, der mehr für sich selbst als für sein Publikum zu spielen scheint. Seine feinfühlige Interpretation verrät, dass er diesen Song in- und auswendig kennt.
10. Après Moi (Regina Spektor)
Ein weiteres Highlight. „Après Moi“ klingt in der Fassung von Peter Gabriel deutlich elegischer als das verspielte Original von Regina Spektor. Statt zickigen Pianoakkorden dominieren ätherische Streicher das Stück, das mit fortlaufender Dauer immer epischere Züge annimmt. Im äusserst intensiven Schlussteil klingt Gabriel wie eine Mischung aus Muezzin und Flamenco-Sänger. Grandios.
11. Philadelphia (Neil Young)
Das gitarrenlose, von Synthiefahnen aufgeblasene Titelstück des „Philadelphia“-Soundtracks ist gewiss ein eher untypischer Neil Young-Song und mit Sicherheit nicht sein bester. Wahrscheinlich ist es jedoch das Stück von Neil Young, das am besten zu Peter Gabriel passt. Zu Beginn hält sich Gabriel ziemlich nahe ans Original, während er gegen Ende des Stücks flennt als wolle er dem Frontmann von Sigur Rós Konkurrenz machen.
12. Street Spirit (Fade Out) (Radiohead)
Radiohead-Fans können mit diesem Cover wahrscheinlich herzlich wenig anfangen – sofern sie das Stück überhaupt wiedererkennen. Peter Gabriel versucht nämlich gar nicht erst, den York’schen Katzenjammer nachzuahmen. Begleitet von einem einsamen Piano wankt er, melancholisch am Refrain vorbeisummend, dem Ende dieser erstaunlichen Platte entgegen.
Teil des Konzepts von Peter Gabriels Coverprojekt ist der Austausch zwischen den Künstlern. Demnächst soll auf „Scratch My Back“ eine Compilation namens „… And I’ll Scratch Yours“ folgen, auf der die Urheber der gecoverten Stücke im Gegenzug Songs von Peter Gabriel covern. Alles Weitere auf petergabriel.com
15 Reaktionen
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20:29 Uhr, 9.2.2010, Link
Gratulation zur Wahl! Mit sieben Jahren bekam ich von einer Bekannten meiner Eltern zwei alte Gabriel-CDs geschenkt, weil ihr die Musik nicht gefiel. Welche ein Glück! Meine ersten CDs – und was für welche. Seither verfolge ich seine Karriere aufmerksam.
Die Releases der letzten Jahre waren nicht mehr das Gelbe vom Ei. Als ich vom neuen Album hörte, war ich deshalb etwas skeptisch – aber es ist wunderbar, genau so muss ein Coveralbum sein. Schwelgerisch und doch mutig. Dem Original zwar verbunden sein und doch in der Lage sein, etwas völlig neues daraus zu machen. Ich bin begeistert. Fast jeder Song ein Treffer.
Einziger Wehrmutstropfen: Die Kargheit so ganz ohne Bass und Drums hätte man von mir aus gerne einmal brechen können. Ist doch Gabriel für mich immer auch so gross gewesen, weil er es verstand, rhythmische Wunderwerke zu bauen. Die Freude trübt das aber nicht. Und dass ihr es zum Album der Woche wählt, freut mich um so mehr.
22:27 Uhr, 9.2.2010, Link
Ausser das ich Book Of Love ganz doll finde in der Gabriel Version (Herr Merritt erträgt die Katebushisierung ziemlich gut) ist das wieder mal eine sehr schöne Plattenbeschreibung.
10:41 Uhr, 10.2.2010, Link
Das Arcade Fire-Cover finde ich sehr stark, den Rest kenne ich noch nicht.
Was ich aber nicht ganz verstehe: Ihr wählt es zum Album der Woche, aber der Grundtenor ist für mich eher negativ… Für mich tönt es so, als hätte das Album nur ein paar gute Momente.
Ist für euch entscheidend wie interessant und nicht wie gut ein Album ist, damit es Album der Woche wird?
11:47 Uhr, 10.2.2010, Link
@dominik: lass dich von der etwas zynischen schreibe nicht verblenden. nur weil wir ein album zur platte der woche küren, heisst das nicht, dass wir nicht kritisch darüber schreiben. denn welches album ist schon makellos? wenn du genau liest, merkst du, dass mir lediglich 3 von 12 songs zuviel des guten sind. dass andreas „book of love“ gefällt, zeigt wie subjektiv dieses urteil ist. objektiv gesehen ist diese platte so grossartig wie ein coveralbum nur sein kann.
13:20 Uhr, 10.2.2010, Link
Dass wenige Alben makellos sind ist mir natürlich bewusst :)
Vielleicht habe ich das ganze zu wenig sorgfältig gelesen und der Eindruck entstand…
11:11 Uhr, 11.2.2010, Link
schöni muschi auf dem cover! werd ich auschecken.
die musik natürlich
12:46 Uhr, 11.2.2010, Link
Nach intensivem Hören des Albums gibt es für mich einen grandiosen Favoriten – „Listening Wind“ ist ein unglaublicher Song. Im Original und als Cover. Habe Gänsehaut, wenn ich das höre!
13:18 Uhr, 12.2.2010, Link
die interpretation von „Flume“ ist meiner ansicht nach ziemlich unglücklich, fast schmerzhaft unglücklich. natürlich handwerklich super arrangiert und produziert, schwelgende bläsersätze, pathetischer gesang. das hört sich an wie einen entscheidende szene aus einem disney-streifen, nämlich die wo der held merkt, dass er ja doch in seine prinzessin verliebt ist und alles falsch gemacht hat aber doch wieder alles gut machen kann und halt doch der held ist, oder so. die mitreissende emotionale wirkung aus dem original kommt bei mir so gar nich mehr rüber, wird von der symphonischen grossleindwand komplett überdeckt!
14:14 Uhr, 12.2.2010, Link
Ich kann mir nicht helfen, aber immer wenn ich Peter Gabriel irgendwo höre, kommt mir die Expo 09 in den Sinn.
21:13 Uhr, 13.2.2010, Link
Das von David Bowie ist das beste Lied, das es gibt meiner Meinung nach. Auf dieser CD sowieso ;)
18:49 Uhr, 15.2.2010, Link
Ich bin sehr gespannt auf das album, auch wenn ich von diesen pop goes klassic nummern immer ausschlag bekomme. ich bin hoffentlich genug gabiel fan, um das auszuhalten….. http://www.contoureditions.com/pages/online.html
21:26 Uhr, 16.2.2010, Link
my body is a cage gefällt mir schon viel besser. wieder sehr dick aufgetragen, aber der song wurde auf originelle weise neu interpretiert. schön gemacht. die ganze platte scheint ein ohren-popcorn-kino zu sein.
01:43 Uhr, 21.2.2010, Link
Ich frage mich, in wie weit die Tatsache, dass ich ’native speaker‘ bin, mein Empfinden für dieses Album prägt. Es beeindruckt mich sehr, wie Gabriel und Co., trotz der opulenten (und nach meiner Meinung grandios gelungenen) instrumentalen Inszenierung der Lieder, es schaffen, die Texte absolut in den Mittelpunkt zu stellen. Diese großartigen Texte schlagen in den Versionen von Gabriel mit solch einer Wucht ein, dass ich mich darüber staune, wie wenig ich beim Hören der Originalen wirklich zugehört habe.
Diese Kompilation hat mich einfach weggehauen. Viele Lieder haben mich zutiefst berührt. Ich müsste beim ersten Hören (ich war unterwegs) den MP3-Player ausmachen, weil ich merkte, wie stark ich betroffen war. Ich wusste wirklich nicht, ob ich nicht gleich anfangen wurde, heftig zu weinen.
Erstaunlich. War es nur meine Stimmung, oder lag meine Reaktion an die Vollkommenheit von Gabriels Arbeit? Das weiß ich nicht. ‚Scratch my Back‘ kann ich aber nur empfehlen.
19:17 Uhr, 7.5.2010, Link
Hallo zusammen,
ich bin seit 1975 PG Fan. Habe Ihn auf sämtlichen Tourneen gesehen.
Auch Scratch my back in Berlin. Ein umwerfendes Konzert.
Diese CD zeigt einmal mehr, das die songs von PG erst nach mehrmaligem Hören richtig ins Ohr gehen. Sie ist außergewöhnlich.
Meine Lieblingssongs sind „The Power of the Heart“, „My Body is a cage“ und „Apres Moi“. Aber ich möchte eigentlich gar keine songs herausheben denn die CD ist als Ganzes ein Wunderwerk.
Für mich ist PG immer noch ein ganz großer Künstler.
18:12 Uhr, 12.9.2010, Link
Schreibe hier nur aus Verzweiflung:
Haben denn die Scatch-my-back-Kritiker noch nie in Orchester-Alben reingehoert? Gabriel stand so oft in seinem Leben fuer Innovation im Music-Biz. Warum muessen immer Jahre vergehen bevor man unvoreingenommen hinhoert? Und ich bin KEIN Gabriel Fan, nie gewesen, aber Musik moegen heisst „sich hineinhoeren“, gaeb es keine Gabriels gaebs absolut keine Bewegung. Keine Drums? Als Feature-Film Komponist der ich mit beiden Welten arbeite kann ich nur sagen, die „Kitsch“-Kritik passt hier nicht, weil speziell dieses Album beweist, dass Gabriel und Metcalfe die hauchduenne Grenze genau KENNEN. Vielleicht hat auch manch einer ein wenig Angst, REFLEKTIVE Gefuehle zuzulassen. Das Album mag fuer manch einen daher hoechstens deprimierend sein…aber KITSCHIG?! Ich hoffe irgendwer hat sich mal die Muehe gemacht, die Texte zu verfolgen, es is eben kein x-beliebiges Pop-Album. Mir kommts fast so vor als waeren die ganzen Kritiken geradezu ein zwingender Hinweis auf einen Klassiker.