78s has left the building. ¯\_(ツ)_/¯

Dr. Pop, wie soll ich meine Plattensammlung ordnen?

Von    |   20. Januar 2010   |   22 Kommentare

Ob alphabetisch oder chronologisch, stilistisch oder autobiografisch – jedes Ordnungssystem hat seine Vor- und Nachteile.

Die Probleme des ordnungsbeflissenen Plattensammlers sind mannigfaltig: Reiht man das Black Sabbath-Tribute-Album bei den Compilations ein oder stellt man die Scheibe doch besser an die Peripherie der gesammelten Werke von Ozzy & Co? Gehören die Platten von !!! an den Anfang oder ans Ende des Regals? Oder soll man sie eben doch unter T einordnen, weil man insgeheim stolz darauf ist, über die korrekte Aussprache der Band Bescheid zu wissen?

Die archivarischen Streitfragen, mit denen sich Plattensammler herumschlagen, gleichen mitunter den Problemen eines Bibliothekaren. So mancher Musikhörer stellt das alphabetische Ordnungssystem jedoch grundsätzlich in Frage. Zu Recht, denn was hat ABBA schon mit Abwärts zu tun oder ZZ Top mit Zelmanie, Sophie? Eine alphabetische Struktur mag zwar die Zugriffsgeschwindigkeit auf die Tonträger erhöhen, doch Iggy ist nun mal kein geborener Pop und eine Plattensammlung kein Telefonbuch.

Eine alphabetisch geordnete Plattensammlung ist in etwa so sexy wie eine nach Republiken sortierte Briefmarkensammlung. Insbesondere wenn die Werke der einzelnen Künstler in einem zweiten Schritt auch noch chronologisch geordnet werden. Es soll gar Musikhörer geben, die ihrer Sammlung mit einem numerischen Ordnungssystem zu Leibe rücken. Solch spiessige Pedanterie erstickt das individuelle Charisma einer Sammlung jedoch vollends. Meisterwerke werden zu Karteikarten degradiert.

Der wahre Connaisseur, so weiss man, ordnet seine Platten nach höchst subjektiven Kriterien. Er alleine verfügt über den Schlüssel zu seiner Sammlung. Auch Rob Gordon findet es beruhigend zu wissen, dass sein Ordnungssystem von keinem Aussenstehenden durchschaut werden kann. Der autobiografische Ansatz des Protagonisten von High Fidelity hat durchaus seinen Reiz, schliesslich konservieren Platten Erinnerungen wie kaum ein anderes Medium. Allerdings erleichtert es die Suche nach einem Album nicht unbedingt, wenn man sich erst an das genaue Kaufdatum erinnern muss.

Dem autobiografischen Prinzip diametral entgegengesetzt ist der musikhistorische Ansatz. Ziel dieser Strategie ist die Rekonstruktion der Popgeschichte im eigenen Wohnzimmer. Mit der Akribie eines Wissenschaftlers konsultiert man Labelkataloge und Diskografien, um Alben korrekt im popkulturellen Kontext einzuordnen. In der Hoffnung Bezüge zwischen den Werken verschiedener Künstler herstellen zu können, durchforstet man Booklets nach Gastmusikern und Produzenten. Oder man versucht anhand seiner Sammlung die Evolution einzelner Genres exemplarisch aufzuzeigen.

Mit fortschreitendem Professionalisierungsgrad beginnen viele Sammler sich am Plattenladen ihres Vertrauens zu orientieren. Sie errichten im Geiste Fächer für Krautrock, Singer-Songwriter und Post-Punk und versuchen darüber hinaus Feinabstufungen innerhalb der Genres herauszuarbeiten. Das stilistische Ordnungsprinzip hat den Vorteil, dass man für jede Lebenslage den passenden Musikstil zur Hand hat. Man kann gar eine rein funktionale Kategorisierung in Erwägung ziehen und seine Sammlung anhand von Jahreszeiten, Drogenarten oder Kochrezepten sortieren.

Der grosse Nachteil von stilistischen Systemen ist, dass das Gesamtwerk von eklektischen Künstlern in Fragmente zerfällt. So hat jede Strategie ihre Vor- und Nachteile: Eine nach optischen Kriterien sortierte Sammlung sieht zwar schick aus, ist ohne fotografisches Gedächtnis aber ziemlich unübersichtlich in der Handhabung. Eine emotionale Gliederung erleichtert zwar das stimmungsgerechte Hören, führt einem das persönliche Psychogramm jedoch mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen. Eine Kategorisierung auf der Mikroebene anhand von einzelnen Instrumententypen mag zwar das Vertonen von Filmen erleichtern, kann aber leicht zur unlösbaren Lebensaufgabe werden.

Das ideale Archivierungssystem ist nicht zuletzt auch von den Hörgewohnheiten abhängig: Als World-Music-Hörer kann es durchaus Sinn machen, die Sammlung nach Ländern zu sortieren. Mancher Indie-Nerd erachtet es als zweckdienlich, seine Sammlung nach Labels zu ordnen. Elektro-DJs sortieren ihre Platten nach Beats Per Minute und Soundtrackfetischisten brüten über der Frage, ob sie ihre Sammlung nach Filmtiteln oder nach Komponisten ordnen sollen. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie fühlen sich gelegentlich wie Sisyphos. Kaum ist die Ordnung wiederhergestellt, zerfällt sie auch schon wieder.

Egal für welches System man sich entscheidet, der chaotisch wuchernden Natur einer Plattensammlung ist mit Ordnungsprinzipien nur schwer beizukommen. Doch es geht ja auch nicht um die Ordnung an sich, sondern um die therapeutische Wirkung des Sortierens. Wer seine Plattensammlung neu ordnet, kann sich einbilden, dadurch auch sein Leben besser in den Griff zu kriegen.

> Leserfragen an: dr.pop(ät)78s.ch