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Emo als völlig neuer Musikstil der Nullerjahre?

Von    |   3. Januar 2010   |   15 Kommentare

Was passiert, wenn Musik-Wissenschafter von einer Nachrichtenagentur zur Entwicklung der Populärmusik in den Nullerjahren befragt werden, zeigt ein Artikel in der Berner Zeitung. 

Es ist zwar noch nicht ganz Zeit für „Giacobbo / Müller“ auf SF 1, aber der Sonntagabend hat schon zu früherer Stunde erheiterndes für mich zu Tage gebracht. Im Artikel „Was die Nuller-Jahre der Rock-Musik brachten“ werden Musik-Wissenschafter befragt, was die vergangende Dekade in der Rock-Musik besonderes hervorgebracht hat.

Die Berner Musik-Professorin Britta Sweers hat darauf folgende Antwort im Köcher: „Emotional Hardcore (Emo), ein Subgenre des Punk, sei ein «vollkommen neuer» Musikstil“, erklärt Sweers gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Der Artikel fährt fort mit: „Als Aushängeschilder der Emo-Bewegung werden bisweilen die Jungs der deutschen Band Tokio Hotel genannt“. Ich bin sprachlos.

Auch die weiteren Musikwissenschafter, die im Artikel zitiert werden und welche darin die Nullerjahre als „merkwürdig konturlos“ und „wenig innovativ“ bezeichnen, haben meiner Meinung nach die Dekade nicht richtig begriffen. Ich halte es diesbezüglich eher mit Simon Reynolds, der die Fragmentierung der Popmusik in den Nullerjahren in diesem Blogposting ziemlich treffend beschreibt. Die Kreation zahlreicher Sub-Genres hat die Konturen in der Rockmusik in den vergangenen zehn Jahren ziemlich stark geformt. Ausserdem hat das Internet und neue Software die Musikproduktion und Promotion stark verbilligt und vereinfacht. Ausserdem: Es gibt Musikgenres und Musikgenres. Wer einen neuen „Hiphop“ oder einen neuen „Punk“ möchte, den können die Nuller nicht befriedigen. Grunge als völlig neues Musikgenre zu bezeichnen ist hingegen ziemlich unbedarft.

Vielleicht sollte mal jemand bei der Uni Bern vorbeigehen und MySpace vorstellen.

> Zum Aritkel „Was die Nuller-Jahre der Rockmusik brachten“

Für Frau Sweers gibts hier noch etwas Nachhilfeunterricht:
[youtube Wf_ucq-NwTo]

15 Reaktionen

  1. » Emo als völlig neuer Musikstil der Nullerjahre? | 78s
  1. #1 Michael

    22:03 Uhr, 3.1.2010, Link

    Interessant. Bands wie Yage, Swing Kids, Envy, Texas is the Reason haben also nicht existiert und die gesamte Emo/Post-Hardcore-Bewegung startete somit erst im Jahr 2000?

  2. #2 cortez

    00:07 Uhr, 4.1.2010, Link

    nun von der bernerzeitung war nichts anderes zu erwarten, das ist ein chääs-blatt. aber dass eine professorin für musikwissenschaften offenbar nicht gerade viel ahnung von zeitgenössischer pomusik (im weitesten sinne) hat, erstaunt etwas.
    hmm.. zwar eigentlich erstaunt das auch nicht wirklich.

  3. #3 Johannes

    01:01 Uhr, 4.1.2010, Link

    So lange ich hier noch in jedem zweiten Kommentar ‚Indie‘ als Synonym für gut lesen muss, kann meinetwegen ‚Emo‘ auch als neuer Musikstil bezeichnet werden.

  4. #4 Mathias Menzl

    07:49 Uhr, 4.1.2010, Link

    na ja, zwei mal daneben ist auch vorbei, aber als provokation reichts und hätte sich im artikel der BZ auch gut gemacht…

  5. #5 Mathias Möller

    11:11 Uhr, 4.1.2010, Link

    Nunja, als Musikwissenschaftlerin muss sie ja in erster Linie von Musik Ahnung haben, also von den technischen Aspekten der Musik. Dass sie sich nicht in Popkultur auskennt, wundert mich leider wenig. Vielleicht sollten wir uns lieber Sorgen um den Kollegen Menzl machen: Warum liest der an einem wunderschönen Sonntag die Berner Zeitung?

  6. #6 Johannes

    19:28 Uhr, 4.1.2010, Link

    Wir sind ja hier in der Rubrik «Klatsch». Trotzdem: Es liegt nahe, dass die gute Frau Sweers zugunsten der seichten Kulturnotiz plakativ und undifferenziert zitiert wurde. Das spricht nicht gerade für die BZ. Auf dieses undifferenzierte Zitat eine Story zu bauen, ist allerdings auch nicht gerade eine Glanzleistung.

  7. #7 Mathias Menzl

    21:55 Uhr, 4.1.2010, Link

    @Johannes: man kann auch für jeden seich eine rechtfertigung suchen, das ist schon so. ausserdem ist es eher die sda die gepatzt und das über ihren newsticker verbreitet hat. und eine story ist das nur bedingt. ich würde es als randnotiz abtun, eine sehr glanzvolle allerdings. bringt mir bestimmt ruhm und ehre.

  8. #8 Johannes

    22:25 Uhr, 4.1.2010, Link

    @Mathias: Achso, darum geht’s hier.

  9. #9 David Bauer

    22:31 Uhr, 4.1.2010, Link

    Mathias for Pulitzer. Aber jetzt bloss keine Grundsatzdiskussion hier. Solche darf nur CerpinTaxt anstossen.

  10. #10 Mathias Menzl

    22:53 Uhr, 4.1.2010, Link

    @johannes: klar, im leben gehts doch nur um ruhm oder ehre, worum denn sonst?
    @david: stimmt, wo steckt der eigentlich? ;)

  11. #11 Nemo

    12:32 Uhr, 13.1.2010, Link

    Wer den Artikel genau liest, sieht dass dort differenzierter argumentiert und die hier angeprangerte Fahrlässigkeit im nächsten Satz gleich wieder relativiert wird:

    „Als Aushängeschilder der Emo-Bewegung WERDEN BISWEILEN die Jungs der deutschen Band Tokio Hotel GENANNT. Unter Fans ist diese Zuordnung jedoch UMSTRITTEN.“

    Die Aussage ist als Aussage doch völlig korrekt (vgl. z.B. Tagimagi-Feature zu den Emos) und sagt nichts über die persönliche Einschätzung von Frau Speers. Im Gegenteil sie lässt ja gerade Zweifel an dieser Zuordnung durchblicken.

    Ja, ja, der akademische Jargon…

  12. #12 Nemo

    12:50 Uhr, 13.1.2010, Link

    Hihi: Sweers heisst sie natürlich, nicht Speers. Da kann jetzt der Freudianer denken, was er will…

    Und weil ich schon dabei bin, noch einige Worte mehr: Dass in jedem Jahrzehnt ein Stilpluralismus herrscht ist wohl unbestritten. Interessant ist aber, wenn ein Stil plötzlich an die Oberfläche geschwemmt und kommerzialisiert wird. Das geschah mit dem sog. Emo in der vergangenen Dekade halt ebenso wie es Anfang der 90er mit dem Grunge passierte. Auch Grunge besitzt ja seine Wurzeln in der Subkultur der 80er. Man sollte also solche Analysen nicht als absolut, sondern als Tendenz- und Gradmesser nehmen. Und wenn man zurückdenkt, was in den 90er bei MTV und Konsorten dominierte und was in den sog. Nuller-Jahren, dann liegt man mit der Etikettierung „Grunge“ und „Emo“ (so problematisch die auch immer sind) nicht vollends daneben.

  13. #13 Johannes

    16:02 Uhr, 16.1.2010, Link

    @Nemo: Ich sag ja, dem Menzl gehört eins aufs Dach für diesen Artikel. Oder noch besser: Ein Semester «Musikalische Analyse» bei Frau Sweers!

  14. #14 Hannah Sonnenkalb

    15:39 Uhr, 29.9.2010, Link

    Ich glaube, dass hier einige Missverstände herrschen und finde die Empfindlichkeiten, dass gewisse Bands nicht genannt wurden, völlig unangebracht. Wahrscheinlich kommt man mit dieser Art der Innensicht sowieso nur bis zu dem Punkt, seine eigene Lieblingsband als Repräsentanten zu küren. Frau Sweers ist völlig klar, dass in der letzten Dekade musikalisch viel passiert ist, das BZ-Zitat bricht diese komplexen Dynamiken lediglich auf wenige Schlagworte herunter. Schlagworte, die dennoch ein Phänomen hervorheben: Die Emo-Bewegung als Jugendkultur, die sich (natürlich auch modisch) abgrenzt und durch gewisse Attituden erkennbar zeigt; Tokio Hotel als medial hochgepushte Teenieband aus der Provinz, die Weltkarriere gemacht hat. Frau Sweers ist übrigens Musikethnologin und da gehört es dazu, den ganzen Kontext von Identifikationsmustern bis Marketingstrukturen mit zu beobachten. Apropos: Musikalische Analyse zum Ausfindig-machen einer für die Nullerjahre repräsentativen Musikrichtung wäre ohnehin die völlig falsche Methode.

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