Die Nullerjahre gehörten dem Hip Hop!
Von Matthias Daum | 14. Dezember 2009 | 54 Kommentare
Soll man als Gast-Autor Höflichkeit walten lassen? Ertragen die Gitarren-Helden die Wahrheit? Denn die lautet: Die Nullerjahre gehörten dem Hip Hop. Dazu tanzte die Welt. Nicht zu Indie-Emo-Core-Post-Blabla-Heulsusen-Rock. Beweise gefällig? Voilà! 10 Stück.
1. Der Mundart-Boom
Endlich wurde den angejahrten Polo-Kuno-Hofer-Laueners das Mundart-Monopol entzogen. Nun wurde in Reimen gebündnert, gebaslert, gezürchert und gebernert. Die Schweiz kriegte ihren Ich-dreh-bald-durch-und-ihr-wegen-mir-auch-Gimma, ihren Ich-will-den-Erfolg-um-jeden-Preis-Bligg und ihren Ich-erkläre-euch-die-Welt-Greis.
2. Die Beachteten: «Fuck Blocher!»
Über wen zerrissen sich die Medien den Mund? Genau: über die bösen Rapper, die unsere Jugend verderben. «Fuck Bloschäär!», krakeelten diese zurück. Und wurden damit gehört. Sogar von der NZZ: «Immer mehr Stress», titelte die Alte Tante.
3. Der König: Jay-Z
Mit dem «Black Album» (2003) sagte Jay-Z alles. Über sich, New York, Hip Hop per se. Und der von Rick Rubin produzierte «99 Problems» ist ein Über-Track der Nullerjahre. Ja, Mutter Carter hatte Recht, wenn sie im Intro zu «December 4th» sagt: «Shawn was a special child».
4. Der Erfolgreichste: Eminem
Keiner verkaufte in den Nullerjahren mehr Platten als Eminem. 10 Millionen mal gingen die Alben «The Marshall Mathers LP» (2000) und «The Eminem Show» (2002) über die Theke. Die Krise der Musikindustrie verschonte aber auch Herrn Shady nicht: vom letzten Album «The Relapse» (2009) setzte er noch 1,5 Millionen Stück ab.
5. Der Super-Produzent: Timbaland
Keine Hitparade war vor ihm sicher: Timbaland. Zunächst schneiderte er Missy Elliott ihre synkopierten Staccato-Klangkleider. Später machte er Nelly Furtado zur Männerfresserin (2006) und brachte mit Justin Timberlake «SexyBack» (2006).
6. Die Aliens: Outkast
«Im Zentrum der Erde, sieben Lichtjahre unter dem Meeresspiegel», von dort kämen alle «funky thangs» her, rappen Outkast auf ihrem wegweisenden «Stankonia»-Album (2000). Das Hip-Hop-Duo aus Atlanta verwurstet die unterschiedlichsten Musikrichtungen zu einem alien-haften Neuen und konterkariert den Bierernst der Rap-Kultur.
7. Der Spinner: Lil Wayne
«I know what you watchin: me!», quäkt Wayne auf «Tha Carter III» (2008). Seine Raspelstimme, seine Wortverdrehungen, seine schlüpfrigen Versprecher: grossartig. Die hypnotische Single «A Milli» brachte dem Hustensirup-Junkie einen Grammy. Bereits legendär sind seine Allüren: seit bald einem Jahr wartet man auf sein nächstes Werk. Ein Rock-Album.
8. Der (vermeintliche) Totengräber: Nas
Eine schwarze Rose ins Erdloch: Ruhe in Frieden, o Hip-Hop! Der New Yorker Nas trägt auf dem Cover von «Hip Hop Is Dead» (2006) zu Grabe, was ihn berühmt gemacht hat. Den Rap. Doch Nas überwindet den Tod des Genres: mit der zeitlosen Eleganz des einfachen Beats.
9. Der (echte) Totengräber: Kanye West
Auf der Bühne: ein Podest mit kristallförmiger Verkleidung. Darauf placiert: ein Mikrofonständer. Die Band ist in der Bühnentiefe versteckt. Open Air Frauenfeld 2009. Auftritt Kanye. Er leidet, stampft, zuckt – und: singt! Obwohl er hörbar nicht singen kann. Der Musiker als Autist. Nur für zwei Songs wagt er sich von seinem Podest, nie sucht er den Kontakt zum Publikum. Sogar die vier mit Goldfarbe besprühten Oben-ohne-Girls dienen nicht dem Aufgeilen der Zuschauerschaft: Einem Tableau vivant gleich drapieren sie sich zu des Künstlers Füssen.
10. Der Retter: Kid Cudi
Kid Cudi berührt. Er rappt nicht die x-te Ode an die Glitzerwelt, die Härte der Strasse, das Aufplustern, das Gockelhafte, die Aggression. Stattdessen zimmert sich der «Man on The Moon» (2009) ein märchenhaftes Sonderling-Universum; worin selbstverständlich auch Platz für gutaussehende Frauenzimmer ist. Kid Cudi befreit den Rap von seiner Zwangsmoral!
*Matthias Daum ist freier Journalist in Zürich. Er schreibt regelmässig für die NZZ und Die Zeit.
Bildcredit: Kim Erlandsen, NRK-P3