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David Sylvian: Reduktion aufs Maximum

Von    |   14. Oktober 2009   |   0 Kommentare

In 30 bewegten Jahren vom hippen Glam’ster zum ernsten Eigenbrötler. Mit zunehmendem Alter hat David Sylvian hinter den Vorhang einer bunten Scheinwelt gelinst und karge Wirklichkeit entdeckt, die er in schönsten Grautönen ausmalt.  

David SylvianEnde 70er mit der Teenieband Japan ziemlich erfolgreich dem New Romanticism gefrönt, in den 80ern vier Soloplatten unterschiedlichster Couleur, in den 90ern Installationskunst und die grosse Liebe. Dann die Scheidung und der harte Aufprall in der Realität. Zum Glück, ist man geneigt zu sagen, denn damit ist der mittlerweile 50-Jährige in seine stärkste Schaffensperiode geraten.

Neue Lebensphasen und ungekannte Gefühle suchen nach neuem Ausdruck: Mit „Blemish“ als erste Veröffentlichung auf dem eigenem Label SamadhiSound hat Sylvian 2003 den Trennungsschmerz ver- oder zumindest bearbeitet. Das dicke MakeUp wurde abgeschminkt bis aufs Skelett, der Paradiesvogel hat sich zum vermeintlich langweiligen Schwarzmaler entwickelt. Es sind karge Weltbilder in feinsten Grautönen, die der Brite mit kleinsten Emotionsnuancen malt. Die streitbare Charakterstimme prägnanter und weiser denn je, die Klangkulisse reduziert und doch seltsam einnehmend.

2005 folgte die etwas opulentere, aber nicht minder atmosphärische Kollaboration mit seinem Bruder und Burnt Friedman als Nine Horses, deren Meisterstück „Snow Borne Sorrow“ den Trend in Richtung dunklere Seelengefilde bestätigte und von einigen Experten gar zum bestproduzierten Album des Jahres ernannt wurde.

David SylvianSylvians neuster Solostreich „Manafon“ zeugt von einer konsequenten Weiterentwicklung. Mittlerweile scheint er eine spirituelle Höhe erreicht zu haben, wo die Luft dünn wird, wo der Weltlärm nicht hinkommt, wo man mit sich allein ist und doch über den halben Globus sieht („It’s the farthest place I’ve ever been / it’s a new frontier for me“).

Die Komplexität der Existenz wird aufs Maximum reduziert: Nur vereinzelte Akkorde und Dissonanzen namhafter Gastmusiker der elektroakustischen Impro-Szene begleiten das beinah refrainlose, nicht ganz unpolitische Narrativ und lassen Text und Tönen genügend Stille, um langsam und tief ins Bewusstsein zu sinken.

„It’s a journey he must make alone / The black sheep boy is leaving home. – I’ve put away my childish things / Abandoned my silence too / For the future will contain / Random acts of senseless violence. – He wouldn’t speak or show you he was happy / Though you’d meet him with your eyes / There was a wall that always stood between you / He’d shut himself outside. – And she wanted to stay home / With a box full of postcards / And no place to send them. – The world could not embrace a man / With so much self in his writing.“ (Auswahl)

Trotz dunklem Unterton und traurigen Pointen ist aber das Schimmern gefundener Seelenruhe nicht zu überhören. Ein Mann, der mit offenen Augen durchs Leben geht, stets auf der Suche nach kläglich-schönen Details, die letztlich das imponierende Gesamtbild formen. Diesbezüglich vermag er übrigens auch in seiner ausgiebigen Fotogalerie zu überzeugen.

Für nähere Infos auch empfehlenswert ist ein Blick auf die vorbildliche, international zum Standard zu erhebende Release-Webseite.

[youtube scBpZvXHP5g]

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